Reportagen

8. November 1944: Tod am Himmel

Nowotny im Cockpit einer FW 190 - Foto: Archiv Georg N. Thal

Vor 74 Jahren stürzte Major Walter Nowotny mit seiner Me 262 in den Tod. Er wurde nur 23 Jahre alt. Die Figur des jungen Niederösterreichers beschäftigt Historiker sowie linke und rechte Gruppierungen seit Jahren. Denn während die fliegerische Brillanz des in Gmünd geborenen Nowotny unbestritten und weltweit in Fachkreisen anerkannt ist, werfen seine politischen Einstellungen einen Schatten auf den Offizier. Der Versuch einer objektiven und nachdenklichen Annäherung.

Mit 258 bestätigten Luftsiegen gilt Major Walter Nowotny als einer der erfolgreichsten Jagdflieger der Militärgeschichte überhaupt. Wer aber war dieser Mann? Geboren am 7. Dezember 1920 in Gmünd, nahe der tschechoslowakischen Grenze, begeisterte sich der katholisch erzogene Nowotny schon früh für Sport und Technik. Im Jahr 1936 unternahm Nowotny eine Reise nach Berlin zu den olympischen Spielen und war vom verführerischen Glanz, den das Nazi-Regime geschickt verbreitete, beeindruckt. Der Niederösterreicher trat der Hitlerjugend bei und errang beachtliche sportliche Erfolge, unter anderem im Laufen. Später beantragte Nowotny auch die Mitgliedschaft in der NSDAP und erhielt laut dem Berliner Document Center die Mitgliedsnummer 6.382.781. Als Eintrittsdatum ist der 1. Mai 1938 vermerkt, Nowotny war damals 17 Jahre alt. Ungeachtet seiner politischen Agitation wurde der Wunsch zu fliegen bei dem Burschen immer stärker, und so ist es wenig verwunderlich, dass er sich für die Aufnahme in die Luftwaffe bewarb. Doch bevor es ans Fliegen ging, musste der 18-Jährige zunächst einmal seine militärische Grundausbildung absolvieren. Diese erfolgte vom 1. Oktober bis zum 15. November 1939 beim Flieger-Ausbildungsregiment in Quedlinburg. Danach erfolgte die Versetzung zur Luftkriegsschule 5 in Regensburg-Obertraubling. Hier standen neben der fliegerischen Ausbildung auch die Themen Taktik, Luftrecht, Truppendienst und Disziplinarstrafordnung auf dem Lehrplan. Im Anschluss an diese Ausbildung ging es im Mai 1940 an die Jagdfliegerschule 5 nach Schwechat. Hier nahm Julius Arigi, einer der erfolgreichsten österreichisch-ungarische Jagdflieger des Ersten Weltkrieges (32 bestätigte Abschüsse), den Neuzugang unter seine Fittiche. Mitte November 1940 schloss Nowotny den Lehrgang als einer der jahrgangsbesten Piloten ab, anschließend wurde er auf der wegen ihres großen Propellers und des schmalen Fahrwerks anspruchsvoll zu fliegenden Messerschmitt Me 109 ausgechecked. Danach erhielt der 19-Jährige seinen Marschbefehl nach Merseburg. Hier wurde er bei einer Ergänzungs-Jagdgruppe eingesetzt, welche die Leuna-Werke vor alliierten Luftangriffen schützen sollte. Im Dezember erfolgte die Versetzung zum Jagdgeschwader 54, das unter dem Kommando von Major Hannes Trautloft stand und dem viele fronterfahrene Piloten flogen. Von diesen Männern erhielt der junge Nowotny später überlebenswichtige fliegerische Kenntnisse beigebracht.

Erster Sieg endet beinahe mit dem eigenen Tod
Seine ersten zwei Luftsiege errang der mittlerweile zum Leutnant beförderte Niederösterreicher am 19. Juli 1941, als er über der estnischen Insel Ösel zwei russische Doppeldecker des Typs I-153 abschoss. Doch während des gleichen Luftkampfes wurde Nowotny selbst vom (am 12. August 1942 gefallenen) russischen Fliegerass Alexandr Avdeev abgeschossen. Nowotny überlebte, trieb allerdings drei Tage im Schlauchboot im Meer, ehe er gerettet werden konnte. Nowotny wurde von den Russen ehrfurchtsvoll "Tiger vom Wolchowstroj" genannt, während er sein Abschusskonto weiter füllen konnte.

