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Lauda Air Absturz: Der Todesflug der "Mozart"

Heute vor exakt 30 Jahren ereignete sich das schwerste Unglück in der österreichischen Zivilluftfahrt mit 223 Todesopfern. Am 26. Mai 1991 stürzte die Lauda Air Boeing 767-300ER "Mozart" kurz nach dem Start in Bangkok ab. Die Ursachen waren ein Konstruktionsfehler, fehlerhafte Berechnungen von Boeing sowie - laut einem bis heute unter Verschluss gehaltenen Gutachten, das Austrian Wings vorliegt - erhebliche Wartungsmängel bei Lauda Air, aufgrund derer die Maschine am Unglückstag gar nicht mehr für den Flug freigegeben hätte werden dürfen. Zum heutigen Jahrestag haben wir unsere erstmals am 26. Mai 2011 veröffentlichte Reportage über diese Tragödie daher umfassend überarbeitet und ergänzt.

Oktober 1989: Niki Lauda erhält seine zweite Boeing 767-300ER, den Stolz der Langstreckenflotte der Lauda Air. Das Flugzeug ist mit 244 Sitzplätzen ausgestattet und soll künftig auf den Flügen nach Singapur, Bangkok, Sydney und Hongkong eingesetzt werden. Ende Oktober 1989 tauft der damalige Wiener Bürgermeister Dr. Helmut Zilk das Flugzeug auf den melodisch klingenden Namen "Mozart".

Bereits im Frühjahr waren weitere Piloten und Flugbegleiter selektiert worden, immerhin bedeutete die Indienststellung der OE-LAV eine Verdoppelung der Langstreckenkapazität. Die Lauda Air Flotte besteht zu diesem Zeitpunkt aus zwei Boeing 737-300 (OE-ILF, OE-ILG) sowie den beiden Boeing 767-300ER (OE-LAU, OE-LAV). Für die vier Flugzeuge stehen an die 70 Piloten und 150 Flugbegleiter zur Verfügung. Die meisten von ihnen kennen sich untereinander, einige sind auch liiert.

Der Schriftzug "Mozart" befindet sich im grauen Bereich des Rumpfes zwischen Cockpitfenstern und vorderer Einstiegstüre - Foto: Werner Fischdick
Der Schriftzug "Mozart" befindet sich im grauen Bereich des Rumpfes zwischen Cockpitfenstern und vorderer Einstiegstüre - Foto: Werner Fischdick

Samstag, 25. Mai 1991: Im Laufe des Tages führt die OE-LAV die Rotation Wien - Heraklion - Rhodos - Wien (NG 119 / NG 120) durch. Für den Flug von Wien Schwechat nach Bangkok mit Weiterflug nach Hongkong wird die Maschine an der Pierposition 56 angedockt. Die "Mozart" hebt spätabends zum letzten Mal von ihrer Heimatbasis Wien Schwechat ab. Im Cockpit von Flug NG 003 sitzen der US-Amerikaner Nickolas "Nick" R. als Kapitän und der Österreicher Heinz M. als Erster Offizier. Purser Norbert A. ist verantwortlich für die Kabine. Das Ziel des Fluges ist die (damalige) britische Kronkolonie Hongkong. In Bangkok erfolgt nach 10 Stunden und 5 Minuten Flugzeit eine Zwischenlandung. Es ist der 26. Mai 1991. Cockpit- und Kabinenbesatzung werden in Thailand ausgewechselt. Die Rotation Bangkok - Hongkong - Bangkok wird von Kapitän Jürgen B. und dem Ersten Offizier Albrecht Z. durchgeführt, Andrea Sch. trägt die Verantwortung für die Kabine. Mit an Bord ist auf dieser Rotation außerdem der in Bangkok stationierte Techniker der Lauda Air (Name der Redaktion bekannt). Vor dem Start in Hongkong zurück nach Bangkok erhält der Flug die neue Nummer NG 004.

Sonntag, 26. Mai 1991: Mit den österreichischen Piloten Jürgen B. (Kapitän) und Albrecht Z. (Erster Offizier) im Cockpit startet das Flugzeug mit 125 Passagieren und 10 Besatzungsmitgliedern an Bord um 19:58 Uhr Lokalzeit (11:58 UTC) in Hongkong vom direkt im Hafen gelegenen berühmten Flughafen Kai Tak und nimmt Kurs auf den Don Muang International Airport der thailändischen Hauptstadt Bangkok. Wohl noch während sich die Maschine in der Luft befindet, checken in Bangkok bereits die ersten Passagiere für den Weiterflug nach Wien ein. Die Reise der "Mozart" verläuft bisher völlig problemlos, es gibt keine Auffälligkeiten. Die Landung in Bangkok erfolgt nach 2 Stunden und 24 Minuten Flugzeit um 21:22 Uhr Lokalzeit (14:22 Uhr UTC). Hier wird die Besatzung abermals ausgetauscht.

Entspannte Besatzung
Die Crew, die den Flieger jetzt übernimmt, hat einen entspannenden mehrtägigen Aufenthalt im sonnigen Thailand hinter sich. Selbst jetzt am Abend ist es immer noch angenehme 26 Grad warm, als die neue Besatzung die "Mozart" besteigt, um sie für die Rückreise nach Österreich vorzubereiten.

Für den Flug nach Wien steigen 88 Passagiere zu. Danach werden die Türen der Boeing 767 mit dem charakteristischen stilisierten doppelten roten "L" (für Lauda, Anm. d. Red., ein ähnliches Logo prangt - noch - an den Jets der Ryanair-Tochter LaudaMotion) am Seitenleitwerk werden das letzte Mal geschlossen. In der Kabine befinden sich jetzt 213 Passagiere - 89 Österreicher, die übrigen Reisenden stammen aus Hongkong, Thailand, China, Deutschland sowie der Schweiz - und acht Flugbegleiter.

Start nach Wien
Im Cockpit sitzen nun der US-amerikanische Kapitän Thomas Welch (48), ein verheirateter Vater von zwei erwachsenen Kindern (19 & 23 Jahre alt) und der Erste Offizier Josef Thurner (41), aus Donnerskirchen im Burgenland, der sich den Traum vom Fliegen erfüllt hat. Im Fliegerstüberl am Flugplatz Wiener Neustadt Ost (auf diesem Platz war Thurner auch als Fluglehrer tätig) wird noch Jahre später ein großes gerahmtes Bild von Josef "Sepp" Thurner im Cockpit der 767 an der Wand hängen. Thurner ist Vater einer kleinen Tochter.

Birgit W. (28) aus Kapfenberg (Stmk.) fungiert als Purserin von NG 004 und ist damit für die Kabinenbesatzung und den perfekten Serviceablauf an Bord hauptverantwortlich. Unterstützt wird sie dabei von Senior-Flugbegleiter Richard S. (26).

Insgesamt sind 223 Menschen an Bord der Boeing, darunter auch der österreichische Finanzexperte Clemens August Andreae, vier seiner Assistenten und fünfzehn Studenten der Universität Innsbruck, die eine Exkursion zum Finanzzentrum Hongkong unternommen hatten. Ebenfalls in der Maschine: Die Ungarin Katalin C., die unter falschem Namen als Milivojka A. reist und sich als Jugoslawin ausgibt. An der Unglücksstelle werden später die ungarischen Papiere der 29-Jährigen gefunden. Die Hintergründe darüber, warum C. unter falscher Identität an Bord ist, sind bis heute ungeklärt.

In der hell erleuchteten Kabine führen die Flugbegleiter vor dem Start die Sicherheitsdemonstration durch. Es geht vermutlich zu wie auf allen (Nacht-)Flügen: Etliche Passagiere schlafen, andere blättern in ihren Zeitungen. Nur wenige schenken der Cabin Crew ihre volle Aufmerksamkeit.

Vorne in der Kanzel gehen Welch und Thurner indes Punkt für Punkt ihre zahlreichen Checklisten durch, bereiten sich auf den etwa zehnstündigen Flug in die österreichische Hauptstadt vor. Welch war vor seiner Zeit bei Lauda Air für Eastern Airlines auf Boeing 727, 757 sowie 767 geflogen und besitzt zudem eine Berechtigung als Flugingenieur. Insgesamt verfügt er über eine Flugerfahrung von rund 11.800 Stunden. Josef Thurner ist seit 1985 im Besitz eines ATPL und hat eine Gesamtflugerfahrung von 6.500 Stunden.

