Punktlandung

Ukrainischer Jagdflieger setzt sich nach Rumänien ab: Was wir bisher wissen

Eine Maschine der ukrainischen Luftwaffe im Flug, Symbolbild - Foto: Gerald Engertsberger

Wenn sich ein Jagdflieger mit seiner Maschine ins Ausland absetzt, kann es dafür mehrere Gründe geben. Es muss nicht zwingend ein Feigling oder Deserteur sein. Eine Betrachtung aus aktuellem Anlass.

Groß war die Überraschung für die rumänische Luftwaffe, als sie am ersten Tag des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine einen ukrainischen Kampfjet abfangen und zur Landung geleiten musste. Der Pilot der ukrainischen Luftwaffe hatte sich mit seinem Flugzeug nämlich nach Rumänien abgesetzt - wir berichteten. Unser Beitrag zu dem Vorfall stieß auf reges Interesse, wurde mehr als 5.000 Mal in sozialen Medien geteilt und erreichte allein auf Facebook in weniger als vier Tagen deutlich mehr als eine Million Leser (siehe Screenshot).

Das Thema polarisierte dabei von Anfang an und löste teils heftige Reaktionen aus. Viele Menschen werfen dem Piloten "Feigheit" vor oder dass er ein "Deserteur" sei. Auch heftigere Verbalinjurien kamen in diesem Zusammenhang vor. Wieder andere Leser gratulierten dem Mann und/oder sind der Meinung, dass er richtig gehandelt habe, um sein Leben zu retten.

Erklärungsversuche
Fakt ist: Bis jetzt weiß wohl niemand (außer der Pilot selbst und die rumänischen Behörden), was die Beweggründe des Soldaten waren, sich mit dem Kampfjet abzusetzen. Austrian Wings möchte die Sache nüchtern-analytisch betrachten. Als sich der Jagdflieger entschied, in Rumänien zu landen, war die Ukraine gerade von der russischen Armee überfallen worden. Es gab heftige Luft- und Raketenangriffe auf ukrainische Flughäfen und Militärflugplätze, die Lage war unklar und chaotisch. Am Abend des gleichen Tages noch galt die ukrainische Luftwaffe nach Meinung westlicher Analysten als de facto ausgeschaltet. Gut möglich also, dass der Pilot in diesen Kriegswirren keinen Funkkontakt zu seinem Heimatstützpunkt mehr herstellen konnte. Vielleicht war seine Maschine auch beschädigt und/oder die Kommunikationseinrichtungen defekt. In einer solchen Situation hätte er nicht mehr wissen können, wo er überhaupt noch landen kann. Möglicherweise neigten sich auch die Treibstoffreserven dem Ende zu. In dieser Lage war es wohl das Vernünftigste, mit der Maschine nach Rumänien zu fliegen und dort sicher zu landen. Das macht den Luftfahrzeugführer weder zum Helden noch zum Feigling, sondern schlichtweg zu einem Piloten, der eine faktenbasierte Entscheidung getroffen und umgesetzt hat.

Eine weitere Möglichkeit für seinen Entschluss nach Rumänien zu fliegen wäre, dass er ein Russe im Dienst der ukrainischen Luftstreitkräfte war und sich in einem moralischen Konflikt befand, nicht auf seine eigenen Landsleute schießen wollte. In diesem Fall wäre das Absetzmanöver nach Rumänien formaljuristisch wohl zwar als Desertation (als Angehöriger der ukrainischen Streitkräfte hat der Mann schließlich einen Fahneneid geschworen, die Ukraine zu verteidigen) zu klassifizieren, menschlich jedoch nur allzu verständlich. Denn wie Austrian Wings Leser wissen, gab es am 25. Oktober 1991 in den Wirren des jugoslawischen Bruderkrieges einen ähnlichen Vorfall. Damals landete nämlich eine MiG 21 der jugoslawischen Volksarmee in Klagenfurt. Der Pilot, Rudolf Peresin, hatte sich abgesetzt, weil er als Angehöriger der kroatischen Volksgruppe nicht gegen seine eigenen Landsleute kämpfen wollte.

Und last but not least bleibt noch die dritte Möglichkeit, nämlich, dass der ukrainische Pilot tatsächlich schlichtweg desertiert ist. In diesem Fall wird sich der Mann wohl, sollte er eines Tages in seine Heimat zurückkehren, wohl vor einem Militärgericht verantworten müssen.

So lange wir aber die Hintergründe nicht kennen, nicht gesichert wissen, weshalb der Pilot seinen Jet nach Rumänien steuerte, so lange sollten wir uns mit Mutmaßungen zurück halten.

Text: P. Huber

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.