Reportagen

Deutschland: Ein halbes Jahrhundert Notarzthubschrauber im Einsatz

Heute vor genau 50 Jahren, am 11. August 1967 - seinerzeit auch ein Freitag - startete vom Flugplatz Neu-Anspach (Kreis Usingen, heute Hochtaunuskreis, Bundesland Hessen, Deutschland) aus ein Notarzt-Hubschrauber zu seinem ersten Notfalleinsatz. An Bord saß neben dem Piloten der praktizierende Arzt Hans-Werner Feder aus Ober-Mörlen (Kreis Friedberg, heute Wetteraukreis). "Bereits 40 Sekunden nach der Unfallmeldung wurde gestartet", heißt es dazu im kurze Zeit später veröffentlichten Einsatzbericht.

Der vom ADAC-Gau Hessen e. V., vom Landesverband Hessen des Deutschen Roten Kreuzes und der hessischen Polizei maßgeblich unterstützte sowie vom Verband der Lebensversicherungs-Unternehmen e. V. und der Deutschen Krankenversicherungs AG anteilig finanzierte Feldversuch dauerte drei Wochen und belegte erstmals die Notwendigkeit arztbesetzter Hubschrauber im damals so genannten Unfallrettungsdienst in der Bundesrepublik Deutschland. Vom 11. August bis zum 1. September 1967 wurde der "fliegende Doktor" Hans-Werner Feder – indes ein praktizierender Arzt ohne Dr. med.-Titel – von der hessischen Polizei zu insgesamt 52 Einsätzen alarmiert. Bereits am 11. August erfolgte der erste Einsatz. Feder und sein Pilot erreichten die Unfallstelle nach einer Flugzeit von neun Minuten. Der letzte Einsatz erfolgte am 1. September, hier erreichte das Team den Notfallort nach 14-minütiger Flugzeit. Ziel des Versuchs war es, den Notarzt – in der Originalvorlage wird von einem "geschulten Arzt" gesprochen – so schnell wie möglich zum Unfallgeschehen zu bringen (möglichst innerhalb eines Zeitraumes von zehn, höchstens 15 Minuten), um das therapiefreie Intervall so kurz wie möglich zu halten.

"[Verletzte können] nach erfolgter ärztlicher Versorgung [...] im Krankenwagen langsam und schonend abtransportiert werden", heißt es in der Pressedienstmitteilung des ADAC Hessen vom 10. August 1967. Wie groß sollte der sinnvolle Einsatzbereich des Notarzt-Hubschraubers (so im Original geschrieben!) sein und wie oft wird der fliegende Notarzt zu Hilfe gerufen? Das waren die Leitfragen des deutschen Pilotprojekts. ADAC und DRK waren schon im Vorfeld des Versuchs davon überzeugt, "dass durch den Versuch Feders ein weiterer Schritt zur Verbesserung des Unfallrettungswesens getan [werde]".

"Wenigstens 2.000 bis 3.000 Menschenleben könnten von den 17.000 Toten, die der moderne Verkehr auf unseren überfüllten Straßen auch in diesem Jahr fordern wird, gerettet werden. Diese Vermutung bestätigte ein dreiwöchiger Versuch, den der 32-jährige Arzt Hans-Werner Feder aus der hessischen Gemeinde Ober-Mörlen in Zusammenarbeit mit dem ADAC-Gau Hessen und dem Landesverband Hessen des Deutschen Roten Kreuzes vom 11. August bis 1. September 1967 durchgeführt hat."

So beginnt die zweite Pressedienstmitteilung vom 5. September 1967. Diesen ermutigenden Sätzen schlossen sich eine detaillierte Auflistung der Einsatzzahlen und eine kritische Auswertung des dreiwöchigen Modellprojekts an. Die Mitteilung endete wie folgt:

"ADAC und DRK sind der Meinung, dass man in den Ballungsräumen unverzüglich einen Anfang machen sollte. Im Rhein-Main-Gebiet hätte bei der großen Unfalldichte ein fliegender Arzt sofort alle Hände zu tun."

