Reportagen

Im Cockpit der L 188 Electra

Amerer Air mit Sitz in Linz, die einzige österreichische Frachtfluggesellschaft überhaupt, flog als eine der letzten Airlines in Europa mit Lockheed Electra, die erst 2006 ausgemustert wurden. Ende der 1990er Jahre wurden damit hauptsächlich Frachtflüge für das amerikanische Paketunternehmen UPS durchgeführt. Unser Autor Paul Bierl, Luftfahrtjournalist, Pilot und Unternehmer, war 1998 auf einem dieser Flüge von Linz nach Köln/Bönn im Cockpit mit dabei. Noch heute ist Amerer Air im Frachtfluggeschäfft tätig, allerdings lediglich mit einer Fokker F 27. Zwei der ehemals bei Amerer Air eingesetzten Lockheed Electra befördern heute übrigens mit der Registrierung C-GLBA bzw. C-FBAQ bei der kanadischen Buffalo Airways noch immer Luftfracht.

Die Maschine, in welcher der Autor mitflog, beim Start - Foto: Olav Rhensius, Propfreak Collection (für eine größere Darstellung klicken Sie bitte auf das Bild)

Der sonore Sound der vier Allison 501 Turbinen gerät zum alles beherrschenden Klang eines Orchesters, als Kapitän Amerer und Flugingenieur Musner die Leistungshebel auf Startstellung schieben. Die vier Mal 3.750 PS beschleunigen die ehrwürdige Lockheed L188 Electra LN-FOH (das gleiche Kennzeichen trug übrigens auch eine ebenfalls von Fred Olsen betriebene Vickers Viscount, die von der  neu gegründeten Austrian Airlines in ihrer Anfangszeit angemietet worden war), Baujahr 1961 scheinbar mühelos vom Stand weg in Richtung Nachthimmel. Erst wenige Wochen zuvor war diese Maschine von der schwedischen Fred Olsen übernommen, bei Air Atlantique im britischen Coventry überholt und nach Österreich überstellt worden. Später erhielt sie das Kennzeichen OE-ILA.

Nach wenigen Sekunden schon ruft First Officer Wastlbauer V1 aus, V2 folgt bei unserem aktuellen Startgewicht von 37,4 Tonnen bei 128 Knoten. Rasch erreichen wir FL 120, die uns zugewiesene Flughöhe auf der ersten Etappe der im Auftrag von UPS geflogenen Nacht-Frachtkette. Um exakt 20:32 Uhr Lokalzeit sind wir auf der Piste 27 in Linz gestartet und schon um20:53 landen wir in München auf der Piste 26L. Die Zwischenzeit ist ausgefüllt mit harter Arbeit für die gesamte Crew. Während Flugingenieur Musner die wichtigsten Parameter, darunter die Triebwerkstemperatur, ständig kontrolliert, gehen Pilot und Copilot die Checklisten durch. Zusätzlich muss auch noch kontinuierlich mechanisch nachgetrimmtwerden. Das natürlich alles zusätzlich zu den sonstigen fliegerischen Aufgaben, wie Navigation, funkverkehr und natürlich dem Fliegen von Hand.

Als mich der technische Direktor der Amerer Air, Ingenieur Gerhard Czejka zu dem Flug eingeladen hatte, stellte ich mir eine gemütliche Gesellschaft mit verstaubten Fliegern und nostalgischen Piloten vor.

Flugzeuge in tadellosem Zustand
Schon bei meiner Ankunft in Linz werde ich schnell eines besseren belehrt. Das eingesetzte Fluggerät, drei Electras, davon dient eine - die EL-WWS - als Ersatzteilspender, eine F 27 und PA 28, machen trotz ihres Alters einen hervorragenden tecnischen Eindruck. Die Professionalität der Besatzung braucht den Vergleich mit den Crews einer großen Airline nicht zu scheuen. Insgesamt wurden rund 170 "Electra" gebaut, die letzte Maschine wurde 1970 produziert; in der Passagierversion konnte sie bis zu 98 Fluggäste befördern; heute fliegen weltweit noch eine Handvoll als Frachter.

Amerer Air ist eine private österreichische Gesellschaft. Als Gesellschafter fungieren Kapitän Amerer, seine Gattin und Gerhard Czejka. Sie betreiben auch eine Flugschule für Linienpiloten, unter anderem wird die Typenberechtigung für die F 27 angeboten.

Eine Überraschung wartet in der technisches Basis der Firma: ein L 188 Simulator. Dieses Einzelstück wurde in den USA erworben, wird hier neu aufgebaut und mit viel Elektronik auf den neuesten Stand gebracht. Der Simulator dient der Schulung der eigenen Besatzungen, soll aber auch Fremdairlines angeboten werden.

