Das Interview in voller Länge findet man im Buch "Das Geheimnis von Malév Flug 240 - Mysteriöser Absturz vor Beirut", das kürzlich auch in englischer Sprache erschienen ist.
Lászlo Németh wurde am 2. Oktober 1951 geboren und war in seiner Heimat Ungarn professioneller Basketballspieler und später auch Trainer. Zwischen 1969 und 1976 absolvierte er 16 Spiele für das ungarische Nationalteam. Im Frühjahr 1975, ein halbes Jahr vor dem Absturz von Flug Malév 240, heiratete er seine Partnerin Lászlóné Németh, die kurz darauf als Flugbegleiterin für Malév zu arbeiten begann und an Bord des Unglücksfluges starb. Anfang der 1980er Jahre kehrte Németh von einer genehmigten Auslandsreise in die USA nicht in das kommunistische Ungarn zurück und zog später nach Großbritannien, wo er britischer Staatsbürger wurde. Noch heute ist der mittlerweile 73-Jährige sportlich sehr aktiv. Mitte der 1990er Jahre begann er mit intensiven Recherchen zu dem Unglück, das seiner Frau und 59 weiteren Menschen unter so mysteriösen Umständen das Leben kostete. Gemeinsam mit seiner zweiten Frau lebt er in Großbritannien, reist jedoch auch immer wieder in seine alte Heimat Ungarn. Im Februar 2024 empfing er den Luftfahrtjournalisten und Buchautor Patrick Huber während eines Kurzurlaubes in Budapest für dieses Interview.
Patrick Huber (PH): „Herr Németh, Wann haben Sie eigentlich mit Ihren Nachforschungen zum Unglücksflug MA240 begonnen?“
Lászlo Németh (LN): „Erst sehr spät. Das war, als ich schon in Großbritannien lebte. Denn in Ungarn sagte das kommunistische Regime nach dem Unglück zu den Hinterbliebenen, dass sie den Mund zu halten hätten. Weil meine Frau auch erst so kurz bei der Firma war, hatte ich kaum Kontakt zu den Hinterbliebenen der anderen Besatzungsmitglieder. Unter den Kommunisten habe ich dann einfach den Mund gehalten, um zu überleben. Die heutige junge Generation im Westen versteht überhaupt nicht, mit welchem Druck dieses politische System arbeitete. Aber auch nach dem Zerfall des Ostblocks wollte den Fall Malév 240 keine ungarische Regierung angreifen – bis heute.“
PH: „Wie genau kam es dazu, dass Sie Ihre Recherchen begannen?“
LN: „1996 fuhr ich mit dem Zug nach London und fand in einer Zeitung ein Magazin, eine Beilage, Sie kennen das. Darin war ein Artikel, der sich chronologisch mit Flugzeugabstürzen befasste. Doch als ich beim Lesen im Jahr 1975 ankam, stand dort nichts über den Absturz von Malév 240. Das war der Ausgangspunkt, der Zündfunke, wenn Sie möchten. Ich wollte wissen, was passiert war und was in der britischen Presse damals darüber geschrieben wurde. Ich engagierte eine Profi, der in der Nationalbibliothek und bei weiteren Quellen alles aushob, was er zum Thema finden konnte. Später lernte ich auch andere Leute kennen, die mir teilweise wertvolle Hinweise und Tipps für meine weiteren Nachforschungen gaben. Und so nahm die Sache ihren Lauf, es entstand eine gewisse Eigendynamik. Heute sind leider kaum noch Zeitzeugen und Personen, die wissen, was damals wirklich geschah, am Leben. Es ist immerhin fast 50 Jahre her. Aber ich hatte das Glück, in den vergangenen Jahrzehnten mit vielen Leuten zu sprechen, darunter auch Militärangehörige, und so konnte ich viele Dinge in Erfahrung bringen. Sogar der Leiter der damaligen ungarischen Ermittlungskommission saß hier bei mir im Haus auf dem Sofa und sprach mit mir. Doch schon bei meiner ersten Frage stellte sich heraus, dass er kaum Englisch beherrschte. Wie konnte das sein? Ein internationaler Flugunfallermittler muss Englisch sprechen, um Unterlagen zu verstehen und Zeugen befragen zu können. Er war zwar Pilot und konnte die Funkphrasologie, aber er war nicht in der Lage eine Konversation auf Englisch zu führen.“

