Punktlandung

Fakten zum "Fuel Dumping"

Manche Journalisten und meist über wenig aviatische Fachkenntnis verfügende Luftfahrtgegner schreien im Regelfall hysterisch auf, wenn ein Verkehrsflugzeug aufgrund eines Notfalls Treibstoff ablassen muss, in der Fachsprache auch "Fuel Dumping" genannt. Von "Gefahr für Mensch und Umwelt" ist dann schnell die Rede, ohne dies mit empirischen Daten belegen zu können. Für Austrian Wings beleuchtet deshalb ein Flugkapitän mit langjähriger Erfahrung das Thema in der nachfolgenden Punktlandung ausschließlich von der fachlich-sachlichen Seite.

Interessierte Laien und Experten wissen natürlich worum es geht.
 Wer aber hat nicht im Bekanntenkreis die Feststellung gehört dass Flugzeuge (immer) vor der Landung Treibstoff ablassen um leichter zu sein?

Diese Mär scheint unausrottbar und kommt von der Verwechslung mit „condensation vapours“ (Dunstfahnen) im Unterdruckbereich der Flügel wenn es bei der Landung hohe Luftfeuchtigkeit gibt. Diese – optisch – dem richtigen „fuel jettisoning“ ähnliche Beobachtung hat allerdings mit Treibstoff nichts zu tun.

Kontrolliertes „fuel dumping“ (Treibstoffablassen) setzt immer eine Notlage voraus. Nur unter definierten Umständen wird es erlaubt.

Wie kann es dazu kommen?

Einige Fakten: Praktisch alle Verkehrsflugzeuge haben eine zulässige maximale Startmasse, die deutlich über dem maximal zugelassenen Landegewicht liegt.

Dieser Umstand nimmt auf die relativen Maximalbelastungen der Struktur bei Start/Landung Rücksicht.
 Ein Passagierflugzeug muss (bei maximaler Landemasse) einen Landestoß aushalten, der einem Aufsetzen mit 10 ft/sec (=10,97 km/h) entspricht. Bei maximaler Startmasse muss die Struktur nur 6 ft/sec (= 6,58 km/h) aushalten. Wenn man sich das bei einer Startmasse von 500 Tonnen und mehr vorstellt, kann man die enormen Kräfte abschätzen die auf die Struktur wirken. Eine normale Landung entspricht etwa 2 – 3 ft/sec (= 2,19 km/h bzw. 3,29 km/h).

Die Zulassungsbehörde schreibt die maximale Landemasse als operationelles Limit vor. Die Verantwortung ob eine Landung über der maximalen Landemasse (overweight landing) gemacht wird oder durch Treibstoff-Ablassen bzw. langes Fliegen Gewicht verringert wird, liegt beim Flugkapitän. Alle Maßnahmen im Interesse der Sicherheit sind erlaubt. Es muss nicht nur die Länge der Landebahn mit eventuell stark erhöhter Anfluggeschwindigkeit zur Landung ausreichen (Bewegungs-Energie, die die Bremsen aufnehmen müssen), sondern nach einem Durchstarten - auch im Flachland - eine definierte Steigleistung erbracht werden, natürlich auch bei Ausfall eines Triebwerks (siehe EU EASA CS 25 bzw US FAA FAR 25). Da höheres Gewicht mehr Auftrieb und damit mehr Geschwindigkeit erfordert, sind die Belastungslimits (=Maximalgeschwindigkeit) für Landklappenstellungen ebenfalls ein Faktor. Die Behörden verlangen sogar eine sichere Landemöglichkeit bereits 15 Minuten nach dem Start mit maximaler Startmasse.

Populäre vierstrahlige Verkehrsflugzeuge wie Boeing B 747 und Airbus A 340, A 380 müssen ein Treibstoffablass-System eingebaut haben um den Bauvorschriften zu entsprechen.

Bei zweistrahligen Langstrecken-Verkehrsflugzeugen, wie z.B. Boeing B 777 oder Airbus A 330 ist das System eingebaut um der Besatzung eine weitere Option in einer Notsituation zu eröffnen.

Bei kleineren Verkehrsflugzeugen wie Boeing B 737 oder Airbus A 320 verlangt die Zulassungsbehörde kein Treibstoffablass-System und es ist auch nicht eingebaut.