Die Piloten holen die Streckenfreigaben und die Genehmigung zum Anlassen der beiden P & W 4060 Triebwerke ein. In der Kabine haben die Flugbegleiter nun alle Gepäckfächer geschlossen und ihre Sicherheitsdemo beendet. "Cabin secured", melden sie an das Cockpit und nehmen ihre Plätze ein. Alles ist wie immer, reine Routine. In ein paar Stunden würden sie die "Mozart" in Wien Schwechat verlassen, auschecken und sich zu Hause von dem anstrengenden Flug erholen.

Start in Bangkok
Um 22:45 Uhr Lokalzeit setzt sich die OE-LAV in Bewegung und erhält die Genehmigung, zur Startbahn 21L zu rollen. Nachdem die Mozart die Startfreigabe erhalten hat, schiebt Welch die Schubhebel nach vorne, setzt die vorher genau berechnete "Take Off Power". Die Turbinen heulen auf, das Flugzeug setzt sich in Bewegung. Beschleunigt. Zuerst langsam, dann immer schneller. V1 - die Entscheidungsgeschwindigkeit - wird erreicht. Dann ertönt im Cockpit das Wort "Rotate". Kapitän Welch zieht am Steuerhorn, und die 767-300ER mit der Flugnummer NG 004 verlässt den Boden ein letztes Mal, steigt in den dunklen Nachthimmel über Thailand. Zu diesem Zeitpunkt hat die erst rund eineinhalb Jahre alte "Mozart" exakt 7.444:02 Flugstunden und 1.135 "Cycles" absolviert.

Alles an Bord ist bis jetzt Routine. Es ist anzunehmen, dass sich die Flugbegleiter auf ihren Jumpseats unterhalten und den bevorstehenden Serviceablauf an Bord von Flug NG 004 ebenso besprechen wie Privates, denn wenn man oft tagelang zusammen auf Rotation ist, ergeben sich fast zwangsläufig auch zwischenmenschliche Bindungen.

Es ist jetzt 23:02 Uhr Lokalzeit. Noch 15 Minuten bis zur Katastrophe. Die Boeing befindet sich im Steigflug, die Passagiere freuen sich wahrscheinlich schon auf das bevorstehende Bordservice, für das Lauda Air berühmt ist. Viele der Reisenden haben wohl die Kopfhörer angesteckt und hören Musik, einige dösen oder schlafen wahrscheinlich. Alles ist wie immer auf diesem Flug.

Das Unheil nimmt seinen Lauf
Keiner der 213 Passagiere oder acht Flugbegleiter ahnt, dass im Cockpit, 5 Minuten und 45 Sekunden nach dem Start, die ersten Anzeichen der unmittelbar bevorstehenden Tragödie sichtbar werden. Auf den Bildschirmen vor den Piloten leuchtet nämlich die Warnung "REV ISLN" auf.

Die Mozart, aufgenommen am 19. Juli 1990 auf Gran Canaria - Foto: Werner Fischdick
Ein seltenes Bild: Die Boeing 767-300ER, "Mozart" der Lauda Air, aufgenommen am 19. Juli 1990 auf Gran Canaria - Foto: Werner Fischdick

Die 767 befindet sich gerade in einer Höhe von 11.000 Fuß. Die beiden Piloten beginnen (auf Englisch) ein Gespräch über mögliche Ursachen, Folgen und Konsequenzen der soeben aufgetretenen Fehlermeldung:

Erster Offizier: Scheiße

Kapitän: Die (Fehlermeldung, Anm. d. Red.) hält ... die geht an und wieder aus

Erster Offizier: Wir haben die Transition Altitude 1013 passiert (in dieser Höhe wird der Höhenmesser auf den Standardwert von 1013 hpa eingestellt, Anm.)

Kapitän: Ok

Kapitän: Was sagt das Handbuch zur Fehlermeldung?

Erster Offizier: (blättert im Handbuch, dem so genannten QRH) Zusätzliche Systemausfälle könnten eine Aktivierung der Schubumkehr im Flug verursachen. Gehen Sie von einer normalen Funktion der Schubumkehr nach der Landung aus.

Kapitän: Ok, schauen wir mal.

Erster Offizier: Soll ich das Bodenpersonal fragen?

Kapitän: Wie bitte?

Erster Offizier: Soll ich die Techniker fragen?

Kapitän: Ja, Sie können nachfragen. Es ist einfach, na ja, äh, nein, ist wahrscheinlich Feuchtigkeit oder so was drinnen.

Erster Offizier: Ja

Kapitän: Aber Sie wissen doch, es besagt nichts, es ist nur eine Hinweismeldung. Könnte Feuchtigkeit drinnen sein.

Erster Offizier: Sie müssen das Seitenruder etwas nach links trimmen

Kapitän: Ok, ok.

Der erste Offizier Josef Thurner beginnt jetzt, auf Deutsch Zahlen zu addieren. Vermutlich führt er Kalkulationen für den weiteren Verlauf der Flugstrecke nach Wien durch. Die vorangegangene Kommunikation mit dem amerikanischen Kapitän führte Thurner auf Englisch.

Die Boeing steigt weiter in den Nachthimmel über Bangkok, Kurs Wien.

Es ist jetzt 23:17 Uhr. Die "Mozart" befindet sich in einer Höhe von 24.700 Fuß, was ungefähr 7.500 Metern entspricht. Die Geschwindigkeit liegt bei Mach 0,78, etwa 700 Stundenkilometern. Mit Ausnahme der für die beiden Piloten scheinbar unbedeutenden Fehlermeldung gibt es keine Probleme im Cockpit.

Hinten in der Kabine haben die acht Flugbegleiter ihre Plätze zu diesem Zeitpunkt wahrscheinlich bereits verlassen und befinden sich in den Bordküchen, den so genannten Galleys. Dort bereiten sie alles für das Bordservice vor, das in Kürze beginnen und den Passagieren die Reise nach Wien so angenehm wie möglich gestalten soll. Schließlich ist Lauda Air bekannt für die delikaten Bordmenüs von Do & Co. Die Stimmung ist vermutlich gut, die Flugbegleiter - alle Anfang bis Ende Zwanzig - freuen sich schon auf die Heimat und darauf, ihre Freunde und Familien wiederzusehen.

Reverser deployed!
Doch dann schlägt das Schicksal von einer Sekunde auf die andere unerbittlich zu. Josef Thurner meldet seinem Kapitän noch: "Reverser deployed", also Schubumkehr ausgefahren.

Als die Schubumkehr sich öffnete erhielten die Piloten plötzlich die Anzeige "REV" für das linke Triebwerk, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew

Ein gewaltiger Ruck reißt Flug NG 004 plötzlich nach links zur Seite, mindestens 25 Prozent des Auftriebs an der linken Tragfläche brechen schlagartig zusammen. Auch am Höhen- und Seitenleitwerk reißt die Strömung ab. Der Cockpit Voice Recorder zeichnet das Geräusch berstenden Metalls auf. Die Maschine ist nicht mehr steuerbar. Die rund 180 Tonnen schwere Boeing 767-300ER geht unmittelbar nach dem Auffahren der Schubumkehr in einen unkontrollierten Sturzflug über.

Horror an Bord
Was sich in diesen Momenten an Bord der "Mozart" abspielt, muss grauenhaft sein und lässt sich allenfalls erahnen: Passagiere schreien höchstwahrscheinlich panisch auf. Flugbegleiter werden durch die Kabine geschleudert und auf den Boden geworfen. Vier Sekunden nach dem Ausfahren des Umkehrschubs ruft Kapitän Welch "Jesus Christ", drei Sekunden später heulen vier Warntöne gleichzeitig im Cockpit auf. Eine unübersichtliche und dramatisch-chaotische Situation für die vollkommen überraschten Piloten, die vermutlich nicht wissen, wie ihnen geschieht und die versuchen, den Überblick zu bewahren.

Die Männer im Cockpit nehmen zunächst den Schubhebel für das linke Triebwerk auf Leerlauf zurück, unterbrechen dann die Treibstoffzufuhr der Turbine und kämpfen verzweifelt um die Maschine und das Leben ihrer Passagiere.