PH: „Wussten die Flugbegleiter eigentlich, dass auf Malév-Flügen regelmäßig illegal Rüstungsgüter transportiert wurden?“
LN: „Ja, jeder wusste, dass es diese Transporte gab.“
PH: „Das bringt mich zu einem weiteren Punkt. Ihre Frau war ja Flugbegleiterin. Hätte sie oder ein anderes Mitglied der Besatzung einen solchen Flug eigentlich verweigern können?“
LN: „Nein, keine Chance. Dann hätte man sofort seinen Job verloren. Unter den Kommunisten gab es de facto keine Arbeitnehmerrechte.“
PH: „Können Sie den Lesern bitte ein wenig schildern, was es im Ungarn der 1970er Jahre eigentlich bedeutete, Flugbegleiter bei Malév zu sein?“
LN: „Nun, es war wirklich ein sehr privilegierter Arbeitsplatz, der in Zeiten des Kommunismus nicht nur gut bezahlt war, sondern auch relativ viel Freiheit bot. Während die meisten Bürger im Land eingesperrt waren, sahen die Piloten und Flugbegleiter die Welt, wenigstens einen Teil davon, sie kamen mal raus aus der Tristesse des Alltags.“
PH: „Der ehemalige Malév-Chefpilot András Fülöp hat in Interviews mehrfach aussagt, dass es diese illegale Waffentransporte gab. Halten Sie das für glaubwürdig?“
LN: „Absolut, ja. Denn ich habe Herrn Fülöp selbst getroffen und mit ihm gesprochen. Er hat diese Transporte mir gegenüber bestätigt und mir ebenfalls erzählt, dass ihm der libanesische Controller dieser Nacht gesagt habe, dass Malév 240 von einem israelischen
Phantom-Kampfjet abgeschossen worden sei.“
PH: „Wenn wir von der Abschusstheorie ausgehen, dann hatten rein technisch die israelische, die syrische und die libanesische Luftwaffe die Möglichkeit, die ungarische Tupolev abzuschießen. Sie haben mehrfach gesagt, dass Sie davon überzeugt sind, dass es ein israelischer Kampfjet war. Worauf stützen Sie diese Ansicht?“
LN: „Die syrische Luftwaffe scheidet aus, denn Syrien war ein absoluter Alliierter des damaligen kommunistischen ungarischen Regimes, auch wenn Syrien ein Gegner der PLO war. Israel hatte einfach das größte Motiv, denn sie wollten die Führung der Terrororganisation PLO gewissermaßen enthaupten und es war ja eine PLO-Delegation von 53 Personen gebucht. Das ist bewiesen.“
PH: „Sie haben ja einige Mühen auf sich genommen. Welches Ziel verfolgten oder verfolgen Sie letzten Endes damit?“
LN: „Neben der lückenlosen Aufklärung der Umstände des Unglücks, wollte ich in erster Linie die Leiche meiner Frau zurück haben, um sie in der Heimat anständig beerdigen zu können.“
PH: „Ich habe gehört, Sie haben unter Berufung auf den Freedom of Information Act sogar eine Anfrage an US-Geheimdienste gestellt, um die Hintergründe des Absturzes aufzuklären. Ich vermute, das war nicht besonders erfolgreich?“
