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Vor 50 Jahren: Massaker von My Lai

Hugh Thompson junior, der durch sein couragiertes Eingreifen den Kriegsverbrechern Einhalt gebot - Foto: Archiv US-Streitkräfte

Heute vor 50 Jahren massakrierten US-Truppen in einem kleinen vietnamesischen Dorf mehr als 500 Menschen - vom Baby bis zum Greis. Einer mutigen Hubschraubercrew der US-Armee verdanken einige der Dorfbewohner ihr Leben. Aus Anlass des Jahrestages veröffentlichen wir nachstehend einen Austrian Wings Bericht vom 17. 11. 2016 mit dem Titel "Fliegender Held: Vor 10 Jahren starb Hugh Thompson junior" noch einmal im Originalwortlaut.

Unzählige Kriegsverbrechen wurden von US-amerikanischen Truppen während des Vietnamkrieges begangen. In einem Fall stellte sich der Hubschrauberpilot Hugh Thompson junior mit seiner Besatzung den Mördern mutig entgegen. Im Jahr 2006 erlag dieser couragierte Soldat einem Krebsleiden.

Der 1943 geborene Thompson meldete sich 1961 als Freiwilliger für die US Navy und diente dort drei Jahre lang als Pionier. Danach verließ er die Streitkräfte und arbeitete als Bestatter.

Sein Wunsch zu fliegen ließ ihn 1966 in die US Army eintreten, wo er eine Ausbildung zum Hubschrauberpiloten erhielt. Anschließend meldete er sich als Freiwilliger für die Aerial Scout Unit (Luftaufklärung). Dort wurde er der Task Force Barker zugewiesen, die für die Truppenaufklärung in Vietnam zuständig war.

Am 16. März 1968 war er gemeinsam mit seinen beiden Bordschützen Glenn Andreotta und Lawrence Colburn in einem Hiller H-23 unterwegs. Dabei bemerkten sie auffällig viele am Boden liegenden Zivilisten.  Später sah die Crew , dass Captain Ernest Medina eine am Boden liegende Zivilistin trat und dann erschoss.

Der Helikopter landete und Thompson sprach mit Second Lieutenant William Calley.

Thompson: „What's going on here, Lieutenant?“ (Was ist hier los, Lieutenant?)

Calley: „This is my business.“ (Das ist meine Angelegenheit.)

Thompson: „What is this? Who are these people?“ (Was ist das? Wer sind diese Leute?)

Calley: „Just following orders.“ (Ich befolge bloß Befehle.)

Thompson: „Orders? Whose orders?“ (Befehle? Wessen Befehle?)

Calley: „Just following...“ (Befolge bloß …)

Thompson: „But, these are human beings, unarmed civilians, Sir!“ (Aber das sind Menschen, unbewaffnete Zivilisten, Sir!)

Calley: „Look Thompson, this is my show. I'm in charge here. It ain't your concern.“ (Pass auf Thompson, das ist meine Angelegenheit hier. Ich habe hier das Kommando. Das geht dich nichts an.)

Thompson: „Yeah, great job!“ (Ja, tolle Arbeit)

Calley: „You better get back in that chopper and mind your own business.“ (Du gehst jetzt mal lieber zurück in deinen Hubschrauber und kümmerst dich um deinen eigenen Kram)

Thompson: „You ain't heard the last of this!“ (Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen!)

Danach startete die Crew wieder, doch Andreotta berichtete, dass ein Soldat namens Mitchell weiter Menschen exekutierte. Thompson bemerkte eine Gruppe Zivilisten, die in Panik flohen und sich in einem Bunker versteckten. Sie wurden von amerikanischen Soldaten verfolgt. Thompson landete zwischen Verfolgern und Gejagten und sagte Colburn und Andreotta, dass sie das Feuer auf die US-Soldaten eröffnen sollen, wenn diese versuchen sollten, die Zivilisten zu ermorden. Thompson stieg aus und sprach mit dem Zugführer Stephen Brooks. Er sagte ihm, dass er die Zivilisten aus dem Bunker holen wolle.

Brooks schlug ihm vor, eine Handgranate in den Bunker zu werfen. Thompson, der rangniedriger als Brooks war, versuchte mit diesem zu diskutieren. Es gelang ihm insgesamt elf Vietnamesen zum Verlassen des Bunkers zu überreden und diese mit Hilfe zweier Flüge eines Bell UH-1 Helikopters, der seinen Hubschrauber als Geleitschutz begleitete, zu evakuieren.

Symbolbild Bell UH-1D Huey - mit einem Hubschrauber dieses Typs wurden 13 Überlebende gerettet - Foto: Lukas Kinneswenger

Während ihres Abflugs entdeckte Andreotta Bewegungen in einem Bewässerungsgraben, woraufhin sie erneut landeten und Andreotta ein Kind zwischen den Toten retten konnte. Das Kind wurde mit Thompsons Hubschrauber in ein Hospital in Quảng Ngãi gebracht.

Thompson flog auch nach dem Massaker lange Zeit Hubschraubereinsätze in Vietnam, wobei er fünf Mal abgeschossen wurde. Beim letzten Abschuss erlitt er einen Bruch seiner Wirbelsäule. Hiermit verbunden waren psychische Schäden, unter denen er bis zu seinem Lebensende litt. Aufgrund seiner öffentlichen Aussagen über das von US-Truppen begangene Massaker erhielt er sogar Morddrohungen. Nach seinem Dienst in Vietnam wurde Thompson Hubschrauberfluglehrer und verließ die US Army im Jahr 1983 im Rang eines Majors.

1998 kehrten Thompson und Colburn noch einmal nach My Lai zurück, um die damals von ihnen geretteten Menschen zu treffen. Unter diesen befand sich auch der zum Zeitpunkt des Massakers acht Jahre alte Do Hoa. Thompson arbeitete später als Berater im Kriegsveteranenministerium der Vereinigten Staaten in Louisiana und hielt ab dem Jahr 2003 Vorträge an der US-Marineakademie zum Thema Professional Military Ethics.In einem 2004 aufgenommenen Interview des Fernsehmagazins „60 Minutes“, sagte Thompson „I mean, I wish I was a big enough man to say I forgive them, but I swear to God, I can't.“ (deutsch: „Ich wünschte, ich hätte genug menschliche Größe zu sagen, dass ich ihnen vergebe, aber ich schwöre bei Gott, ich kann es nicht.“) Später erkrankte Thompson an Krebs. Am 6. Januar 2006 wurden die lebenserhaltenden Maßnahmen im Kriegsveteranenkrankenhaus in Alexandria eingestellt. Er wurde in Lafayette (Louisiana) mit allen militärischen Ehren beigesetzt. Hubschrauber überflogen das geöffnete Grab.

Thompson, Andreotta und Colburn erhielten exakt 30 Jahre nach dem Massaker die Soldier's Medal for Heroism (Andreotta postum, denn er fiel kurz nach der Rettungaktion), die höchste Auszeichnung der US-Armee für besonderen Mut in Situationen ohne direkten Feindkontakt. 1999 wurde Thompson und Colburn der Peace Abbey Courage of Conscience Award verliehen. Im Jahre 2010 wurde die Hugh Thompson Foundation gegründet, die sich den Anliegen von Kriegsveteranen widmet, insbesondere Soldaten, die für ihre richtigen Entscheidungen schikaniert oder bestraft wurden.

(red)