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DLR untersucht langsamere Anflüge

An der Grenze des Machbaren flog das DLR-Forschungsflugzeug ATRA im März 2015. In insgesamt vier Versuchsflügen wagten sich die Testpiloten mit dem umgebauten Passagierjet an den extremen Langsamflug heran. Das Ziel: Die tragende Luftströmung an den Flügeln und Klappensystemen in bisher unerreichter Genauigkeit zu vermessen. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) erforscht gemeinsam mit Airbus den Langsamflug bei Verkehrsflugzeugen. Die Erkenntnisse helfen, zukünftige Tragflächen leichter zu bauen und für langsamere und damit leisere Anflüge zu optimieren, erklärte das DLR in einer Aussendung.

DLR-Testpilot Hans-Jürgen Berns und Airbus-Testpilot Eckhard Hausser starteten jeweils vom Braunschweiger Forschungsflughafen in Richtung eines speziell reservierten Luftraums. Während eines Testfluges im A320 ATRA (Advanced Technology Research Aircraft) führten die Piloten rund 30 Überziehmanöver durch. “Dabei ziehen wir die Nase des ATRA bei verringertem Schub so hoch, dass wir den maximalen Auftrieb erreichen”, erklärt Testpilot Berns von den DLR-Flugexperimenten das Manöver. “Bei Überschreiten des Maximalauftriebs setzt ein deutlicher Höhenverlust ein, wobei die Maschine über die Nase wieder abkippt und von uns abgefangen wird.” Die besondere Herausforderung für die Crew im Cockpit war dabei, das Manöver sehr kontrolliert und möglichst ohne Seitenbewegung durchzuführen. “Durch zahlreiche Zulassungsflüge sind wir bei Airbus gut mit diesem Manöver vertraut”, sagt Airbus-Testpilot Eckhard Hausser. “So ließen sich die ATRA-Flüge ohne Probleme meistern.”

Messeinrichtungen auf der Tragfläche

Damit die Forscher später am Computer detailliert das Strömungsgeschehen auf der Tragfläche nachvollziehen können, haben sie ausgefeilte Messtechniken entwickelt, die in mehrwöchiger Vorbereitungszeit auf beiden Flügeln montiert wurden. Die TU-Berlin verteilte rund 25 faustgroße, flache Heißfilme, um die Reibungseffekte auf einer Tragfläche zu messen; dazu neun zugehörige Kalibriersonden sowie vier Grenzschichtrechen für Geschwindigkeitsmessungen. Die TU-Braunschweig beteiligte sich mit vier eigens entwickelten Geräten zur Vermessung der Luftströmung über der Tragfläche, die aufgrund ihrer Form auch „Grenzschicht-Mäuse“ genannt werden. Bei der unmittelbar über die Tragfläche strömenden Luft spricht man von der sogenannten Grenzschicht, deren Verhalten entscheidend für eine optimale Umströmung ist. Das DLR stellte die Basismessanlage und die Druckmessanlage für die Messungen der TU-Berlin.

Langsamer fliegen bedeutet weniger Lärm

Im Verbundprojekt HINVA (High Lift Inflight Validation) untersuchen die Wissenschaftler in bisher unerreichter Genauigkeit und Detaillierung, wie sich die Strömung im Langsamflug an den Tragflächen und Landeklappen sowie insbesondere im Bereich der Triebwerksgondeln verhält. Projektleiter Prof. Dr. Ralf Rudnik vom DLR-Institut für Aerodynamik und Strömungstechnik ist zuversichtlich: “Wir werden die aerodynamischen Grenzen bei niedrigen Fluggeschwindigkeiten zukünftig noch besser verstehen lernen, um sie zu unseren Gunsten zu verschieben.”

Der Vorteil dabei: Verkehrsflugzeuge, die im Endanflug langsamer fliegen, sind leiser und kommen mit kürzeren Start- und Landebahnen zurecht. Herstellerangaben beschränken die Anfluggeschwindigkeit von Passagiermaschinen heute noch auf etwa 200 bis 250 Kilometer pro Stunde. Die genauen Werte hängen vom jeweiligen Flugzeugtyp und der Beladung ab. “Die nun gewonnenen Flugversuchsdaten fließen neben Ergebnissen vorausgegangener Flugversuche und Windkanalmessungen in die Verbesserung computergestützter Strömungssimulationen ein, die wir im DLR mit dem größten Rechenzentrum für die Luftfahrtforschung in Europa (C²A²S²E, Center for Computer Applications in Aerospace Science and Engineering) betreiben”, sagt Rudnik. “Damit können zukünftig deutlich besser an den Langsamflug angepasste Tragflächen und Klappensysteme entwickelt werden, um Gewicht und damit Treibstoff zu sparen und langfristig das Tempolimit und Geräuschemissionen rund um die Flughäfen zu senken.”

Enge Kooperation

Weil die angestrebte präzise Vorhersage der Strömungsvorgänge bei Start und Landung ein wichtiger Beitrag für die Verbesserung künftiger Flugzeugentwicklungen ist, unterstützt der Verbundpartner AIRBUS das Projekt HINVA sehr aktiv im Rahmen seiner Forschungsaktivitäten. So hat AIRBUS durch Unterstützung bei der Integration der vorgesehenen Messtechniken und mit den bereitgestellten AIRBUS-Mitgliedern der gemischten Crew wesentliche Beiträge zum Gelingen des Tests geleistet. Basis für die die erfolgreiche Durchführung der mit einer äußerst aufwendigen Messtechnik ausgestatteten Flugtests war die partnerschaftliche Zusammenarbeit der beteiligten Organisationen DLR, Airbus, TU-Berlin und TU-Braunschweig. Bereits 2012 fanden bei Airbus in Toulouse erste ATRA-Flugversuche des Projekts HINVA statt. Im Gegensatz zu den ersten Testflügen 2012 lag dieses Mal die Gesamtverantwortung für Zulassung und Durchführung der Flugversuche beim DLR. Das Projekt HINVA wird Rahmen des Luftfahrtforschungsprogramms des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie gefördert.

(red / DLR / Titelbild: Das ATRA Testflugzeug des DLR - Foto: DLR)