Österreich

Vor 10 Jahren: Schutzengel für Insassen von Christophorus 6

Seit Inbetriebnahme des ersten Christophorus Notarzthubschraubers im Jahr 1983 haben die fliegenden Retter der ÖAMTC-Flugrettung unzählige Einsätze geflogen und dabei Dutzende, wenn nicht Hunderte Menschenleben gerettet sowie Tausende weitere Patienten vor schwerwiegenden gesundheitlichen Langzeitschäden bewahrt. Dass die Einsätze der Retter trotz vom ÖAMTC gewährleisteter höchster Sicherheitsstandards nicht ohne Risiko sind, zeigen drei tödliche Unfälle in den Jahren 1988, 1992 und 1999, bei denen drei Notärzte und ein Flugretter starben sowie drei Piloten und zwei Sanitäter teils schwer verletzt wurden. Dass beim bislang gottlob letzten Unfall vor exakt zehn Jahren niemand ums Leben kam, ist wohl einer ganzen Schar von Schutzengeln zu verdanken, die über die Insassen von Christophorus 6 gewacht haben. Der Crash hat außerdem auch dazu geführt, dass österreichweit die Landeplätze optimiert wurden und das Training der Piloten weitere Detailverbesserungen erfuhr.

Am 1. Mai 2006 wurde Christophorus 6 zu einem schweren Motorradunfall auf dem Salzburgring alarmiert. Die damals noch vierköpfige Besatzung der Maschine mit der Kennung OE-XEH absolvierte den Hinflug problemlos, versorgte den Patienten und startete nach etwa 15 Minuten wieder mit Ziel Unfallkrankenhaus Salzburg. Am Steuer ein 33-jähriger Pilot, der mit rund 2.600 Flugstunden und mehr als 8.100 Starts und Landungen als äußerst erfahren galt. Neben der Typenberechtigung für die EC 135 besaß er auch Typeratings für die Muster Bell 206, AS 355, AS350 und EC 120.

Unmittelbar vor dem Aufsetzen bemerkte der Hubschrauberführer plötzlich eine starke Drehbewegung nach rechts, die er auch durch einen beherzten Tritt ins linke Pedal nicht beenden konnte. Der Hubschrauber begann, unkontrolliert zu sinken, woraufhin der Pilot instinktiv den Hebel für die kollektive Blattverstellung nach unten drückte um die Rotordrehzahl möglichst hoch zu halten und das Drehmoment zu reduzieren. Unmittelbar vor dem Aufprall zog er den so genannten "Pitch" wieder nach oben und verringerte damit die Sinkgeschwindigkeit erheblich, was den Aufprall enorm abmilderte.

Schutzengel leisteten ganze Arbeit

Alle fünf Insassen an Bord überlebten den Absturz, wobei der Pilot schwer und die drei übrigen Crewmitglieder leicht verletzt wurden. Der Motorradfahrer an Bord erlitt keine zusätzlichen körperlichen Schäden durch den Crash. Glücklicherweise brach kein Aufschlagsbrand aus. Dass es am Boden keine Opfer gab, war einem kleinen Wunder zu verdanken, denn der Helikopter war direkt auf den Kinderspielplatz des Betriebskindergartens des Krankenhauses gestürzt. Weil der 1. Mai jedoch ein Feiertag war, hielt sich zum Unfallzeitpunkt dort niemand auf. Dass der Crash für die Insassen des Helikopters derart glimpflich ausging, führt Christophorus-Flugrettungschef Reinhard Kraxner neben der raschen und richtigen Reaktion des Piloten, den Collective Pitch nach Verlust der Kontrolle über den Heckrotor sofort zu senken und erst kurz vor dem Aufprall wieder zu ziehen, vor allem auf die stabile Zelle des EC 135 / H135 zurück: "Dieses Fluggerät bietet eine hohe passive Sicherheit, und dieser Unfall hat gezeigt, wie wichtig das im Ernstfall ist. Mit einem anderen Fluggerät wäre diese Situation wahrscheinlich schlimmer ausgegangen."

Kritik der Unfallermittler an den Aufsichtsbehörden: Ein zu kleiner, gar nicht zulassungsfähiger Landeplatz

Die Unfallermittler machten sich sofort an die Arbeit und konnten sich neben den Aussagen der Besatzungsmitglieder auch auf ein verhältnismäßig intaktes Wrack stützen. Im Rahmen der Ermittlungen kam ans Tageslicht, dass der 18 x 16,5 Meter große Dachlandeplatz gar nicht als Hubschrauberlandeplatz genehmigt war, weil unter anderem die Größe der Dachlandefläche den Mindestanforderungen der Zivilflugplatz-Verordnung von 1972 nicht entsprach. Dies war den Aufsichtsbehörden zwar schon seit 1981 bekannt, die festgestellten Mängel wurden allerdings bis zum Unfalltag nicht beseitigt. Die Unfallermittler stellten in ihrem Abschlussbericht dazu lakonisch fest: "Weshalb eine Dachlandefläche errichtet, geplant, gebaut und kollaudiert wird, um etwas mehr als ein Jahr später offiziell feststellen zu lassen, dass unter anderem die Mindestgröße zur Genehmigung als Hubschrauberlandeplatz unterschritten wurde, ist nicht bekannt."