Handgepäck, Trolleys und auch alle Menschen, die nicht angeschnallt sind, werden von den gewaltigen Kräften, die auf sie und das Flugzeug einwirken, durch den Rumpf geschleudert. Die übrigen Passagiere hängen entweder starr vor Schreck, vor Todesangst schreiend oder betend, ihren Gurten. Dem Unabwendbaren hilflos ausgeliefert. Freunde und Familien, aber auch Wildfremde, halten einander vermutlich die Hände; umarmen und drücken sich in ihrer Verzweiflung ganz fest, ehe sie durch den Druckverlust und die enormen Fliehkräfte gnädigerweise das Bewusstsein verlieren.

Eine Sekunde später verstummt eine der Warnsirenen im Cockpit um unmittelbar darauf wieder anzuschlagen - es ist die "Overspeed Warning", die bis zum Ende der Aufzeichnung nicht mehr verstummen wird. "Warte einen Moment", sagt Kapitän Welch auf Englisch zu seinem Copiloten. Und dann: "Verdammt". Der Cockpit Voice Recorder nimmt während dieser Zeit das immer stärker werdende Geräusch des Fahrtwindes auf - und das heftige, schwere Schnaufen der Piloten.

Das Ende
Nach langen 29 Sekunden Todeskampf im Sturzflug, während deren sich Höhen- und Seitenleitwerk aufgrund der enormen Belastung vom Flugzeug lösen, bricht die "Mozart" schließlich in einer Höhe von rund 4.000 Fuß (etwa 1.200 Meter) auseinander, nachdem sie fast Schallgeschwindigkeit erreicht hat. Die Aufzeichnung des Cockpit Voice Recorders endet mit dem infernalischen Kreischen berstenden Metalls, als der Rumpf der "Mozart" vollständig auseinander bricht. Ihre brennenden Überreste und die Insassen stürzen nahe der Grenze zu Burma, etwa 5,6 Kilometer von der thailändischen Ortschaft Phu Toey entfernt, in den unzugänglichen Dschungel. Die Explosion der "Mozart" wurde von der Besatzung eines im Landeanflug auf Bangkok befindlichen Delta Air Lines Fluges aus der Luft zufällige beobachtet.

"Ich sah einen großen orangen Feuerball. Der massive Feuerball fiel extrem schnell in einem zylindrischen Muster bis zu seinem Aufprall auf dem Boden."
Delta-Kapitän Donald Hallock (+ am 25. 12. 2020)

Auf dem oberen der beiden Monitore zwischen den Piloten leuchtete die Fehlermeldung
Auf dem oberen der beiden Monitore zwischen den Piloten leuchtete die Fehlermeldung "L REV ISLN VAL" auf (Symbolbild) - Foto: ZVG

Kapitän Thomas Welch, Erster Offizier Josef Thurner, die acht Mitglieder der Kabinenbesatzung und die 213 Passagiere sind tot. Der letzte Flug der "Mozart" hat nur rund 15 Minuten gedauert. Der Absturz war "nicht überlebbar", werden der thailändische und der österreichische Untersuchungsbericht später nüchtern feststellen. Die Insassen der "Mozart" kamen allesamt durch massive Traumata (so ist mehreren Obduktionsberichten beispielsweise die Rede davon, dass der Kopf des Opfers durch die beim Crash wirkenden Kräfte "hochgradig deformiert" gewesen sei.) zu Tode, wobei mehrere Personen, die auf der linken Rumpfseite im Bereich der Reihen 30 bis 37 saßen, zusätzlich auch Brandverletzungen aufwiesen. Zwei Opfer, so berichten es die Thailänder den österreichischen Behörden, seien "vollständig eingeäschert" im Dschungel entdeckt worden.

Die Nachricht erreicht Österreich
Zur gleichen Zeit ist es in Wien 18:17 Uhr. Weder in der Lauda Air Zentrale am Flughafen Wien, noch sonst wo in Österreich weiß man zu diesem Zeitpunkt - Internet ist im Jahr 1991 noch kein Thema - etwas von dem Drama, das sich gerade im nächtlichen Thailand abgespielt hat. Angehörige und Freunde der Passagiere wollen mitunter noch zeitig schlafen gehen, um ihre Lieben in den frühen Morgenstunden des 27. Mai - der Tag der geplanten Ankunft der "Mozart" in Wien - vom Flughafen Schwechat abzuholen.

Eines der größten Trümmerstücke der "Mozart" - Foto: Jenny Maaß
Eines der größten Trümmerstücke der "Mozart" - Foto: Jenny Maaß

Nach und nach sickern nun erste Informationen zunächst zu Lauda Air durch. Dann machen Gerüchte unter den Flughafenmitarbeitern die Runde. Um 22:57 Uhr die erste Meldung der APA:

"Ein österreichisches Verkehrsflugzeug ist am späten Sonntagabend in der Luft über Thailand explodiert."

Schließlich wird es Gewissheit, als der Österreichische Rundfunk sein Programm für eine Sondersendung, wie es sie in Österreich so noch nicht gegeben hat, unterbricht. ORF-Urgestein Hans Georg Heinke liest die Meldung vor, dass eine Maschine der Lauda Air kurz nach dem Start in Bangkok abgestürzt ist. Lauda Air Mitarbeiter werden von besorgten Freunden und Familienangehörigen mitten in der Nacht angerufen und von dem Absturz informiert.

"Wir waren damals so jung und hatten noch Pläne. Einige der Crew wollten mit dem Fliegen aufhören, um mehr Zeit daheim verbringen zu können. Die Nachricht hat mich tief getroffen, ich kannte ja fast alle von der Besatzung persönlich", erinnert sich eine ehemalige Lauda Air Stewardess.

Die Arbeiten an der Absturzstelle waren eine enorme psychische und physische Belastung für die Helfer - Foto: ZVG
Die Arbeiten an der Absturzstelle waren eine enorme psychische und physische Belastung für die Helfer - Foto: ZVG

Millionen Menschen vor den Fernsehgeräten können es nicht fassen, starren ungläubig auf den Bildschirm, wollen das soeben Gehörte und Gesehene nicht glauben. Können es einfach nicht. In den Nachrichten- und Zeitungsredaktionen der Alpenrepublik glühen die Telefone, laufen die Fernschreiber heiß. Verzweifelte Angehörige versuchen, über den Flughafen und Lauda Air weitere Informationen zu bekommen. Doch die aus Asien eintreffenden Meldungen geben keinen Grund zur Hoffnung. Rasch wird auch für die Menschen in Österreich klar, dass diese Katastrophe niemand überlebt haben kann. Auf den Anzeigetafeln am Flughafen Wien Schwechat wird Flug NG 004 aus Bangkok am nächsten Morgen nicht aufscheinen.

Bundespräsident Kurt Waldheim wird um 00:20 Uhr offiziell von dem Unglück unterrichtet, kurz nach 1 Uhr Früh richtet der Flughafen Wien eine eigene Telefonnummer für Angehörige der Passagiere ein. Um 2 Uhr treffen die ersten Freunde und Familienmitglieder von Passagieren auf dem Flughafen Wien Schwechat ein. Sie werden in den Sondergastraum geführt und streng von der Presse abgeschirmt.

Die Hoffnungen und Träume von 223 Menschen fanden an Bord der "Mozart" ein jähes und brutales Ende - Foto: ZVG
Die Hoffnungen und Träume von 223 Menschen fanden an Bord der "Mozart" ein jähes und brutales Ende - Foto: ZVG

An der Unglücksstelle
In den folgenden Wochen und Monaten werden Trümmer und Leichenteile geborgen - bei 30 Grad Hitze und 90 Prozent Luftfeuchtigkeit ist der Verwesungsgestank, der über dem ganzen Areal liegt, schon nach wenigen Stunden unerträglich. Die Zustände vor Ort sind für die Hinterbliebenen, die ihre Lieben identifizieren wollen oder müssen, eine enorme physische und psychische Belastung. Zumal die bitterarmen Thais, die eigentlich bei der Bergung der Leichen helfen sollen, den Opfern das Bargeld, Uhren und Schmuck stehlen - vor den Augen der Polizisten und Soldaten, die die Trümmer eigentlich bewachen sollen.