In den kommenden Monaten verbesserte Nowotny seine fliegerischen Fertigkeiten weiter und erhöhte seine Abschusszahl sukzessive. Es folgten erste Auszeichnungen wie das Eiserne Kreuz erster und zweiter Klasse. Nach 56 Luftsiegen erhielt der Pilot am 4. September 1942 das Ritterkreuz, sechs Wochen später wurde ihm – gerade einmal 22-jährig – das Kommando der ersten Staffel des JG 54 übertragen. Im Jänner 1943 schulten Nowotny und seine Kameraden von der Me 109 auf die leistungsstärkere und modernere Focke Wulf FW 190 um. Mittlerweile waren Nowotny und seine Kameraden bei den sowjetischen Piloten gefürchtet, Gerüchten zufolge setzte die sowjetische Führung sogar ein Kopfgeld auf den jungen Offizier aus. Am 3. September, nach seinem 191. Abschuss, erhielt Nowotny das Eichenlaub zum Ritterkreuz und am 22. September für seinen 220. Luftsieg die Schwerter zum Ritterkreuz mit Eichenlaub.

Portraitaufnahme des Fliegers - Foto: Archiv Georg N. Thal

Nach seinem 225. Abschuss wurde der Niederösterreicher zum Hauptmann befördert. Er war der weltweit erste Jagdflieger, der 250 Luftsiege erreichte, und bekam dafür die Brillanten zum Ritterkreuz mit Eichenlaub und Schwertern verliehen. Mittlerweile war auch die Nazi-Führung auf Nowotny aufmerksam geworden und schlachtete dessen Erfolge an der Front propagandistisch aus. Männer wie Nowotny waren für die NS-Propaganda anlässlich des sich wendenden Kriegsglücks von immenser Bedeutung, ihr Tod sollte nach Möglichkeit vermieden werden. Im April 1944 erfolgte deshalb seine Versetzung an die Jagdfliegerschule 1 nach Frankreich. Damit konnte das Regime zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen: Nowotny war aus der Schusslinie und konnte zugleich seine Erfahrungen an junge Piloten weitergeben. Doch "Nowy", wie er von Freunden und Kameraden genannt wurde, war ein Getriebener, der wieder an die Front wollte, seine Versetzungsgesuche wurden von der Führung allerdings abgelehnt, da man um das Leben des Fliegers fürchtete.

Nachbau einer Me 262, wie sie von Walter Nowotny geflogen wurde - Foto: Austrian Wings Media Crew

Erst Ende September 1944 durfte Nowotny wieder an die Front zurückkehren: Das Erprobungskommando nahm Nowotny auf, das mit dem neuen Strahljäger Me 262 ausgestattet war und von Achmer und Hesepe aus operierte. Zu den Piloten gehörten die erfahrensten und besten Jagdflieger der Luftwaffe, und das aus gutem Grund: Zwar war die Me 262 technisch ihrer Zeit um Jahre voraus und verfügte über ein enormes Leistungspotential, gleichzeitig war das Flugzeug technisch aber noch unausgereift und verlangte ihren Piloten alles ab. Nowotny selbst sollte jedoch am Boden bleiben, um ihn nicht in Gefahr zu bringen.

Tod und Begräbnis
Als am 8. November 1944 starke alliierte Bomberverbände im Anflug gemeldet wurden, starteten von den Plätzen Achmer und Hesepe aus insgesamt vier Me 262, deren Piloten zwei Bomber abschießen konnte, allerdings zu einem hohen Preis: Einer der Me 262 Piloten wurde selbst abgeschossen, ein zweiter musste sich aufgrund eines Triebwerksbrandes mit dem Fallschirm retten.