Außerdem waren die beiden Windsäcke ungünstig angeordnet, sodass sie dem Piloten beim Landeanflug Windstille anzeigten, während tatsächlich Südostwind herrschte - und das an einem Landeplatz, der aufgrund der Lage grundsätzlich als "herausfordernd" bei den Rettungsfliegern gilt.

Pilot traf Mitverantwortung

Trotz der offensichtlichen den Behörden bekannten Mängel beim Landeplatz, blieb die juristische Hauptschuld für den glimpflich ausgegangenen Absturz schlussendlich am Piloten hängen.

Seitenansicht der rekonstruierten Fluglage des Hubschraubers zum Kollisionszeitpunkt
Seitenansicht der rekonstruierten Fluglage des Hubschraubers zum Kollisionszeitpunkt

Denn wie sich herausstellte, war der Anflug zu schnell für die geringe Größe der Landefläche und zudem nicht stabilisiert erfolgt. Dadurch musste der Hubschrauberführer im Endanflug durch Ziehen des Steuerknüppels stark abbremsen, was eine Längsneigung des Helikopters zur Folge hatte, bei der die Nase nach oben, der Heckausleger dagegen nach unten zeigte. Infolge dessen touchierte Heck des EC 135 das Absperrgitter der Landeplattform, verbunden mit einem Verlust der Heckrotorwirksamkeit. Dadurch war der Hubschrauber um die Hochachse nicht mehr steuerbar. Ausdrücklich als richtig bewerteten die Ermittler die rasche Reaktion des Piloten, den Collective Pitch abzusenken und unmittelbar vor dem Aufprall wieder zu ziehen.

Lehren aus dem Absturz

Als Sicherheitsempfehlungen forderte die Untersuchungskommission eine "bautechnische Adaptierung" der Landefläche, sodass diese als Hubschrauberlandeplatz bewilligt werden konnte. Zudem sollten die Randeinfassungen von Hubschrauberflugplätzen auf Dachflächen modifiziert werden, um bei Berührungen mit Luftfahrzeugteilen die Möglichkeit zusätzlicher beschädigungen am Luftfahrzeug durch Hängenbleiben, Eindringen von teilen der Randeinfassungen, etc. hintanzuhalten, wie es in dem Bericht heißt. Laut ÖAMTC-Flugrettung wurde der Landeplatz auf dem UKH Salzburg "sehr rasch" nach dem Unfall ausgebaut und vergrößert. Denn laut Pilotenmeinung wäre es trotz des Fehlers des Hubschrauberführers nicht zu dem Absturz gekommen, wäre die Landefläche seinerzeit gemäß den Zulassungskriterien für zivile Hubschrauberlandeplätze errichtet worden.

In weiterer Folge konnte der ÖAMTC auch das Verkehrsministerium von der Notwendigkeit, entsprechend großer Landeplätze an den Krankenhäusern überzeugen. Reinhard Kraxner: "Das Verkehrsministerium hat hier in Form einer Verordnung vorbildlich reagiert. Das wiederum hat dazu geführt, dass neue Landeflächen entsprechend ausgeführt und alte nachgerüstet werden - im Sinne der Sicherheit für Besatzungen und Patienten." Ein gutes Beispiel dafür ist auch der neu errichtete Landeplatz im Wiener Wilheminenspital, der in Kürze in Betrieb gehen soll.

Der Christophorus Flugrettungsverein ließ seinen Piloten übrigens nicht im Regen stehen - nach Wiedererlangung der medizinischen Flugtauglichkeit und einer intensiven Wiedereingliederungsphase, während der er unter Supervision flog, kehrte der fliegende Retter weniger als ein Jahr nach dem Unglück wieder als Einsatzpilot ins Cockpit der Christophorus-Flotte zurück.

Seit jenem schicksalshaften 1. Mai im Jahr 2006, an dem die Menschen an Bord von Christophorus 6 von einer ganzen Schutzengelstaffel begleitet wurden, und der landesweit zahlreiche Mängel bei den bestehenden Krankenhaus-Landeplätzen schlagartig in den Fokus der Öffentlichkeit rückte,  hat die ÖAMTC-Flugrettung glücklicherweise keinen einzigen Unfall mehr zu verzeichnen gehabt.

(red / Foto/Grafik: Offizieller Unfallbericht BMVIT)