LN: „Da sind Sie richtig Informiert, Herr Huber. Mir war ja durch meine langjährigen Recherchen schon bekannt, dass die USA damals in internationalen Gewässern ein Spionageschiff hatten, das den Flug und den Abschuss sicherlich genau mitverfolgt hatte. Also wandte ich mich zunächst an das Kommando der 6. US-Flotte mit meinen Fragen. Dort hieß es, dass man leider keine Auskunft erteilen könne. Man stritt dabei nicht einmal ab, dass das Schiff dort war, sondern verweigerte einfach eine Auskunft auf meine Fragen. Danach ging ich zur CIA, wieder erfolglos. Ich war verständlicherweise sehr verärgert über das Schweigen der offiziellen Stellen zur Causa. Über einen Anwalt, der mich 10.000 US-Dollar kostete, kontaktierte ich die NSA, die in der Hierarchie noch weiter oben steht, und erhielt von dort schließlich eine kryptische aber sehr aussagekräftige Antwort auf meine Anfrage. Sie schrieben mir: ,Wir haben das Recht, Ihre berechtigte Anfrage nicht zu beantworten, wenn die Antwort die berechtigten Interessen des Kongresses der USA verletzten würde.‘ Ich hörte trotzdem nicht auf, bei allen möglichen Stellen nachzufragen.“
PH: „Haben Sie persönlich handfeste Beweise gesehen, dass auf diesem Flug am 29. September 1975 illegal Waffen transportiert wurden?“
LN: „Damals wurden von den Frachtpapieren standardmäßig 12 Kopien angefertigt. Das war Vorschrift. Keine einzige davon konnte ich ausfindig machen, trotz der Hilfe vieler Menschen. Alle 12 Kopien der Frachtliste von Flug 240 sind einfach verschwunden. Man ist kein Verschwörungstheoretiker, wenn man das merkwürdig findet. Ich habe diesbezüglich auch mit ehemaligen Malév-Mitarbeitern und sogar Personen aus der Waffenindustrie gesprochen – erfolglos. Allerdings erfuhr ich, dass auf den Flügen eher keine Kalaschnikows und Munition, sondern hochwertiges elektronisches Waffenzubehör geschmuggelt wurde. Ein weiteres Indiz dafür: Mir wurde aus Finnland bestätigt, dass in Helsinki von Finnen versucht wurde, Sitze auf dem Flug 240 zu buchen und Malév sagte, dass der Flug ausverkauft sei, obwohl noch viele Plätze frei waren. Offenbar brauchte man den Platz für zusätzliche Fracht.“
PH: „Sie klingen während unseres Gespräches sehr nüchtern und sachlich. Kann man sagen, dass Sie mit der ganzen Angelegenheit nach so langer Zeit ihren Frieden gemacht haben?“
LN: „Ich würde es so ausrücken: Ich habe keinen Hass in mir. Natürlich würde ich mir wünschen, dass jemand endlich reinen Tisch macht und alle, wirklich ALLE, Fakten auf den Tisch legt. Es war eine Verkettung unglücklicher Umstände. Sehen Sie aktuell nach Israel, das am 7. Oktober 2023 erneut von arabischen Terroristen attackiert wurde und ich stehe im aktuellen Konflikt zu 100 Prozent hinter Israel, das sich verteidigen muss. Auch in den 1970er Jahren gab es arabischen Terror gegen Israel, von der PLO. Und wenn man mit illegalen Methoden attackiert wird, verteidigt man sich auch manchmal mit illegalen Methoden. Das ist rechtlich zwar nicht gedeckt, aber aus militärisch-politischer Sicht nachvollziehbar.“
PH: „Sie sprechen vom Abschuss der MA240 mutmaßlich durch Israel, weil Israel wohl davon ausging, dass die Führungsriege der Terrororganisation PLO an Bord war?“
LN: „Ja, das meine ich. Hätte man es auf eine andere Art machen können? Vielleicht. Es ist Geschichte. Die Entscheidung wurde vermutlich von Ariel Sharon († 2014) getroffen, der damals nationaler Sicherheitsberater von Premierminister Yitzhak Rabin († 1995) war.“
PH: „Glauben Sie, dass es in Zukunft einmal eine ungarische Regierung geben wird, welche die volle Wahrheit um Flug 240 öffentlich macht und das Wrack bergen lässt?“
LN: „Ich habe zwar die Hoffnung, aber ich zweifle daran. Denn die Politik ist nicht interessiert, egal, wer an der Macht ist.“
(red HT)