Punktlandung

Verriegelte Cockpittüren: Notwendigkeit oder gar Sicherheitsrisiko?

Als Reaktion auf die Ereignisse des 11. September 2001 wurden die Sicherheitsmaßnahmen in der Luftfahrt massiv verstärkt. In einigen Fällen, so scheint es, wurde jedoch über das Ziel hinausgeschossen. Bringen hermetisch verriegelbare, gepanzerte Cockpittüren tatsächlich mehr Sicherheit oder bergen sie nicht sogar Risiken, die vorher niemand bedacht hat und über die in der öffentlichen Diskussion gerne der Mantel des Schweigens gebreitet wird? Eine Austrian Wings Punktlandung zu diesem sehr heiklen Thema.

++ Lesen Sie dazu aus aktuellem Anlass auch "Germanwings 9525: tödliche Sicherheit" ++

Über Jahrzehnte war es üblich, dass interessierte Passagiere (meistens Kinder und ihre Väter) während des Fluges für einige Minuten das Cockpit besuchen konnten. Auf etlichen Flügen (vor allem im Charterverkehr) stand die Türe zum Flugdeck sogar die ganze Zeit über offen und der eine oder andere Pilot bot seinen Gästen sogar an, Start und Landung auf dem Jumpseat zu erleben. Das alles sollte sich mit dem 11. September 2001 schlagartig ändern.

Seither gilt bei den Fluglinien die eiserne Regel, dass Passagiere im Cockpit nichts verloren haben, wenngleich es glücklicherweise nach wie vor Piloten gibt, die ihren Hausverstand nicht an der Flugzeugtüre abgeben, sondern durchaus nach eigenem Ermessen Kindern und flugbegeisterten Passagieren Zutritt gewähren. Doch damit nicht genug, die Cockpittüren wurden verstärkt und mittels Code elektronisch abgesichert.

Bis dahin konnte man die Tür zum Flightdeck verhältnismäßig leicht mit einem Trolley oder der auf jedem Flugzeug vorhandenen Feueraxt eintreten beziehungsweise einschlagen. Dies ist nun - gesetzlich geregelt - nicht mehr möglich. Das Cockpit kann nur noch dann betreten werden, wenn ein Flugbegleiter an der Türe durch Eingabe eines Codes "anläutet". Danach müssen die Piloten über einen Monitor, der an eine Videokamera in der Galley angeschlossen ist, überprüfen, ob die Einlass begehrende Person auch tatsächlich zur Crew gehört, ehe sie die Türe elektronisch öffnen. Zusätzlich gibt es einen - streng geheimen, sich ständig ändernden - Notfallcode, der nur Crewmitgliedern bekannt ist, damit diese im Notfall das Cockpit betreten können, da - wie schon beschrieben - ein physisches Aufbrechen der Türe mittlerweile mit den an Bord üblicherweise zur Verfügung stehenden Mitteln unmöglich geworden ist.

Genau hier liegt nach Ansicht mancher Piloten und Brancheninsider aber auch eine nicht zu unterschätzende Gefahr. Allerdings äußern sie diese Meinung nur vorsichtig hinter vorgehaltener Hand in kleiner Runde, denn die offizielle Policy lautet "Sicherheit über alles" und da wird die tatsächliche Sinnhaftigkeit nicht hinterfragt. Schließlich müssen wir alle vor Terroristen beschützt werden.

Ein Beispiel dafür, wie das System, das mehr Sicherheit bringen soll, versagt hat, findet sich Ende vergangenen Jahres in Afrika. So kam es dort zum Selbstmord eines Piloten. Als sein Kollege das Cockpit verließ, verbarrikadierte sich der Mann im Cockpit und brachte den Embraer zum Absturz, alle 33 Menschen an Bord starben. Auf dem Cockpit Voice Recorder ist der verzweifelte Copilot zu hören, wie er von außen gegen die Türe zum Flugdeck hämmert. Öffnen konnte er sie aber nicht, denn sie ist zum Schutz vor dem scheinbar allgegenwärtigen Terror gegen unbefugtes Eindringen bestens abgesichert. Sicherlich ein Ausnahmefall, doch waren das die Ereignisse des 11. September 2001 nicht auch, bei nüchterner Betrachtung? War es wirklich erforderlich, auf dieses singuläre Ereignis derart zu reagieren? Oder ist man damit nicht massiv übers Ziel hinausgeschossen? Haben die Terroristen damit nicht genau ihr Ziel erreicht, die Welt in Furcht und Schrecken zu versetzen? Doch zu Tode gefürchtet, ist bekanntlich auch gestorben ...

Seit diesem Datum hat es keine weiteren Fälle von unbefugten gewaltsamen Cockpit Ingress mehr gegeben. Doch die Frage, die man sich stellen muss, ist: Hat es sie nicht gegeben, weil die Cockpittüren jetzt derart sicher sind, oder weil die statistische Wahrscheinlichkeit mit oder ohne 9/11 so gering ist, dass so etwas (nochmals) passiert?

Der Verfasser dieser Zeilen plädiert für die zweite Variante und gibt zu bedenken, was passieren könnte, wenn der elektronische Schließmechanismus einer Cockpittüre einmal nicht mehr funktioniert. Was geschieht, wenn sich ein Pilot zur Toilette begibt, sein Kollege im Cockpit - aus welchen Gründen auch immer - das Bewusstsein verliert oder verstirbt (solche tragischen Fälle kommen durchaus vor) und der nun außerhalb des Flightdecks befindliche Pilot plötzlich keinen Zutritt mehr zur Steuerzentrale des Flugzeuges hat? Was geschieht, wenn beide Piloten hintereinander das Cockpit verlassen (auch, wenn dies vorschriftswidrig ist, kam es bereits vor), die Türe durch Turbulenzen oder aus Unachtsamkeit ins Schloss fällt und sich aufgrund der defekten Verriegelung auch mit dem Notfallcode nicht mehr öffnen lässt? Dann hätte man ein führerloses Flugzeug und keine Möglichkeit mehr ins Cockpit zu gelangen, denn ein Öffnen der Türe mittels Feueraxt und brachialer Gewalt (wie früher im Notfall) ist ja nun nicht mehr möglich.

Die Industrie  wäre gut beraten, zu überlegen, ob es nicht an der Zeit wäre, das zum Teil schon paranoid anmutende Sicherheitsdenken zu überdenken und wieder mehr mit dem gesunden Menschenverstand zu arbeiten. Ansonsten könnte es nur eine Frage der Zeit sein, bis ein Sicherheitssystem (es muss noch nicht einmal die Verriegelung der Cockpittüre sein, die steht hier nur stellvertretend für den seit dem 11. September immer mehr ausufernden Sicherheitswahn, dank dem sogar Piloten bei der Sicherheitskontrolle mitunter den Gürtel ablegen und ihre Schuhe ausziehen müssen ...) derart versagt, dass es Menschenleben kostet. Dann ist man zwar auch gestorben, aber immerhin gut beschützt vor Terroristen. Welch ein Trost.

(red CvD / Titelbild: Für Passagiere ist der Zutritt zum Cockpit streng verboten, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.