Die linke Tragfläche der OE-LAV - Foto: ZVG
Die linke Tragfläche der OE-LAV - Foto: ZVG

"Niemand konnte diesen Leuten Einhalt gebieten, sie rissen den Toten sogar noch die Ringe von den Fingern", erzählte Niki Lauda, der selbst an die Absturzstelle gereist war, später einmal.

Das Szenario an der Unglücksstelle erinnerte an einen Horrorfilm - überall bis zur Unkenntlichkeit verstümmelte und verbrannte Leichen oder einzelne Leichenteile, einige - so wie Kapitän Welch - hängen noch angeschnallt in ihren Sitzen. Rundherum verkohlte Trümmer, dazwischen scheinbar unversehrtes Reisegepäck, Souvenirs, Bordgeschirr, Besteck,Flaschen aus der Bordbar.

Die oberösterreichische Journalistin Jenny Maaß beschreibt die sich ihr damals, zwei Monate nach dem Unglück, darstellende Situation auf ihrer Homepage so:

"Da und dort ein Flugzeugsitz, ein einzelner Schuh, ein schwarzer Badeanzug hängt auf einem Ast, Unterwäsche liegt herum. Und zwischen großen Flugzeugteilen und einem Stück des Cockpits der abgerissene Kopf eines kleinen Teddybären, der einem Kind an Bord gehört hatte. Den Anblick empfinde ich so unmittelbar, als wäre das Unglück gerade geschehen. Es gräbt sich schmerzhaft in die Seele ein und ich muss manchmal die Augen schließen, um nicht zu weinen."

Polizei und Armee bewachten die Trümmer - Foto: Jenny Maaß
Polizei und Armee bewachten die Trümmer - Foto: Jenny Maaß

Massengrab für 43 Opfer
Trotz aller Bemühungen können 43 Opfer der Katastrophe nicht mehr identifiziert werden, darunter auch ein Mitglied der achtköpfigen Kabinenbesatzung. Sie alle finden ihre letzte Ruhestätte auf dem "Lauda Air Friedhof" im Tha Sadej Sub-Distrikt von Supan Buri, 90 Kilometer entfernt von der Absturzstelle. Dort ist zusätzlich eine Gedenktafel mit den Namen aller Passagiere und Besatzungsmitglieder von Flug NG 004 angebracht.

Ein Sitz aus der Passagierkabine der "Mozart" - Foto: Jenny Maaß
Ein Sitz aus der Passagierkabine der "Mozart" - Foto: Jenny Maaß

Das Areal für den Friedhof mit Gedenkstätte war von entfernten Verwandten des Gouverneurs von Chiang Mai erworben worden, der sich selbst mit seiner Frau und sechs weiteren Familienmitgliedern an Bord des Todesfluges befunden hatte. Er war das letzte Mitglied der königlichen Familie des historischen Nordens Thailands, Lanna oder Chiang Mai. Mit dem Tod Pairat Deharins und seiner gesamten Familie wurde die königliche Lanna-Dynastie ausgelöscht, die viele hundert Jahre zurückreichte.

Die Ursachenforschung
Nach dem Unglück stellte man sich im geschockten Österreich, ja auf der ganzen Welt, die Frage, wie es denn überhaupt sein konnte, dass eines der modernsten Flugzeuge der Welt keine 20 Minuten nach dem Start ohne Notruf einfach so vom Himmel gestürzt war. Thailand ist bekannt für Drogenanbau und -schmuggel. Schnell kamen Gerüchte auf, es sei ein Bombenattentat gewesen, denn an Bord von NG 004 befand sich auch der 43-jährige Donald McIntosh, ein UN-Drogeninspektor. Doch diese Spur führte ins Nichts.

Die Ermittler konzentrierten sich, wie bei Abstürzen üblich, auf die Suche nach dem Cockpit Voice Recorder sowie dem Flugdatenschreiber - und wurden fündig. Unglücklicherweise hatte der Flugdatenschreiber den Aufschlagsbrand nicht überstanden, die Daten waren nicht mehr auswertbar.

Der "Lauda Air Friedhof" in Thailand - Foto: Daduschu / Wiki Commons
Der "Lauda Air Friedhof" in Thailand - Foto: Daduschu / Wiki Commons

Mehr Glück hatten die Experten dagegen mit dem Cockpit Voice Recorder. Durch ihn und den Umstand, dass man die Überreste des linken Triebwerks mit geöffneter Schubumkehr an der Absturzstelle fand, wussten die Ermittler, dass während des Fluges ein Problem mit diesem, bei der Boeing 767 nur für den Einsatz am Boden konzipierten, Bremssystem aufgetreten sein musste.

Rund 1.200 Meter über dem Boden zerbrach die OE-LAV; die Trümmer stürzten in den Dschungel nahe der Grenze zu Burma - Foto: Jenny Maaß
Rund 1.200 Meter über dem Boden zerbrach die OE-LAV; die Trümmer stürzten in den Dschungel nahe der Grenze zu Burma: Millionen Österreicher sahen diese Bilder im Fernsehen und konnten es nicht fassen - Foto: Jenny Maaß

Doch das allein konnte den Absturz keinesfalls ausgelöst haben, so dachte man. Schließlich galt ein Ausfahren des Umkehrschubes während des Fluges allgemein als beherrschbares technisches Problem, dessen Handling Testpiloten mit Flugzeugen vor der Zulassung und Crews im Simulator immer wieder üben mussten. Bei einigen Flugzeugen, hier sind beispielsweise die DC-8 und die sowjetische IL 62 zu nennen, ist die Verwendung der Schubumkehr sogar während des Fluges zur Geschwindigkeitsreduktion ausdrücklich erlaubt.

Die linke Turbine am Absturzort - Foto: ZVG
Die linke Turbine am Absturzort - Foto: ZVG

Auch Niki Lauda selbst flog zusammen mit seinem damaligen Chefpiloten Hans Jörg Stöckl (dem Gründer von Montana Austria) diesen Zustand im Simulator nach und erklärte in einem Interview mit dem angesehenen deutschen "Spiegel"-Magazin anschließend: "Ich bin selbst Pilot und weiß: Mit der Schubumkehr stürzt man nicht ab. Die Schubumkehr kann ein Auslöser gewesen sein, für zwei, drei weitere Fehler, die dann - vielleicht - den Flieger zum Absturz gebracht haben." Lauda sollte nicht wissen, wie Recht er damit zu seinen eigenen Ungunsten haben sollte - dazu später mehr.

Falsche Berechnungen bei der Erprobung und Zulassung
Wenige Monate später führte Boeing im Windkanal Versuche mit einem Boeing 777 Modell durch (ein maßstabsgetreues Model der 767 stand nicht zur Verfügung), deren Ergebnisse für die ähnlich konstruierte 767 hochgerechnet wurden - das Ergebnis war erschütternd: Fährt die Schubumkehr bei 900 Stundenkilometern aus, so hat dies eine Drehung des Flugzeugs um die Längsachse mit 30 Grad pro Sekunde zur Folge. Selbst der Cheftestpilot von Boeing war nicht in der Lage, ein derart außer Kontrolle geratenes Flugzeug wieder zu stabilisieren und stürzte - glücklicherweise nur im Simulator - ab.

Die Unglücksstelle lag im dichten Dschungel: Um Opfer und Wrackteile bergen zu können, wurde in Rekordzeit eine Straße - die so genannte "Lauda Road" - gebaut - Foto: Jenny Maaß
Die Unglücksstelle lag im dichten Dschungel: Um Opfer und Wrackteile bergen zu können, wurde in Rekordzeit eine Straße - die so genannte "Lauda Road" - gebaut - Foto: Jenny Maaß

Wie aber konnte die Boeing 767 dann überhaupt zugelassen werden? Schließlich schreibt die US Luftfahrtbehörde FAA vor, dass die unbeabsichtigte Aktivierung der Schubumkehr während des Fluges nicht dazu führen darf, dass ein Flugzeug unkontrollierbar wird.

Die Geschwindigkeit während des Reisefluges und ein Rechenfehler waren die Antwort auf diese Frage - bei den Zulassungsverfahren wurde während des Testfluges in einer Höhe von rund 3.500 Metern bei einer Geschwindigkeit von etwa 500 km/h die Schubumkehr ausgefahren. Jedes Mal gelang es den Testpiloten, das Flugzeug zu stabilisieren und sicher zu landen. Die Resultate dieser Flüge wurden danach mittels Computer hochgerechnet, die Ergebnisse von der Aufsichtsbehörde akzeptiert.