Ich sitze während des gesamten Turns direkt hinter dem Kapitän, so entgeht mir nichts von dem, was im Cockpit vor sich geht. Jeder Hangriff, und das sind bei einer Electra nicht wenige während des gesamten Fluges, sitzt. Trotz der zeitweise hohen Arbeitsbelastung kommt nie so etwas wie Hektik auf. Ein perfekt eingespieltes Team mit Fachkompetenz sitzt hier um mich herum. Und alle sind stolz auf einer Lockheed Electra zu fliegen. Der Chef des einzigen Homecarriers von Linz, Kapitän Amerer, auf die Frage, warum er die Electra bevorzugt: "Nun, die Betriebskosten sind in einem sehr moderaten Bereich, Ersatzteile gibt es in ausreichendem Maße und vor allem hat gerade die Electra die für uns richtige Größe und Performance. Zu früh auf größeres und moderneres, also viel teureres, Fluggerät umzusteigen, hat schon so manchem Newcomer finanziell das Genick gebrochen."

Zuverlässigkeit ist gefragt
Während wir von der Piste in Richtung Cargo Center rollen, werden die Checklisten abgearbeitet, der weitere Verlauf des Fluges, sowie die Notfallverfahren besprochen. Safety first und die damit unmittelbar zusammenhängende Zuverlässigkeit des Fluggerätes sind oberste Priorität. Wenn man für UPS fliegt, bedeuten schon drei Minuten Verspätung einen report an die UPS-Zentrale. Sinkt die Zuverlässigkeit, steht der Kontrakt auf dem Spiel.

München Cargo macht um diese Zeit einen eher verschlofenen Eindruck, nichts desto trotz sind wir in kurzer Zeit mit total sieben Containern gerammelt voll. Per Hand werden die einzelnen Container, je bis zu 2,6 Tonnen schwer, im Laderaum auf im Boden eingelassenen Laufrollen an ihre Position gebracht und verankert.

Die Gewichtsverteilung wird nach dem Beladeplan ausgerichtet. Das Frachttor fährt elektrisch zu und schon geht es wieder zur Piste 26L, wo wir in Richtung UPS Euro Hub Köln starten. Mit nun 44,2 Tonnen Startgewicht steigen wir auf FL 180, vorbei an Nürnberg und Frankfurt geht es unserem Tageszeiel entgegen.

Pünktlich am Ziel
In Köln werden wir für einen ILS_Anflug auf die Piste 32 freigegeben. Auf 250 Meter über Grund durchstossen wir eine Nebelbank und setzen überaus pünktlich um 23:20 auf der Piste auf. Die Leistungshebel über Anschlag zurückgenommen, und schon drehen die Propellerblätter automatisch in Neutral und wirken so als sehr effektiveLuftbremse. Nun geht es direkt zu unserer Abstellfläche und hier ist wirklich was los.

Diverse Varianten von Fracht B 747, B 767, BAe 146, Electras und F 27 sind hier alle in Sachen Paketservice im Einsatz. Eine C 130 "Hercules" der Southern Air Transport rollt gerade zum Start.

Nach der Entladung unserer Electra haben wir bis 03:00 Zeit zum Entspannen, die wir gemeinsam mit den Besatzungen der Überseedienste im UPS Ruheraum verbringen. Nach einem Besuch beim Wetterberatungsdienst werden unsere Treibstofftanks wieder gefüllt, im Laderaum die für München und Linz bestimmte Fracht verstaut, und um 05:16 Uhr heben wir, nachdem wir als Nummer sechs zum Start gerollt sind,wieder Richtung München ab.

Und wieder dieser unbeschreibliche Anblick von Flughäfen in der Nacht von oben aus dem Cockpit einer Lockheed Electra! Schlussendlich, nachdem wir noch den Sonnenaufgang über dem nebelverhangenen Innviertel erlebt haben, landen wir um 07:02 Uhr wieder in Linz. Eine unvergessliche Flugreise mit Amerer Air geht zu Ende.

Technische Daten der Lockheed L-188A Electra:

  • Länge: 31,80 Meter
  • Spannweite: 30,18 Meter
  • Höhe: 10,25 Meter
  • Leergewicht: 26.037 Kilogramm
  • Maximales Startgewicht: 52.665 Kilogramm
  • Höchstgeschwindigkeit: 721 km/h
  • Reisegeschwindigkeit: 650 km/h
  • Dienstgipfelhöhe: 8.655 Meter
  • Reichweite: c. 4.400 Kilometer (abhängig von Beladung & Wetterverhältnissen)

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Links:

Amerer Air

Informatonen & historische Farbfotos zur Lockheed L 188 Electra

Buffalo Airways (Betreiber von 2 der ehemaligen Amerer Air Electras)

Text: Paul Bierl