Nowotny, inzwischen Major, verfolgte die dramatischen Momente am Funk mit und befahl dem Bodenpersonal, seine Maschine, die "Weiße 8", startklar zu machen. Dem von höchster Stelle erteilten Feindflugverbot zuwiderhandelnd startete Walter Nowotny zu seinem 443. Feindflug und schoss kurz darauf eine B-24 Liberator sowie eine P-51 Mustang ab. Was dann geschah, ist bis heute Gegenstand von Diskussionen unter Historikern und Luftfahrtinteressierten. Fest steht lediglich, dass Nowotny über Funk zunächst Triebwerksprobleme und anschließend Feuer meldete. Ob die Ursache dafür technischer Natur oder feindlicher Beschuss war, ist ungeklärt, wenngleich zwei US-Piloten für diesen Tag gegen 12:45 Uhr den Abschuss einer Me 262 meldeten.

Zeugen am Boden sahen jedenfalls kurz danach eine Me 262 senkrecht aus den Wolken stürzen. Nowotny selbst gelang es trotz der enormen Beschleunigungskräfte noch, die Cockpithaube abzuwerfen, die Gurte zu lösen und den waidwunden Jet zu verlassen, als er den Fallschirm öffnete, verfing sich dieser jedoch am Leitwerk und riss den Piloten mit in die Tiefe. Die Maschine schlug bei Epe, 2,5 Kilometer östlich von Hesepe, auf und explodierte. Sofort herbeigeeilte deutsche Soldaten fanden nur noch brennende Trümmer und die sterblichen Überreste Nowotnys vor. Nach 442 Feindflügen und 258 bestätigten Luftsiegen hatte den "Tiger vom Wolchowstroj" das Fliegerglück verlassen. Für die NS-Propaganda war der Tod Nowotnys ein Desaster, denn die Moral der Bevölkerung und der Truppe war angesichts der sich immer deutlicher abzeichnenden Niederlage der NS-Diktatur ohnedies auf dem Tiefpunkt. Zudem hatte der Offizier gegen das auferlegte Feindflugverbot verstoßen.

Die Leiche des 23-Jährigen wurde nach Wien überstellt und dort nach einer pompösen von der Wochenschau gefilmten Trauerfeier in einem Ehrengrab auf dem Wiener Zentralfriedhof zur letzten Ruhe gebettet. An der Absturzstelle in Deutschland wurde aus Teilen der Unglücksmaschine eine Gedenkstätte errichtet, die allerdings im Jahr 2017 entfernt wurde, um sie vor Souvenirjägern zu schützen, wie es offiziell heißt.

Politische Diskussionen
Nowotnys Grab in Wien blieb über Jahrzehnte unbehelligt, bis im Jahr 2003 die Wiener Grünen mit Unterstützung der Sozialdemokraten die Aberkennung des Ehrengrab-Status beschlossen und gar eine Verlegung der letzten Ruhestätte Nowotnys anregten. Das erregte den Unmut von konservativen sowie rechten Kreisen, und es erstand ein erbitterter Streit um das Grab, der darin gipfelte, dass linksextreme und rechtsextreme Gruppen zur Verwunderung friedlicher Friedhofsbesucher gleichermaßen auf dem Zentralfriedhof aufmarschierten und das Grab für jeweils "ihre" Weltanschauung vereinnahmen wollten. Für die Linken war Nowotny ein "Nazi-Verbrecher", der keinesfalls zwischen sozialdemokratischen Größen im Ehrengräberhain ruhen durfte. Hasserfüllte Rufe wie "Nazi-Kadaver verrotte" gellten über das Friedhofsgelände. Es kam wiederholt zu Grabschändungen durch Linksextreme. Für die Rechten und Neonazis dagegen war der Flieger ein heldenhafter Verteidiger der Heimat, der Frauen und Kinder vor alliierten Bombern beschützen wollte. Letzteres traf zumindest auf seine letzten Einsätze zu, den Großteil seiner Luftsiege hatte Nowotny jedoch an der Ostfront erzielt.

Der für die Pflege verantwortliche Verein legt jedes Jahr rund um den Todestag von Walter Nowotny einen Kranz nieder - Foto: Austrian Wings Media Crew

Schlussendlich kam es in der Causa zu einer typisch "österreichischen Lösung": Nachdem der Titel "Ehrengrab" aberkannt worden war, sorgte zunächst das Innenministerium für die Grabpflege. Eine Verlegung der Ruhestätte fand nicht statt, da sie ungeachtet eines allfälligen Ehrengrab-Status als Kriegsgrab de facto unantastbar ist. Seit einigen Jahren kümmert sich ein eigens für die Pflege des Grabes gegründeter Verein um die letzte Ruhestätte des Niederösterreichers.

