Punktlandung

Der ganz normale Wahnsinn

Sommerzeit am Flughafen: Der Job als Check-in Mitarbeiter fordert höchste Stressresistenz - Foto: Flughafen Wien AG

Der Job am Flughafen oder bei einer Fluglinie ist für viele Menschen, jung und alt, ein Traumjob schlechthin. Er ist jedoch extrem stressig. Ohne eine gehörige Portion schwarzen Humors steht man etwa den Job am Check in nicht lange durch, sind sich wohl die meisten Check-in Agents einig. Wöchentlich bekommen wir zahlreiche Zuschriften von Menschen, die am Flughafen arbeiten und uns ihre Geschichten erzählen wollen. Einer von ihnen schildert nun mit dem oben erwähnten schwarzen Humor für die Leser von Austrian Wings seinen Alltag mit überforderten Familien und Vielfliegern, die meinen, besondere Rechte zu haben. Alle Namen wurden aus Datenschutzgründen von der Redaktion geändert.

Ich sitze hinter meinem Check-in Schalter. Panik macht sich breit. Eine schier endlos scheinende Menschenschlange steht vor mir.

Mein inneres Menschendurchleuchtungsgerät, etwas, das sich jeder Check-in Mitarbeiter früher oder später aneignet, beginnt zu arbeiten und binnen Sekunden erfasst es, mit wem wir es zu tun haben.

Da wäre zunächst einmal der Anzugtragende, gestriegelte Herr Geschäftsmann, ein Enddreißiger. Dieser meint natürlich, der wichtigste Passagier überhaupt in der gesamten Schlange zu sein, denn er hat erstens nicht viel Zeit und zweitens ist er bereits nach wenigen Augenblicken von der Familie mit dem Kleinkind, dem im Kinderwagen schreienden Baby und den Hormonen der dazugehörigen Mutter vor ihm genervt.

Was tut er also? Er zappelt nervös herum, steigt von einem Bein aufs andere und sein Blick fleht mich an, ihn doch bitte zu erlösen und nach vorne zu holen. Schließlich nervt ihn all das hier furchtbar, und er muss unbedingt noch in die Lounge, um ganz wichtige Arbeiten zu verrichten, bevor er zu einem - natürlich ebenfalls ganz wichtigen - Meeting mit noch viel viel wichtigeren Geschäftspartnern fliegt.

Und gerade weil das so ist, wird der gute Mann warten müssen. Wie jeder andere Passagier auch.

Denn beim Check-in gilt: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Ich lächle innerlich.

Klatsch. Ein riesengroße Handtasche landet in Stirnhöhe auf meinem Check-in Schalter. „Wir müssen unbedingt alle zusammen sitzen und ganz vorne“, ertönt es von der hormongesteuerten Mutter und schwupps, war ihr Kopf wieder hinter dem Pult verschwunden um Kind und Kegel halbwegs unter Kontrolle zu halten.

Klar, in der heutigen Zeit würde ein freundliches „Grüß Gott“ verdammt viel Zeit kosten. Und wozu bedarf es unwichtiger Informationen wie „wir sind für den Flug nach XY gebucht“.

Der Passagier von heute erwartet sich natürlich, dass der fleißige Check-in Mitarbeiter automatisch errät wohin die Reise geht. Selbstverständlich, dieses Können ist ja schließlich Grundvoraussetzung für den Job. Darf's sonst noch etwas sein?

Mein Hirn versucht also - mal wieder - eins und eins zusammen zu zählen um das Reiseziel der Familie zu erahnen. Gestresste Hausfrau und Mutter, Kinderwagen, 4 große Koffer, allerhand Handgepäck und ein Ehemann, der in dem ganzen Trubel fast untergeht, weil er nur still daneben steht und sie mal lieber machen lässt. Sehr schlau von ihm. Würde mich an seiner Stelle auch tot stellen. Armer Kerl.

So und dann hätten wir natürlich den von allen Check-in Mitarbeitern gefürchteten Sommerferienbeginn. Meine Gehirnzellen brauchen nur den Bruchteil einer Sekunde um zu wissen wohin der Horrorfamilienurlaub geht: Mallorca! Ich tippe schon mal die Flugnummer in den Computer ein und weiß genau, dass das hier noch ewig dauern wird, da bis auf einige Vielflieger, wie den Anzugträger hinter der Familie, die meisten Passagiere total unvorbereitet hierher kommen.