Auf Fotowänden versuchten Angehörige, die Opfer anhand von Kleidung und Habseligkeiten zu identifizieren - Foto: Jenny Maaß
Auf Fotowänden versuchten Angehörige, die Opfer anhand von Kleidung und Habseligkeiten zu identifizieren - Foto: Jenny Maaß
Kleidung, Uhren, Schuhe, Schmuck, Spielzeug oder Stoffteddy - alles wurde eingesammelt und in Jutesäcke verpackt - Fotos: Jenny Maaß

Doch diese Berechnungen waren schlichtweg falsch: Denn bei einer Aktivierung der Schubumkehr im Reiseflug bei 900 km/h bricht an der betroffenen Tragfläche der Auftrieb um 25 Prozent zusammen, und zusätzlich reißt die Strömung am Höhen- und am Seitenleitwerk ab, was das Flugzeug gänzlich unkontrollierbar macht, wie man nun wusste.

Die unmittelbaren Konsequenzen
Als sofortige Reaktion auf diese Untersuchungsergebnisse ordnete die FAA an, dass bei sämtlichen mit P & W Triebwerken der Baureihe 4000 ausgerüsteten Boeing 767 die Schubumkehr mechanisch blockiert werden musste, bis Boeing die Systemphilosophie und die Designdetails grundlegend überarbeitet hatte. Ähnliches galt auch für Flugzeuge des Typs Boeing 747-400. Bei sämtlichen Boeing 757 mussten die Elektrik überprüft und das Solenoidventil der Schubumkehr ausgetauscht werden.

Eine Überprüfung nach denselben Kriterien wurde auch für die Boeing 737 - das meistverkaufte Verkehrsflugzeug - angeordnet, obwohl dieses "mutmaßlich nicht von der latenten Fehlerquelle im Schubumkehrsystem betroffen ist".

Kleidung, Uhren, Schuhe, Schmuck, Spielzeug oder Stoffteddy - alles wurde eingesammelt und in Jutesäcke verpackt - Fotos: Jenny Maaß

Offenbar war der Absturz der "Mozart" also auf einen Konstruktionsfehler aus dem Hause Boeing zurückzuführen. Niki Lauda sah es ebenfalls so: "Der Endbericht (der thailändischen Untersuchungskommission, Anm. d. Autors) wird ganz klar belegen, wie es zu dem Absturz gekommen ist, und uns einen Persilschein ausstellen", erklärte er gegenüber dem Nachrichtenmagazin "profil" (Ausgabe 48, 1992, Seite 24).

Der Bericht der thailändischen Untersuchungskommission
Die offizielle thailändische Untersuchungskommission kam in ihrem Abschlussbericht zu dem Schluss, dass "ein Abfangen des Flugzeuges nach dem Ausfahren der Schubumkehr für die Besatzung nicht möglich war" und nennt als mögliche Ursache für das Unglück das "ungewollte Öffnen des Schubumkehrers am linken Triebwerk, was zu einem Verlust der Flugpfadkontrolle führte".

Zur Ursache für das Öffnen der Schubumkehr konnten die Thais keine genaue Angaben machen: "Die genaue Ursache für das Öffnen der Schubumkehr konnte nicht eindeutig ermittelt werden."

"Die genaue Ursache für das Öffnen der Schubumkehr konnte nicht eindeutig ermittelt werden."
Die thailändische Untersuchungskommission

Außerdem stellten die Ermittler fest, dass Lauda Air Wartungsarbeiten "nicht immer in Einklang mit den Vorschriften des Herstellers Boeing" durchgeführt habe.

Seit Monaten hatte es nämlich immer wieder die gleiche Fehlermeldung im Bordcomputer der "Mozart" gegeben, ohne, dass die Techniker der Lauda Air den Hersteller Boeing darüber informiert hatten, obwohl sie das Problem offensichtlich nicht dauerhaft lösen konnten.

Österreichische Untersuchungen
Die Staatsanwaltschaft Wien gab bei dem renommierten Wiener Universitätsprofessor DDipl. Ing. Dr. Ernst Zeibig jedenfalls ein Gutachten in Auftrag, das Brisantes enthält. Auf Anfrage bestätigte Professor Zeibig, dass er auch heute noch zu allen damals gelangten technischen Schlussfolgerungen seiner Arbeit steht. Auf den Inhalt selbst dürfe er jedoch nicht eingehen, da die Staatsanwaltschaft, in deren Auftrag er das Gutachten erstellt habe, dafür keine entsprechende Freigabe erteilt habe.

Im Jahr 1994 - drei Jahre nach dem Absturz - gelangte das besagte Gutachten allerdings über Umwege in die Hände des international anerkannten Luftfahrtexperten Tim van Beveren, der unter anderem für Süddeutsche Zeitung, Spiegel, Focus, Die Welt, Die Zeit, Stern, Flight International sowie Air Safety Week Artikel verfasst und Fernsehdokumentationen zum Thema Luftfahrt produziert. Darüber hinaus war er im Jahr 1996 als Gutachter für die Staatsanwaltschaft Frankfurt a.M. im Zusammenhang mit dem Absturz der Birgenair vor der Küste der Dominikanischen Republik tätig.

Ein thailändischer Ermittler erklärt während einer Pressekonferenz die Funktionsweise der Schubumkehr - Foto: Jenny Maaß
Ein thailändischer Ermittler erklärt während einer Pressekonferenz die Funktionsweise der Schubumkehr - Foto: Jenny Maaß

Auszüge aus Professor Zeibigs Gutachten veröffentlichte van Beveren 1997 in einem seiner Bücher. Auch Austrian Wings ist im Besitz des vollständigen Gutachtens.

Darin heißt es unter anderem, dass der Gutachter, Professor Zeibig, "einige dringend benötigte Unterlagen nur mit gerichtlicher Hilfe, unter Androhung einer Hausdurchsuchung" überhaupt von Lauda Air erhalten habe.

"Einige dringend benötigte Unterlagen wurden nur mit gerichtlicher Hilfe, unter Androhung einer Hausdurchsuchung von Lauda Air herausgegeben."
Aus dem Gutachten von Professor Zeibig

Doch auch bei der offiziellen thailändischen Untersuchung seien wichtige Unterlagen zehn Tage lang ungesichert bei Lauda Air verblieben, ehe sie beschlagnahmt werden konnten. Van Beveren zitierte in diesem Zusammenhang mit Johann Rausch einen ehemaligen Präsidenten des Bundesamtes für Zivilluftfahrt: "Internationale Gepflogenheit ist es, sofort alle Unterlagen sicherzustellen. Dass es hier zehn Tage gedauert hat, dazu gebe ich keinen Kommentar." Günther Raicher, Chef der Flugunfallbehörde, sagte dem Nachrichtenmagazin "profil" (Ausgabe 48/1992, Seite 24) zufolge: "Ich hatte schon die Absicht, das Papier zu holen, aber keine gesetzliche Handhabe. Bei Lauda wurde uns damals gesagt, dass man zur Herausgabe nur gegenüber der Internationalen Kommission verpflichtet und bereit wäre."

"Internationale Gepflogenheit ist es, sofort alle Unterlagen sicherzustellen. Dass es hier zehn Tage gedauert hat, dazu gebe ich keinen Kommentar."
Johann Rausch, Präsident Bundesamt für Zivilluftfahrt

Laut van Beveren untersuchte die offizielle thailändische Kommission die Wartungsunterlagen und Logbücher der Mozart gerade einmal acht Stunden lang - vier Stunden am 19. Juni 1991 und nochmals vier Stunden am 23. Juni, während sich Professor Zeibig über ein Jahr lang mit der gesamten Materie befasste.

Technisches Logbuch unvollständig
So fehlten 25 Seiten des technischen Logbuches vom Zeitraum 27. Mai bis 8. Juni 1990 und eine Arbeitskarte in den Dokumentationsunterlagen des C-Checks. Van Beveren schreibt, dass die betreffende Arbeitskarte "offenbar am 31. Mai 1991, also nach dem Absturz entnommen wurde."

