Punktlandung

Gastkommentar: Warum fliegen wir nicht bei jedem Wetter?

Computer und Assistenzsysteme erleichtern den Piloten in modernen Cockpits ihre Arbeit. Trotzdem bleibt das Wetter manchmal limitierender Faktor - Foto: www.der-rasende-reporter.info

Moderne Flugzeuge können bei (fast) jedem Wetter fliegen, aber manchmal gibt es auch für heutige Verkehrsflugzeuge Grenzen. Ein Gastkommentar von Adriana Irlacher. Der Text ist eine Arbeit, die sie im Rahmen ihres Studiums am FH Joanneum Graz erstellte und den Austrian Wings mit freundlicher Genehmigung von Frau Irlacher veröffentlicht, um die interessanten Informationen einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen.

Flugausfälle wegen des Wetters – ein leidiges Thema für Reisende, aber eine unverzichtbare Maßnahme für die Flugsicherheit. Obwohl Verkehrsflugzeuge heute technisch hochmodern ausgerüstet sind, gibt es nach wie vor Wetterlagen, bei denen eine sichere Durchführung des Fluges schlichtweg nicht möglich ist. Doch welche Rolle spielt das Wetter im Luftverkehr wirklich? Und warum reichen moderne Systeme nicht aus, um jede Wetterlage zu bewältigen? Eine Aufklärung über einen entscheidenden Faktor in der Luftfahrt, dessen Komplexität einige Menschen unterschätzen.

Faktor „Medium“ - Wetterphänomene und ihre Gefahren für die Luftfahrt
n der öffentlichen Wahrnehmung beschränkt sich „schlechtes Wetter“ meist auf Regen, Nebel oder Gewitter. In der Luftfahrt jedoch ist Wetter ein Sammelbegriff für alle physikalischen Zustände und Vorgänge im Luftraum – und diese beeinflussen Flugsicherheit
und -betrieb teils drastisch (Anmerkung der Redaktion: Erst am vergangenen Wochenende musste ein A320 der AUA wegen Gewittern den Flug von Wien nach Frankfurt abbrechen). Niederschlag und Gewitter sind jedoch typische Wetterlagen, die trotz modernster Technik eine Gefahr bergen können. Während des Fluges oder bei Landungen wird die Sicht durch dichten Regen oder Schnee beeinträchtigt. Besonders gefährlich ist dies bei Außenlandungen, etwa auf verschneiten Wiesen, wo die Einschätzung der Flughöhe massiv erschwert wird. In verschneiten Gebieten kann es zudem zu einem sogenannten White-Out kommen – einem Zustand, bei dem der Rotor Schnee aufwirbelt, sodass die Orientierung erheblich erschwert wird. Auf nassen oder vereisten Start- und Landebahnen verschlechtert sich die Bremswirkung deutlich, was zu einem verlängerten Ausrollweg oder sogar zum Kontrollverlust führen kann. 

Hubschrauber wiederum können sich auf glattem Untergrund beim Aufsetzen unbeabsichtigt drehen, was die Landung erschwert. Ein besonders gefährliches Phänomen sind ebenso Gewitter, insbesondere in Form von Cumulonimbus-Wolken. Innerhalb dieser Gewitterwolken herrschen extreme Auf- und Abwinde, es kommt zu Böen und Turbulenzen, zu Hagelbildung und teils massiven elektrischen Entladungen. Ein Blitzschlag kann nicht nur zur kurzzeitigen Blendung der Cockpit-Crew führen, sondern auch zu Störungen in den elektronischen Systemen, zu strukturellen Schäden am Flugzeug oder im Extremfall sogar zur Entzündung von Treibstofftanks. Auch am Boden können abgestellte Flugzeuge durch Starkwind oder Hagel gravierend beschädigt werden.

Ist der Wind zu stark, kann eine Landung trotz technischer Assistenzsysteme manchmal nicht möglich sein, Symbolbild.