Also los geht's: „Äh Verzeihung, ich bräuchte noch Ihre Reisepässe bitte“. Plötzlich taucht der Kopf der Mutter inklusive überraschtem und überforderten Blick wieder auf: „Waaaas, die Pässe brauchen Sie auch?“ Nö, wozu auch. Denke ich mir, denn aussprechen darf man das freilich nicht.

„Herbeeeert, wo sind die Reisepässe????!!!"

Der Kindsvater meldet sich ganz leise zu Wort: „Die hast du doch in deine Handtasche gepackt, als wir losgefahren sind, mein Schatz.“

Die Mutter beginnt also, in ihrer Tasche zu kramen und präsentiert mir schließlich stolz ihre Reisepässe. Wahnsinn, hat ja nur eine halbe Ewigkeit gedauert. Der Mann im Anzug wird immer ungeduldiger. Es ist nur noch eine Frage der Zeit bis er explodiert.

Ich nehme die vier Pässe an mich und werfe einen Blick hinein. Schneider Herbert, der Kindsvater, Pass gültig. Schneider Yvonne, die gestresste Mutter, auch ihr Pass ist gültig. Oh wie süß, auch das Baby hat schon einen eigenen Reisepass. Schneider Finn-Kevin Julius. Armes Kerlchen. Ob die Tochter auch so einen hippen Namen hat? Schneider Cheyenne-Chiara Clarissa. Warum Eltern ihre Kinder nur so strafen müssen, wird wohl ein ewiges Geheimnis bleiben.

Ich checke die vier also auf dem Flug nach Mallorca ein. Plötzlich eine große Männerhand auf meinem Pult. Oh, Oh, der Anzugträger. Musste ja so kommen.

„Hören Sie, mein Flug geht gleich und ich habe einen wichtigen Termin. Das ist ja wohl eine Frechheit, das hier nichts weitergeht, ich stehe hier seit einer halben Stunde", erbost er sich mit betont gewichtiger Stimme.

Ja ne, ist klar. Ich reiße mich zusammen und erwidere mit meiner zuckersüßen sei-trotzdem-freundlich-Stimme: „Die Familie war nun mal vor Ihnen da, also müssen Sie bitte warten, bis Sie an der Reihe sind.“

Mit ungehaltener Stimme fährt er mich an: „Ich fliege drei Mal die Woche! Wissen Sie eigentlich wie viel ich für das Ticket bezahlt habe? Das ist unglaublich hier. Ich fliege nie wieder mit ihrer Scheiß Fluglinie!“

Ja bitte, flieg nie wieder mit uns. Ein Idiot weniger, denke ich mir in meinem tiefsten Inneren. Was kann ich denn dafür, dass er zu knapp zum Flughafen kommt, und was gibt ihm das Recht, mich deswegen so anzuschreien, verdammt noch mal.

Gequält erwidere ich: „Erstens bleibt es Ihnen überlassen mit welcher Fluglinie Sie fliegen und zweitens müssen Sie nächstes Mal einfach früher kommen. Sie finden den Hinweis, sich zwei Stunden vor Abflug am Check in Schalter einzufinden auch auf Ihrer Buchungsbestätigung.“

Mit einem „ich werde mich über Sie beschweren“ (übrigens der Standardsatz vermeintlich wichtiger Geschäftsreisender) stapft er schließlich zurück in die Schlange. Und wartet. Weiterhin ungeduldig, ständig auf die Uhr schauend, mir einen bösen Blick nach dem anderen zuwerfend. Hui, hab' ich Angst.

So, nun kann ich mich wieder hochmotiviert der Familie Schneider widmen.