Die EEC Fehlermeldungen
"Schlampen, Pfuschen und Vertuschen - der letzte Flug der 'Mozart', oder: 61 Fehlermeldungen bis zum Crash" (Tim van Beveren)

Den "Persilschein", von dem Niki Lauda so überzeugt war, stellten die technischen Experten der Lauda Air allerdings nicht aus - ganz im Gegenteil, die Fachleute deckten Schlampereien und Wartungsmängel bei Lauda Air auf. Boeing gelang es, die Daten des unbeschädigten EEC-Speichers (einer Art Bordcomputer, wo aufgetretene Fehler ausgelesen werden können, ähnlich wie bei modernen Autos) der linken Turbine auszulesen und entdeckte, dass es zwischen dem 27. April 1991 und dem 26. Mai 1991, dem Tag des Absturzes, 26 Mal die Fehlermeldung "Reverser Cross Check Fault" und 35 Mal die Fehlermeldung "Local Reverser Position Fault", insgesamt also 61 Fehlermeldungen die Schubumkehr betreffend, gegeben hatte. Die gleichen Fehlermeldungen wurden dann auch noch während des letzten Fluges der Mozart registriert. Ein Umstand, der laut van Beveren im Bericht der thailändischen Untersuchungskommission aber noch nicht einmal Erwähnung findet.

Während das EEC die Meldung "Reverser Cross Check Fault" unmittelbar vor dem Absturz aufzeichnete, war das Problem "Local Reverser Position Fault" sogar noch am Boden in Bangkok aufgetreten.

Doch bereits seit dem 28. Dezember 1990 - also 6 Monate vor dem Unglück - war es immer wieder zu Fehlermeldungen an der Schubumkehr gekommen, was auch von den thailändischen Ermittlern festgestellt wurde.

Sowohl Zeibig als auch die thailändischen Ermittler seien zu dem Schluss gekommen, dass die Techniker der Lauda Air sich dabei nicht an die Herstellervorschriften zur Fehlerbehebung gehalten haben, schreibt Tim van Beveren.

Auf unzähligen Seiten ist im Gutachten zu lesen, wie die laut aktenkundigen Aussagen massiv unter Zeitdruck stehenden Techniker der Lauda Air mit teils komplett falschen Maßnahmen versuchten, das Problem zu beheben - Foto: Austrian Wings Media Crew

Lauda Air habe beispielsweise Fehlermeldungen ohne Ursachenanalyse einfach wieder gelöscht, Wartungsmaßnahmen nicht wie vorgeschrieben im technischen Logbuch verzeichnet, angefangene Fehlerbehebungsmaßnahmen nicht zu Ende geführt, Messergebnisse, obwohl sie außerhalb des zulässigen Bereichs lagen, als in Ordnung befunden und sogar unsinnige Wartungsmaßnahmen durchgeführt, die vom Hersteller Boeing gar nicht vorgesehen sind, lauten die schwerwiegenden Vorwürfe des Experten.

Boeing sei bei all diesen Problemen nie kontaktiert oder um Rat gefragt worden, schreibt der deutsche Fachmann weiter und zitiert Niki Lauda nach "profil" (Ausgabe 45/1992, Seite 34): "Dass da ein Boeing Mann in Wien ist, das ist zwar schön und freut uns alle, aber ich muss überhaupt nicht zu dem gehen, denn ich habe meinen eigenen Wartungsbetrieb und das Boeing Manual zur Fehlersuche."

"Die Mozart hätte gar nicht fliegen dürfen!"
Gutachter Zeibig kam jedenfalls zu dem Schluss, dass die "Mozart", so wie sie am 26. Mai 1991 von Bangkok nach Wien gestartet ist, gar nicht mehr hätte fliegen dürfen und begründete dies wie folgt: Am 23. Juli 1990, 10 Monate vor dem Unglücksflug, gab es eine Fehlermeldung im Bordcomputer der "Mozart": "Air/Ground Disagree", was bedeutet, dass einige Flugzeugsysteme erkannt haben, dass das Flugzeug am Boden ist, während es andere in der Luft wähnten.

Dieser Fehler stelle gemäß Minimum Equipment List und Dispatch Deviation Guide (DDG) eine Statusmeldung dar, die eine weitere Inbetriebnahme des Flugzeuges ohne vorherige Reparatur verbietet. Aus den Wartungsunterlagen gehe jedoch nicht hervor, ob und wann diese Meldung gelöscht wurde und ob bzw. welche Reparaturmaßnahmen durchgeführt wurden. Dieser Verstoß, so schreibt es van Beveren unter Berufung auf Professor Zeibig, bestand wegen einer späteren gleichlautenden Fehlermeldung auch zum Zeitpunkt am Tage des Absturzes, da die Ursache für diese Fehlermeldung nicht behoben oder dies zumindest nicht dokumentiert und nachvollziehbar war.

Auszug aus dem Gutachten, das belegt, dass die "Mozart" aufgrund von Wartungsmängeln am Unglückstag gar nicht mehr hätte starten dürfen - Foto: Austrian Wings Media Crew

Einige Monate nach diesem Vorfall, am 28. Dezember 1990, erhielt ein Techniker beim Messen des elektrischen Widerstandes der EEC Messwerte im nicht mehr zulässigen Bereich. Der entsprechende Fehler hätte laut MEL binnen 500 Flugstunden behoben werden müssen. Anderenfalls hätte die "Mozart" nicht mehr fliegen dürfen. Bis zum 25. Januar 1991 trat das gleiche Problem noch weitere drei Mal auf. Seit dem ersten Auftreten am 28. Dezember waren 495 Betriebsstunden vergangen, doch die "Mozart" wurde auf den 30-stündigen Flug Wien - Sydney - Wien geschickt.

Van Beveren: "Dieser Verstoß gegen die Minimum Equipment List, die wie gesagt eine Art Gesetzescharakter hat, bestand auch am Tag des Unglücksfluges." (aus: "Runter kommen sie immer - Die verschwiegenen Risiken des Flugverkehrs, Seite 77f).

Ein Teil der Außenhaut der Mozart, fotografiert im Jahr 2009 an der Absturzstelle - Foto: ZVG
Ein Teil der Außenhaut der Mozart, fotografiert im Jahr 2009 an der Absturzstelle - Foto: ZVG

Im Zeitraum zwischen 5. und 15. Mai 1991 - also kurz vor dem Todesflug - wurde in den Wartungsunterlagen der "Mozart", unüblicherweise ohne Datum, vermerkt, dass der äußere Verriegelungsmechanismus des linken Triebwerkes funktionsuntüchtig war. Demnach hätte die Schubumkehr gemäß der MEL mechanisch deaktiviert werden müssen. Eine solche Maßnahme sei jedoch nirgendwo in den Unterlagen vermerkt worden, hieß es. Bis zum 25. Mai 1991 - einen Tag vor dem Absturz - seien die Verriegelungsmechanismen des linken Schubumkehrers mehrfach ausgetauscht worden. Der Vorwurf: Von den Lauda Air Technikern seien hierbei "gravierende Fehler" gemacht worden.

Laut Zeibig wäre es spätestens jetzt, nachdem diese Form der Fehlerbehebung nicht den gewünschten Erfolg gebracht hatte, an der Zeit gewesen, den Hersteller Boeing zu kontaktieren.

"Überall mischt der NIki sich ein. Meist war das Ergebnis, dass eine Maschine im Zweifel fliegt."
Ein Lauda Air Techniker

Doch in der Technik war der "lange Arm" des Chefs gefürchtet: "Überall mischt der Niki sich ein", zitiert van Beveren einen Techniker und schreibt weiter: "Meist war das Ergebnis: Im Zweifel fliegt eine Maschine, weil Stehzeiten, Flugausfälle oder Ersatzflüge einer kleinen Fluggesellschaft besonders wehtun." Lauda Air verfügte damals nur über zwei Boeing 767-300ER für die Langstreckenflotte. Ein außerplanmäßiger Werftaufenthalt der "Mozart" hätte einen Kapazitätsausfall von 50 Prozent bedeutet.