Die Eisbildung an Luftfahrzeugen birgt zusätzlich große Risiken. Sie kann die Sensoren beeinträchtigen, die für die Anzeige von Fluggeschwindigkeit und Flughöhe entscheidend sind. Aerodynamisch verändern sich die Flugeigenschaften durch Eisablagerungen so stark, dass es zu Kontrollverlust oder Strömungsabriss kommen kann. Bei Hubschraubern kann es zur Unwucht der Rotorblätter kommen. Triebwerksausfälle sind ebenfalls möglich, wenn sich Eis in der Luftzufuhr ansammelt. Wolken selbst, insbesondere in Verbindung mit Instrumentenflugregeln (IFR), stellen eine Herausforderung dar. Bei Start und Landung unter Mindestbedingungen können sie die Sicht auf kritische Werte reduzieren. Zudem erhöhen niedrige Wolkenuntergrenzen die Gefahr von Kollisionen mit Hindernissen oder Geländeformationen, insbesondere in bergigem Terrain. Besonders heikel ist auch der Versuch, bei Sichtflugbedingungen (VFR) über einer dünnen Wolkenschicht zu fliegen und „eine Lücke zu suchen“, um durchzubrechen – dieses Vorgehen bringt große Risiken mit sich und widerspricht etablierten Sicherheitsregeln. Wind spielt in der Luftfahrt eine zentrale Rolle. Er beeinflusst Navigation, Treibstoffverbrauch und das Handling des Flugzeugs. Besonders gefährlich sind Seitenwindkomponenten bei der Landung sowie plötzliche starke Windscherungen, die die Flugbahn abrupt verändern können. Turbulenzen bringen nicht nur die Struktur des Flugzeugs an ihre Grenzen, sondern gefährden auch unangeschnallte Passagiere und Fracht. Besonders Clear Air Turbulence (CAT) birgt eine wesentliche Gefahr in der Luftfahrt da diese Art von Turbulenz nicht detektierbar ist. Bei Hubschraubern können plötzliche Auf- oder Abwinde, besonders im Gebirge, kritische Situationen verursachen. Wind kann zudem spezielle Einsatzformen wie Windenbergungen, Fallschirmsprünge oder Lastabwürfe verhindern. Auch für das Anlassen von Hubschraubern gibt es eine maximale Windstärke, die nicht überschritten werden darf. Extreme Temperaturen – sowohl Hitze als auch Kälte – wirken sich vielfältig auf Luftfahrzeuge und ihre Besatzungen aus. Bei großer Hitze sinkt die Triebwerksleistung, und das Arbeiten im überhitzten Cockpit wird körperlich und psychisch belastend. Komponenten wie die Cockpithaube können durch den Lupeneffekt beschädigt werden. In kalten Umgebungen wiederum treten Startprobleme auf, Scheiben beschlagen und die Bewegungsfreiheit der Crew ist durch Kälteschutzkleidung eingeschränkt. Bei Notwasserungen oder Fallschirmausstiegen sind die Überlebenschancen bei extremer Kälte deutlich reduziert. 

Luftdruckschwankungen beeinflussen die Triebwerksleistung, insbesondere in großen Höhen. Bei ungenügender Sauerstoffversorgung kann es zu kognitiven Ausfällen bei der Crew kommen. Falsch eingestellte Höhenmesser führen zu Navigationsfehlern, die in
kontrollierten Lufträumen zu Kollisionen führen können. Besonders gefährlich sind solche Fehler im Kunstflug oder beim Flug in bergigem Gelände – hier droht der sogenannte „Controlled Flight Into Terrain“ (CFIT), also das Fliegen eines voll steuerbaren  Luftfahrzeuges in ein Hindernis trotz intakter Technik. Sandstürme stellen eine besondere Bedrohung dar, vor allem in ariden Regionen. Sie beeinträchtigen nicht nur die Sicht, sondern können Triebwerke beschädigen und elektronische Systeme empfindlich stören.
Schließlich stellt auch die Verschmutzung der Atmosphäre eine oft unterschätzte Gefahr dar. Aufsteigende heiße Abgasströme großer Industrieanlagen können zu Turbulenzen führen. Vulkanasche, wie sie etwa bei dem Ausbruch des Eyjafjallajökull 2010 freigesetzt wurde, kann Triebwerke beeinträchtigen und Navigationssysteme lahmlegen.

Fliegen bei schlechtem Wetter: Was Technik leisten kann – und wo ihre Grenzen liegen
Wetterradar

Um gefährliche Wetterphänomene rechtzeitig zu erkennen und zu vermeiden, setzen Luftfahrzeuge auf hochentwickelte Wetterradarsysteme, die in der Flugzeugnase untergebracht sind. Sie ermöglichen es der Besatzung, Wetterentwicklungen in Flugrichtung frühzeitig zu erkennen und entsprechend zu reagieren. Ein Wetterradar funktioniert, indem es elektromagnetische Mikrowellen aussendet, die von Wasser- oder Eispartikeln – also Regen, Schnee oder Hagel – in der Atmosphäre reflektiert werden. Aus den zurückgeworfenen Signalen kann das System die Stärke, Verteilung und Bewegung von Niederschlagsgebieten analysieren. Das erzeugte Bild erscheint auf dem Navigationsdisplay im Cockpit, welches Teil des Electronic Flight Instrument System (EFIS) ist. So können gefährliche Zonen wie Gewitterzellen, starke Niederschlagsfelder oder Turbulenzen frühzeitig erkannt und gezielt umflogen werden.