Das Grab von Walter Nowotny auf dem Wiener Zentralfriedhof - Foto: Georg N. Thal

Kriegsverbrecher oder Held?
Die von linker Seite immer wieder geäußerte Behauptung, Walter Nowotny sei ein Nazi-Kriegsverbrecher gewesen, ist wissenschaftlich betrachtet nicht haltbar. Nowotny war gläubiger Katholik und hat als Pilot, soweit dem Verfasser aufgrund seiner Recherchen bekannt ist, ausschließlich an Luftkämpfen, Soldat gegen Soldat teilgenommen. Allerdings war er Mitglied der NSDAP und hat damit aktiv ein kriegstreiberisches, mörderisches und verbrecherisches Regime gutgeheißen und unterstützt. Andererseits erfolgte der Beitritt zur Partei mit 17 Jahren, in einem Alter also, in dem Jugendliche leicht manipulierbar und sich der Auswirkungen ihres Tuns noch nicht voll bewusst sind. Stimmt also die von rechten und konservativen Kreisen verbreitete Behauptung, Nowotny sei ein Held gewesen? Aus Sicht des Autors muss auch dieser Meinung energisch widersprochen werden, denn in den politischen und emotional geführten Debatten um die Person des Fliegers war eines kaum vorhanden: Sachlichkeit. Bei einer differenzierten Betrachtung ergibt sich das Bild eines jungen Mannes, der sich in wirtschaftlicher Not hat blenden und verführen lassen und, getreu den damals anerzogenen Prinzipien von Ehre und Pflichterfüllung, nach der Verwirklichung seines Traumes, Pilot zu werden, als Soldat diente und den Tod fand. Was die heutige Generation aus dem Schicksal Nowotnys lernen kann und sogar muss, um eine Wiederholung der NS-Gräuel zu vermeiden, ist, Behauptungen und Versprechen von Politikern stets kritisch zu hinterfragen und sich nicht unter dem Deckmantel der Pflichterfüllung für eine verbrecherische Sache instrumentalisieren zu lassen.

Den Lebenden, gleich welchem politischen Lager sie angehören, sei empfohlen, die Totenruhe zu respektieren und Verstorbene nicht Jahrzehnte nach deren Ableben für ihre eigenen Zwecke zu instrumentalisieren. Denn diejenigen, die unter der Erde liegen, können sich nicht mehr wehren. Zum Abschluss die nachdenklich stimmenden Worte, die ein in den britischen Luftstreitkräften dienender Franzose über den Tod Walter Nowotnys verfasst hat.

"Walter Nowotny ist gefallen. Sein Name fällt an diesem Abend oft im Gespräch in der Messe. Wir sprechen von ihm ohne Groll und Hass. Jeder ruft in einem Ton der Achtung, ja beinahe der Zuneigung, die Erinnerung wieder herauf, die ihn mit ihm verbindet. Es ist das erste Mal, dass ich diesen Ton in der Royal Air Force vernehme. Zum ersten Mal auch erlebe ich, wie eine merkwürdige Solidarität zwischen allen Jägern offen Ausdruck gibt, eine Verbundenheit jenseits der einzelnen Tragödien und jenseits aller Vorurteile. Wir grüßen heute einen tapferen Feind, den das Schicksal ereilt hat, erklären Nowotny zu einem der Unseren, der teil hatte an unserer Welt, in der weder Ideologien noch Hass, noch Grenzen zählen. Diese Kameradschaft hat nichts zu tun mit Patriotismus, Demokratie, Nationalsozialismus oder dem Gedanken an die Menschheit. Alle spüren das heute instinktiv. Die, die Achseln zucken, können es nicht verstehen, sie sind keine Jagdflieger. Schade, dass dieser Typ nicht unsere Uniform trug. Er wäre ein feiner Kerl gewesen."
Der französische Jagdflieger Pierre Clostermann, 18 Luftsiege, in seinem Buch "Die große Arena"

Text: Georg N. Thal