"Da seitens der Operationsplanung bei Lauda Air der Zeitraum für die Wartung immer knapper bemessen wurde, mussten die Wartungsarbeiten in wesentlich kürzerer Zeit durchgeführt werden, als bei anderen Fluglinien aus Sicherheitsgründen dafür vorgesehen ist. Grund dafür ist der rein ökonomische Standpunkt, der von Niki Lauda befürwortet wird."
Ein ehemaliger leitender Techniker der Lauda Air gegenüber der Staatsanwaltschaft Wien

"Ich konnte aus Angst, es könnte etwas passieren, schon (vor dem Absturz) nicht mehr schlafen. Daher habe ich meiner Familie aus Sicherheitsgründen verboten, mit Maschinen der Lauda Air zu fliegen."
Ein ehemaliger leitender Techniker der Lauda Air gegenüber der Staatsanwaltschaft Wien

"Nachdem er (der oberhalb zitierte Techniker, Anm. d. Red.) mehrmals auf diese Unzulänglichkeiten (bei der Wartung, Anm. d. Red.) hingewiesen hatte und gleichzeitig darauf aufmerksam machte, dass seines Erachtens nach die Wartungsarbeiten an den Flugzeugen bei diesem Zeitdruck nicht mehr mit der gebotenen Genauigkeit zu bewerkstelligen sind und er dies nicht mehr mitmache, seine Warnungen aber von Niki Lauda einfach negiert wurden, stellte Ing. (Name der Redaktion bekannt) seine Arbeitstätigkeit bei Lauda Air ein."
Aus dem Akt der Staatsanwaltschaft Wien zum Absturz der "Mozart"

Airlineboss Niki Lauda schlug laut aktenkundigen Aussagen von leitenden Technikern Warnungen über mangelhafte Wartung der Flugzeuge in den Wind - Foto: Austrian Wings Media Crew
Bei der Staatsanwaltschaft Wien gab ein früherer leitender Techniker der Lauda Air zu Protokoll, dass die fragwürdigen Zustände bei der Airline von Niki Lauda den "entsprechenden Stellen" schon vor dem Unglück bekannt gewesen seien - Foto: Austrian Wings Media Crew

Als die Belegschaft der Lauda Air im Anschluss an den Absturz unter anderem von der Staatsanwaltschaft Wien befragt wurde, hatten also scheinbar sogar Führungskräfte Angst vor einer Aussage. In einem Austrian Wings vorliegenden Gerichtsakt notierte der Staatsanwalt, der den oben zitierten Techniker vernahm, folgendes:

"Bei einer telefonischen Kontaktaufnahme in seinem Büro (...) gab Ing. (Name der Redaktion bekannt) nach Vorhalt des Sachverhaltes an, dass er gerne zur Beantwortung von Fragen bereit sei, nur habe er vor einer niederschriftlichen Einvernahme Angst, da er wirtschaftliche Repressalien fürchte, wenn er öffentlich gegen Lauda Air aussagen würde. Denn er wisse, dass Herr Lauda gute Kontakte zu Personen in wirtschaftlichen und politischen Kreisen habe."
Aktennotiz der Staatsanwaltschaft Wien

Anmerkung der Redaktion: Der betreffende leitende Mitarbeiter der Lauda Air Technik (Name der Redaktion bekannt) hatte die Fluglinie aufgrund der von ihm selbst bei der Staatsanwaltschaft Wien geschilderten Sicherheitsbedenken bereits vor dem Absturz der "Mozart" verlassen. Zum Zeitpunkt seiner Einvernahme arbeitete er als Geschäftsführer eines Unternehmens.

Der Beweis: Aus der Niederschrift der Staatsanwaltschaft Wien geht hervor, dass Zeugen Angst hatten, über die Zustände bei Lauda Air zu berichten - Foto: Austrian Wings Media Crew

Fehlermeldung am Tag des Absturzes
Am 26. Mai 1991 vermerkte der zuständige Lauda Air Techniker (Name der Redaktion bekannt) in Bangkok vor dem letzten Start der "Mozart" auf einer Transit Check Karte, dass am EICAS Monitor die Meldung "L ENG EEC C2" aufschien, was der "endgültige Beweis" dafür sei, dass die bis zu diesem Zeitpunkt versuchte Fehlerbehebung nicht erfolgreich abgeschlossen war. Aus diesem Grund hätte die "Mozart" gemäß der MEL und des DDG Bangkok nicht verlassen dürfen.

Beim Absturz wurde die Boeing 767 vollkommen zerstört - Foto: Jenny Maaß
Beim Absturz wurde die Boeing 767 vollkommen zerstört; ein Gutachter vertrat die Meinung, dass die Maschine am Unglückstag gar nicht hätte fliegen dürfen - Foto: Jenny Maaß

Zusammengefasst kam Gutachter Zeibig bei der Begutachtung der Wartungsaktivitäten am Unglücksflugzeug laut van Beveren zu folgendem Schluss:

"Die durchgeführten Wartungsmaßnahmen waren zum Teil nicht sinnvoll, weil sie nicht zum erhofften Erfolg führen konnten, und zum Teil sicherheitstechnisch bedenklich. Die Dokumentation der Fehlermeldungen war in mehreren Fällen mangelhaft. Dadurch wurde gegen die internen Richtlinien der Lauda Air verstoßen und gegen die Erfordernisse für den sicheren Betrieb eines Luftfahrzeuges."

Leitungsschaden schuld am Unglück?
Aufgrund des hohen Zerstörungsgrades des Wracks konnte die thailändische Untersuchungskommission, wie zuvor beschrieben, die genaue Ursache für das Auslösen der Schubumkehr nicht mehr ermitteln. Professor Zeibig glaubt laut seinem von Tim van Beveren auszugsweise veröffentlichten Gutachten jedoch, dass "höchstwahrscheinlich ein Leitungsschaden an der Verkabelung" der Grund für die diversen Fehlermeldungen und schließlich das Auffahren der Schubumkehr gewesen ist.

Die Transit Check Karte der "Mozart" vom Tag des Absturzes: rechts unten hat der Lauda Air Techniker die Fehlermeldung "L ENG EEC C2" handschriftlich vermerkt - Scan: ZVG
Die Transit Check Karte der "Mozart" vom Tag des Absturzes: Rechts unten hat der Lauda Air Techniker in Bangkok noch kurz vor dem Start der Maschine die Fehlermeldung "L ENG EEC C2" handschriftlich vermerkt - Scan: ZVG

Selbst die offizielle Untersuchung hatte nämlich zutage gefördert, dass an baugleichen Flugzeugen von Delta, United, China Air und SAS solche Durchscheuerungen von elektrischen Kabeln vorhanden waren.

Laut Gutachter Zeibig führte ein elektrischer Leitungsschaden "mit großer Wahrscheinlichkeit" zur Aktivierung der Schubumkehr - Foto: Austrian Wings Media Crew

"Jeder wusste über die Zustände bei Lauda Air Bescheid, auch die entsprechenden Stellen. Nur der allgemeine Tenor war, dass ja noch nichts passiert sei und man einer jungen aufstrebenden Fluggesellschaft eine Chance geben muss, sich zu behaupten - vor allem unter dem Aushängeschild Niki Lauda."
Ein ehemaliger leitender Techniker der Lauda Air, zur Staatsanwaltschaft Wien

Eine Schwestermaschine der verunglückten Mozart - Foto: Alastair T. Gardiner
Eine Schwestermaschine der verunglückten Mozart - Foto: Alastair T. Gardiner

Am 6. März 1991 untersuchten Lauda Air Techniker die betreffenden Kabelstränge der OE-LAV, allerdings nicht vollständig.

Qualifikationen der Piloten
"Doppelte Buchführung bei Überprüfungsflügen?" (Tim van Beveren)

Doch auch bei den Unterlagen der Piloten stieß Zeibig auf Ungereimtheiten. So lag beim Bundesamt für Zivilluftfahrt das Formular eines der letzten Checkflüge des Copiloten Josef Thurner auf. In der Spalte "Bemerkungen" fanden sich keine Eintragungen. In den internen Papieren von Lauda Air, die nach dem Unfall beschlagnahmt worden waren, fand Zeibig jedoch ein zweites Formular, demzufolge Thurner "keine Vorstellung von Anflugprofilen, Flugverfahren und Geschwindigkeitsbegrenzungen" hatte.

Nach einem weiteren Flug im Simulator wurde wiederum ein Formular ohne Bemerkungen an die Behörde weitergeleitet, während sich in den internen Aufzeichnungen der Lauda Air die Zusätze "Hat ein grundlegendes, schwerwiegendes Problem mit genereller Orientierung, z.B. Schwierigkeiten QDM und QDR zu verfolgen", oder "Beim Durchstartmanöver rotiert er zu spät, stürzt ab, unorganisiert, was das Setzen von Navigationshilfen betrifft, große Abweichungen von Höhe/Geschwindigkeit", finden.