Militärflugzeuge unterliegen grundlegend anderen Bauvorschriften und Betriebsanforderungen, Treibstoffablass-Systeme sind häufiger vorhanden.

Konstruktiv stellt das „fuel jettison system“ eine große Herausforderung für den Konstrukteur dar. Es muss auch noch zuverlässig öffnen und schließen wenn andere Flugzeugsysteme bereits ausgefallen sind. Darüber hinaus darf auch bei einem Triebwerksbrand durch das Treibstoff-Ablassen kein neues Risiko entstehen. Genau das wurde einem der legendären „Pan Am“ Flugboote im Jahr 1938 zum Verhängnis. Nach dem Start in Pago Pago verlor ein Motor den Öldruck, beim Treibstoffablassen explodierte die Maschine in der Luft. Seither verlangen Zulassungsbehörden besonders hohe Sicherheitsstandards für Ablass-Systeme.

Dem ökologischen Aspekt wurde schon früh große Aufmerksamkeit geschenkt. Wegen der höheren Exposition von Militärmaschinen hat die US Air Force umfangreiche Studien durchgeführt. Es konnte nachgewiesen werden, dass der Treibstoff in sehr kleine Tröpfchen (Aerosol) aufgespalten wird. Bei Flughöhen ab 5000 ft (1500 m) konnte am Boden kein Treibstoff mehr nachgewiesen werden. Konstruktiv begünstigt die Düsenform des Ablass-Systems die Aufspaltung. Eine vom Hersteller als Limitation eingeführte Mindestgeschwindigkeit fördert die Aerosolbildung.

Der in die Atmosphäre geblasene Treibstoff verschwindet nicht völlig, sondern kann in stark verdünnter Form auch weit entfernt den Erdboden erreichen. Wie der Flugzeughersteller Boeing ausführt, sind bisher keine Auswirkungen nachgewiesen.

Wegen der gesamthaft geringen Menge, der Seltenheit der Ereignisse und den Sicherheitsaspekten für die Verkehrsluftfahrt wird das Konzept beibehalten.

Bei einem Notfall nach dem Start ist der Pilot oft mit einem Flugzeuggewicht konfrontiert, das über dem maximalen Landegewicht liegt. Bei einem Langstreckenflug kann das auch Stunden nach dem Abflug bzw. bis kurz vor der Landung der Fall sein.

„Meine Wien-Tokioflüge waren oft so geplant, dass erst bei der planmäßigen Landung das maximale Landegewicht unterschritten wurde“ berichtet Airbus A330/340 Kapitän Martin Fickl; „Die Art des Notfalls (Engine failure, fire on board oder ein medizinischer Zwischenfall) beeinflusst meine Auswahl aus einer Vielfalt von Szenarien für eine Rück- oder Ausweichlandung. Für eine ‚overweight-landing’ gilt es die entsprechenden Checklists abzuarbeiten und nur bei langer Piste und guten äußeren Bedingungen wird ein Commander sich für diese Option entscheiden.
 Ist die Zeit bis zur Rücklandung kein bestimmender Faktor und ist das Flugzeug technisch dafür ausgerüstet, ist ein Fuel Dumping (Treibstoffablassen) eine Option im Interesse der Sicherheit.“

Wegen der Seltenheit des „fuel dumpings“ wird der durchschnittliche Flugpassagier beim Blick durch das Kabinenfenster wahrscheinlich nie die spektakuläre Treibstoffdunstfahne hinter den Tragflächen sehen.

1978 setzte die Besatzung einer Air New Zealand DC 10 das „fuel dumping“ übrigens gezielt ein um von einer kleinen Cessna 188, die sich über dem Pazifik verflogen hatte, gesehen zu werden. Die Linienmaschine konnte der Cessna navigatorisch helfen, die Notlandung auf einer kleinen Insel gelang.

Text: Peter Beer / ACA
Besonderer Dank an Capt. Martin Fickl für die fachliche Unterstützung.
Quellenangabe: FAR 25, CS 25
Boeing AERO QTR 03 07
Titelbild: A340-600 beim Ablassen von Treibstoff - Foto: Wiki Commons

Der Autor dieser Punktlandung ist Kapitän in einem österreichischen Linienflugunternehmen und Präsident der Austrian Cockpit Association.

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.