Allerdings hat auch diese Technik Grenzen. Ein häufiges Problem ist der sogenannte „Radarschatten“: Wenn eine stark wasserhaltige Wolke (z. B. eine Gewitterzelle) die ausgesandten Radarwellen vollständig reflektiert, bleiben dahinterliegende Wetterstrukturen im Radarbild unsichtbar. Zudem kann das Radar keine Clear Air Turbulence erfassen, da sie keine Niederschlagspartikel enthält – auch hier bleibt die Erfahrung der Crew sowie ergänzendes Wetterbriefing entscheidend.

Windscherung
Viele moderne Flugzeuge verfügen außerdem über Predictive Wind Shear (PWS)-Warnsysteme, die Windgeschwindigkeitsdaten, die vom Wetterradar erfasst werden, nutzen, um das Vorhandensein von Windscherung zu erkennen. Diese Systeme haben jedoch nur
eine geringe Reichweite und sind darauf angewiesen, dass das Radar Geschwindigkeitsinformationen von Wasser- oder Eispartikeln vor dem Flugzeug erfasst. Daher funktionieren sie nicht unter trockenen Bedingungen. Dennoch sind sie sehr effektiv, da sie dem Piloten die Möglichkeit geben, einen Start abzubrechen oder einen Fehlanflug durchzuführen, bevor es zu gefährlichen Situationen kommt.

Vereisung
Eisbildung zählt zu den tückischsten Gefahren in der Luftfahrt, da sie die aerodynamischen Eigenschaften eines Flugzeugs drastisch verschlechtern kann. Um dem entgegenzuwirken, verfügen moderne Luftfahrzeuge über Anti-Icing- (Eisverhinderung) und De-Icing-Systeme (Eisbeseitigung), die entweder präventiv Eisbildung verhindern oder bereits entstandenes Eis aktiv entfernen. Diese Systeme schützen jedoch meist nur besonders kritische Bereiche wie Tragflächenvorderkanten, Triebwerkseinlässe und Sensoren – nicht das gesamte Flugzeug. Bei starker oder langanhaltender Vereisung stoßen sie schnell an ihre Grenzen. Zudem benötigen sie Energie oder Zapfluft, was sich negativ auf die Triebwerksleistung und somit auf Reichweite und Steigleistung auswirken kann. Besonders bei kleineren Flugzeugen oder Hubschraubern ohne vollwertige Enteisung muss daher im Vorfeld sorgfältig abgewogen werden, ob ein Flug unter Vereisungsbedingungen vertretbar ist.

Instrumentenlandesystem (ILS)
Ein zentrales technisches Hilfsmittel bei schlechter Sicht ist das Instrumentenlandesystem (ILS). Es ermöglicht eine präzise Landung auch bei Nebel, starken Niederschlägen oder tiefhängenden Wolken – Wetterlagen, die Sichtlandungen unmöglich machen. Je nach technischer Ausstattung und Sichtverhältnissen unterscheidet man zwischen verschiedenen Kategorien: Während CAT I noch mindestens 550 Meter Sicht erfordert, erlauben CAT II und CAT III deutlich geringere Sichtweiten. Letztere ermöglichen sogar automatische Landungen mit Autoland-Systemen, bei denen das Flugzeug selbstständig aufsetzt. Gerade bei Nacht, Schneefall oder dichter Bewölkung ist das ILS ein entscheidender Sicherheitsgewinn. Dennoch gibt es Grenzen: Starke Seitenwinde, Gewitter mit Windscherung oder vereiste Landebahnen können auch einen ILS-Anflug unmöglich machen. Zudem ist das Rollen nach der Landung oft nur bei ausreichender Bodensicht möglich – ein praktisches Hindernis für die theoretisch machbare Kategorie CAT IIIc.