Van Beveren befragte zu dieser "doppelten Buchführung" den damaligen Prüfer von Thurner, Hans Jörg Stöckl, der dazu lediglich gemeint habe: "Vielleicht habe ich ihn zu hart ran genommen, für mich hatte er bestanden."

Thomas Welch
Über den Kapitän der "Mozart", Thomas Welch, fanden sich laut van Beveren in den Unterlagen der Behörde und der Unfalluntersuchungskommission überhaupt keine Belege dafür, dass Welch jemals einen Überprüfungsflug im Rahmen seiner Tätigkeit für Lauda Air absolviert hatte. Auch dafür hatte der ehemalige Chefpilot Hans Jörg Stöckl eine Erklärung, die niemand objektiv überprüfen konnte: "Ich hab' ihn aber mal geprüft."

Piloten hatten keine Chance
Fairerweise muss jedoch gesagt werden, dass trotz dieser Auffälligkeiten bei der Dokumentation der Qualifikation beider Piloten, diese nach Auffahren der Schubumkehr keine Chance mehr hatten, das Unglück zu vermeiden. Trotzdem bleibt das Verhalten der Crew zu hinterfragen. Ein langjähriger Boeing 767-Kapitän einer großen österreichischen Fluglinie zeigt sich verwundert über die Gelassenheit, mit der die Piloten an die erste Warnung herangingen: "Es fand keine tiefgehende Analyse statt. Es wurden keine Optionen erwogen, es gab noch nicht einmal ein Briefing, was wer macht, wenn die Schubumkehr tatsächlich aufgehen sollte. Das war nicht gerade professionell."

"Die (F)aktenlage scheint für sich zu sprechen. Unabhängig vom technischen Wartungszustand, der dieses Unglück hervorgerufen haben muss, bin ich auch über das Verhalten des Cockpit-Personals verwundert. Eine Reverser-Fehlwarnung ist nicht auf die leichte Schulter zu nehmen, egal, wie viele Sicherungen es angeblich gegen das Ausfahren geben mag. Piloten wissen: Wenn ein Fehler theoretisch passieren kann, tritt er auch garantiert irgendwann auf. Murphy! Daher ja die konservative Vorgehensweise laut FORDEC: Lage analysieren, Optionen prüfen, deren Vor- und Nachteile abwägen, eine Entscheidung treffen, diese ausführen und später überdenken, ob alles noch so richtig ist. Dieser Vorgang hat hier offenbar nicht stattgefunden - man war eben der Meinung, der Reverser kann absolut nicht ausfahren. IDLE Power hätte sicher schon etwas gebracht, verbunden mit der Rückkehr nach Bangkok. Über die Hintergründe der Vertuschung dieser Aktenlage kann man nur den Kopf schütteln."
Der ehemalige Starfighter-Pilot, frühere Flugkapitän, Ausbilder und mehrfache Fachbuchautor Rolf Stünkel gegenüber Austrian Wings

Könnten die Opfer noch leben?
Ein fahler Nachgeschmack bleibt angesichts dieses Faktenkonvoluts und der vernichtenden Analyse von Piloten und Technikern über die Vorgänge bei Lauda Air.

"Der Lauda mag juristisch unschuldig sein, weil es diesen Konstruktionsfehler gab. Da gibt's keinen Zweifel daran. Trotzdem stelle ich mir häufig die Frage, ob die Menschen an Bord der 'Mozart', meine Kollegen von früher, heute noch leben könnten, wenn die Fehlermeldung beim ersten Auftreten im Bordcomputer wirklich gründlich und nachhaltig behoben worden wäre, ob die Maschine dann vielleicht nicht abgestürzt wäre", meint ein ehemaliger Mitarbeiter der Lauda Air.

Eine legitime Frage, die wohl keine abschließende Antwort finden wird.

Angehörige kritisieren Lauda Air
Für die Hinterbliebenen und Freunde der Passagiere würde aber auch eine Antwort darauf keinen Unterschied mehr machen. Ihre Lieben sind für immer von ihnen gegangen.

Das Verhalten der Lauda Air nach dem Absturz wird von etlichen Angehörigen scharf kritisiert. Sie fühlten sich allein gelassen und in ihrer Trauerarbeit nicht unterstützt. Ein Vorwurf, den auch Regina Thurner, die Witwe des Ersten Offiziers, bestätigt. In ihrem ersten Interview seit dem Absturz sagte sie am 18. Mai 2011 gegenüber dem ORF: "Wir sind nicht betreut worden. Es gab kein Hilfsteam, niemanden, nichts. Ich war völlig auf mich allein gestellt. So wie die Anderen auch."

Selbst beim Gedenkgottesdienst im Wiener Stephansdom habe Airline-Boss Niki Lauda "kein Wort zu den Hinterbliebenen gesagt", so die Journalisten Jenny Maaß. Etwas, das viele Angehörige bis heute nicht verwunden hätten.

Das änderte sich offenbar erst mit der Übernahme der maroden Lauda Air durch die AUA im Jahr 2001. Seither trägt Austrian Airlines die Kosten für die Pflege der Gedenkstätte nahe der Absturzstelle in Thailand. Auch gibt es einen eigenen Ansprechpartner für die Hinterbliebenen. "Und einmal im Jahr bieten wir nahen Angehörigen jener Absturzopfer, die nicht identifiziert werden konnten und deshalb vor Ort beerdigt wurden, ein kostenloses Ticket nach Bangkok an", erklärt AUA-Sprecherin Ursula Berger.

Treffen der Hinterbliebenen
Wohl auch aufgrund der schlechten Betreuung nach dem Unglück, fanden sich jene Menschen, die Angehörige und Freunde an Bord von Flug NG 004 auf so tragische Weise verloren haben, zum 20. Jahrestag der Tragödie, 2011, erstmals in Wien zusammengefunden, um der Opfer zu gedenken und sich gegenseitig Trost zu spenden. Weitere Treffen in den Jahren danach folgten. Heuer dürfte es angesichts der Corona-Pandemie schwierig werden, eine entsprechende Veranstaltung durchzuführen. Von der seit vielen Jahren nicht mehr existierenden Lauda Air wurden sie nach dem Crash bitter enttäuscht.

Auch 20 Jahre nach dem Unglück liegen noch Trümmerteile im Dschungel von Thailand - Foto: ZVG
Auch 20 Jahre nach dem Unglück liegen noch Trümmerteile im Dschungel von Thailand - Foto: ZVG

Silvia O. und Richard S. waren ein Paar und wollten demnächst heiraten. Auch die Mutter von S. starb an Bord der "Mozart". Chefflugbegleiterin Birgit W. war mit einem Salzburger Journalisten liiert, der gemeinsam mit ihr fliegen hätte sollen, aber beruflich verhindert war. Die Mutter der 28-Jährigen erlitt nach dem Unglück einen Herzinfarkt.

Die Kabinenbesatzung der "Mozart": Bettina P., Christine Q., Silvia O. (1. Reihe v.l.n.r.), Michaela M., Gerda R., Richard S. (2. Reihe v.l.n.r.), Karin R., Birgit W. - Fotos: ZVG

Links:

"Lauda Air Absturz 1991: Noch immer viele unbeantwortete Fragen"

Video von der Absturzstelle aus dem Jahr 2009

Offizieller Abschlussbericht der thailändischen Untersuchungskommission

Gedenkbuch - das schreiben Angehörige und Freunde der Toten (auf maass.at)

Der Tag an dem die Uni Trauer trug (Artikel in der "TT")

Facebook-Gruppe "Im Gedenken an die Opfer des Lauda Air Absturz vom 26. Mai 1991 in Thailand"

Im stillen Gedenken an die 223 Opfer von Flug NG 004... (Dieses Bild zeigt die "Mozart" im Sommer 1990 auf den kanarischen Inseln - Foto: Werner Fischdick)

(red CvD)

Spezieller Dank an: Jenny Maaß, Werner Fischdick, Tim van Beveren sowie die ehemaligen Mitarbeiter der Lauda Air, die diesen Bericht unterstützt haben.