„Es tut mir sehr Leid, Frau Schneider, aber es gibt bedauerlicherweise keine Sitzplätze mehr zusammen, der Flug ist schon komplett voll.“

„Aber wir müssen zusammen sitzen, die Kinder können ja nicht alleine sitzen“. „Schauen Sie, das Baby hat ohnehin keinen eigenen Sitzplatz, da es bei Ihnen oder Ihrem Mann auf dem Schoß sitzen muss. Und dann habe ich noch zwei Plätze direkt hintereinander in Reihe 19 und 20. Dann sitzt Ihre Tochter nicht ganz alleine und vielleicht können Sie ja noch im Flieger mit jemandem tauschen.“

„Nein, nein, das geht auf keinen Fall! Wir müssen alle zusammen sitzen. Wir haben als Familie gebucht. Dann müssen Sie jetzt eine Lösung finden.“

Natürlich. Habe ja sonst nichts zu tun. „Es tut mir Leid, aber ich kann Ihnen ausschließlich diese Sitzplätze anbieten. Keines Ihrer Kinder wird alleine sein. Und beim nächsten Mal können Sie ja Sitzplätze vorreservieren, damit sie alle nebeneinander sitzen.“

Frau Schneider schüttelt den Kopf und wirft noch ein: „Das ist ein mieser Kundenservice“ hinterher. Natürlich, billig fliegen, aber sich einen Bombenkundenservice erwarten. Freilich, wos kost die Welt, könnte man meinen.

Ich drucke die Bordkarten aus, wiege die vier Koffer ab, und damit mein Tag perfekt ist, haben die Schneiders natürlich 15 kg zu viel Gepäck mit. Ich überlege. Durchgehen lassen geht auf keinen Fall. Handgepäck haben sie auch schon jede Menge. Sie müssen zahlen, da führt kein Weg dran vorbei.

„Sie haben insgesamt 85 kg Gepäck. Erlaubt sind aber nur 70 kg. 20 kg pro Person und 10 kg für das Baby. Entweder Sie lassen etwas hier oder Sie müssten 15 kg Übergepäck bezahlen.“ Oje, gleich kommen ihre Hormone wieder durch. „Können Sie das nicht durchlassen? Wir fliegen immerhin mit zwei kleinen Kindern?“ „Nein, das geht leider nicht. Wir können bei 2 oder 3 kg ein Auge zudrücken, aber nicht bei 15 kg. Tut mir wirklich Leid.

Ihr Mann setzt einen imaginären Schutzhelm auf, geht in Deckung, denn er scheint schon zu ahnen was jetzt gleich kommt.

Und richtig, es folgt ein genervt-hysterisches: „Herbeeeeert, nie wieder fliege ich auf Urlaub. Das ist eine Frechheit wie man hier als Familie mit kleinen Kindern behandelt wird.“

Mein Mitgefühl für ihn steigt. Es wäre wohl für uns alle besser, wenn sie künftig nicht mehr in Urlaub fliegen würden. Mit zittriger Stimmer sagt er zu ihr: „Aber Schatzi, warum hast du auch so viel einpacken müssen? Wir fliegen nur für eine Woche weg!“ „Pläääär, Plääääär“ ertönt es aus dem Kinderwagen. Suuuper, das war ja wieder notwendig. Kaum hat sich das Kind beruhigt, fängt es schon wieder zu schreien an. Kein Wunder, ich kann es ja irgendwie verstehen.

Schließlich flüchtet Herr Schneider zum Ticketschalter um für das Übergepäck zu bezahlen, und Frau Schneider versucht, den kleinen Finn-Kevin Julius zu beruhigen, während seine Schwester meint, mal eben aufs Gepäckband klettern zu müssen. „Cheyeennnnneee-Chiiiiiiiiiiaaaraaaaaaaa!!!!!! Geh da sofort runter sonst tust du dir noch weh!“

Die Mutter ist völlig fertig mit den Nerven und ich auch. Meine Uniform ist schon jetzt völlig durch geschwitzt und ich habe noch 10 lange Stunden Dienst vor mir. Juhu.

Herr Schneider kehrt an an den Check-in Schalter zurück. Die 15 Kilo Übergepäck sind bezahlt, und ich ich drücke auf den erlösenden Knopf um die Koffer mittels Förderband zur Gepäckszentrale zu befördern, bevor ich mich mit einem gequält-freundlichem: „Das Boarding beginnt in 15 Minuten, Ihr Ausgang ist B40 und ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub“ verabschiede. Uff.

Ich bin fertig mit der Welt. Der nächste Passagier wird einfacher sein. Schließlich ist es der überaus wichtige Anzugträger, der kein Wort mehr mit mir reden wird. Ist aber vielleicht ohnedies besser so ...

Text: Uschi Blumenstrauss

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.