Wenn Technik an ihre Grenzen stößt – Wetterlagen ohne Gegenmaßnahmen
Trotz aller technischen Fortschritte in der Luftfahrt gibt es auch heute noch Wettersituationen, gegen die es keine wirksamen technischen Gegenmaßnahmen gibt. Besonders Clear Air Turbulence, also Turbulenz in scheinbar ruhiger, wolkenfreier Luft, stellen eine große Gefahr dar, da sie unsichtbar sind und von keinem Radar erfasst werden können. Ebenfalls hochgefährlich sind Vulkanaschewolken, denn ein Einflug kann schwere Triebwerksschäden verursachen – einziges Mittel ist das rechtzeitige Ausweichen anhand von Satelliten- und Wetterdaten. Ähnlich verhält es sich mit Sandstürmen oder dichten Rauchwolken. Ein weiteres Beispiel für ein nicht technisch lösbares Problem ist das sogenannte White-Out, bei dem sich – vor allem in schneebedeckten Gebieten – Horizont und Boden optisch vermischen und jede Orientierung verloren geht. Technische Systeme helfen hier kaum; nur instrumentenbasierte Flugführung und Erfahrung bieten Schutz. Auch extreme Seitenwinde oder Böen stellen weiterhin eine natürliche Grenze dar: Überschreiten sie die maximal zulässigen Windwerte für Start oder Landung, ist ein Flug schlicht nicht durchführbar – unabhängig von Radar oder ILS. Diese Beispiele zeigen: So leistungsfähig moderne Luftfahrttechnik auch ist – die Natur setzt Grenzen. Und in bestimmten Situationen ist der sicherste Schritt, nicht zu fliegen

Wetter als limitierender Faktor im Rettungsflugwesen
Nicht nur im Linienflugverkehr, sondern auch im Rettungsflugwesen, das größtenteils auf Hubschrauber angewiesen ist, spielt das Wetter eine zentrale Rolle – oft mit noch unmittelbareren Konsequenzen. Während Verkehrsflugzeuge in der Regel nach Instrumentenflugregeln (IFR) operieren und auf hochentwickelte Systeme wie ILS oder Autoland zurückgreifen können, erfolgen viele Rettungsflüge nach Sichtflugregeln (VFR). 

Notarzthubschrauber fliegen grundsätzlich nach Sichtflugregeln (VFR), Symbolbild.

Das bedeutet: Sichtverhältnisse, Wolkenuntergrenzen und Hindernisfreiheit bestimmen
maßgeblich, ob ein Einsatz durchgeführt werden kann oder nicht. Besonders in alpinen Regionen kommt es häufig zu plötzlichen Wetterumschwüngen, dichter Bewölkung, Nebel oder Schneefall – Faktoren, die Starts, Landungen oder das sichere Einfliegen in enge Täler unmöglich machen. Hinzu kommen gefährliche Windsituationen wie starke Böen, Föhn oder Abwinde an Hanglagen, die ein hohes Risiko für die Flugstabilität von Hubschraubern darstellen. Auch White-Out-Effekte bei Schnee oder schwierige Lichtverhältnisse in der Dämmerung können zur Absage eines Einsatzes führen, obwohl am Einsatzort dringend Hilfe benötigt wird. Im Gegensatz zum Linienflug, wo Sicherheitsgrenzen auf standardisierten Verfahren beruhen, müssen Notfallpiloten im Einzelfall entscheiden, ob ein Start verantwortbar ist. Wetterberichte, Topografie und Erfahrung der Crew spielen dabei eine entscheidende Rolle. So ist es nicht nur eine Frage der Technik, sondern auch eine der fliegerischen Verantwortung, ob ein Rettungsflug trotz schlechten Wetters stattfindet – oder ob der Hubschrauber am Boden bleiben muss, zum Schutz von Crew und Patienten.

Fazit: Sicherheit über allem – warum wir manchmal besser nicht fliegen
Ob im Linienflugverkehr oder im rettungsdienstlichen Einsatz – Wetter bleibt ein unberechenbarer und oft unterschätzter Risikofaktor in der Luftfahrt. Trotz modernster Technik lassen sich nicht alle Gefahren beherrschen. Viele Wetterphänomene treten plötzlich, lokal begrenzt oder in nicht messbarer Form auf und überschreiten die Grenzen dessen, was technisch lösbar ist. Das Ziel ist daher nicht, „bei jedem Wetter“ fliegen zu können, sondern unter allen Bedingungen sicher zu entscheiden, wann ein Flug vertretbar ist – und wann nicht. Flugabsagen oder Verspätungen sind in solchen Fällen kein Zeichen von Schwäche oder Versagen, sondern Ausdruck verantwortungsvoller Sicherheitskultur. Sie schützen nicht nur Passagiere und Crews, sondern zeigen auch, dass Respekt vor der Natur ein integraler Bestandteil des Fliegens ist – damals wie heute.

Text: Adriana Irlacher
Die Autorin (22) studiert im 6. Semester "Luftfahrt" an der FH Joanneum in Graz. Parallel dazu absolviert sie derzeit eine Ausbildung zur Berufspilotin am Flughafen Graz.

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.