Allerdings mussten die Frankfurter noch knapp fünf Jahren warten, bis es soweit sein sollte: "Christoph 2" wurde am 15. August 1972 an der Berufsgenossenschaftlichen Unfallklinik in Frankfurt am Main stationiert. Auch der erste Rettungshubschrauber, der vom ADAC betrieben wurde und in München seinen Dienst aufnahm, zunächst auf den Namen "Christoph" getauft, später als "Christoph 1" bezeichnet, flog erst rund drei Jahre nach Feders Modellversuch: am 1. November 1970. Ihm folgte 1971 "Christoph 3", der zunächst als "Johannes Köln 3" in Leverkusen-Kurtekotten auf einem Segelflugplatz stationiert wurde und wenige Jahre später an das Klinikum Köln-Merheim verlegt wurde, als erster Zivilschutz-Hubschrauber des Bundes. In Österreich wurde erst viele Jahre später, im Sommer 1983, ein Notarzthubschrauber stationiert.

Was ist 50 Jahre nach dem Feldversuch Feders geblieben?
Auf Feder geht der sinnvolle Einsatzradius von 50 Kilometern für einen Rettungshubschrauber zurück. Einsatzorte innerhalb dieses Radius (dank neuer Technologien werden seit einigen Jahren 60-Kilometer-Radien als primäres Einsatzgebiet genannt) kann der Hubschrauber in zehn bis 15 Minuten erreichen, eine aus notärztlicher Sicht vertretbare Zeit. Auch diese Zeitvorgabe findet man bereits in Feders Ausführungen. Das gleiche gilt für die reguläre Dienstzeit der Hubschrauber: Sie beginnt auch heute noch um 7 Uhr und endet eine halbe Stunde nach Sonnenuntergang. Rund um die Uhr betriebene Flugrettungsmaschinen sind weiterhin selten. Und die Österreich-spezifische Terminologie "Notarzthubschrauber" (NAH), während in Deutschland typischerweise vom "Rettungshubschrauber" (RTH) gesprochen wird, dürfte ebenfalls auf Feder zurückgehen.

In Hessen gibt es (Stand August 2017) inzwischen fünf Luftrettungszentren, die das Bundesland flächendeckend versorgen, in Deutschland sind es derzeit rund 80 Stationen. In Österreich gibt es – saisonal abhängig – bis zu 39 Rettungshelikopter. Von den fünf hessischen Luftrettungsmitteln sind zwei Hubschrauber so genannte Intensivtransporthubschrauber (ITH), darunter wiederum einer, der 24 Stunden an sieben Tagen die Woche, als Rettungs- (RTH) und Intensivtransporthubschrauber eingesetzt wird. Einer der fünf Hubschrauber ist weiterhin an einem Flugplatz stationiert, ein weiterer an einem speziellen Luftrettungszentrum und die drei anderen an Krankenhäusern. Obgleich alle fünf Helikopter inzwischen auch einen Rettungsassistenten bzw. Notfallsanitäter zur Unterstützung des Notarztes und als so genannter "HEMS TC" zur Unterstützung des Piloten an Bord haben, bleibt die Hauptaufgabe der Rettungshubschrauber weiterhin, den Notarzt auf dem schnellsten Wege zum Notfallpatienten zu bringen. Erst vor Ort wird dann entschieden, ob dieser dann auch durch die Luft in eine für ihn geeignete Klinik transportiert wird. Auch hier zeigt sich ein Unterschied zur Alpenrepublik: Nicht zuletzt dem rot-weiß-roten System des Kostenersatzes durch die Sozialversicherungsträger, der lediglich für das transportierende Rettungsmittel erfolgt, ist es geschuldet, dass hierzulande die meisten durch Hubschrauberteams versorgte Patienten auch per Helikopter transportiert werden. Der Zustieg des Arztes auf einen Rettungswagen bleibt in Österreich daher eher die Ausnahme.

Auch wenn die sich anschließenden Hubschrauber-Testeinsätze, beispielsweise 1968 in Frankfurt am Main, 1969 in Mainz und in Bayern, dazu führten, dass aus dem schlichten Notarzt-Hubschrauber der heutige Rettungstransporthubschrauber weiterentwickelt wurde, so sind sowohl der Aufbau der bundesdeutschen Luftrettung ab November 1970 als auch die Flugrettung in Österreich ab 1983 ohne die Vorleistung von Hans-Werner Feder nicht denkbar. Und dass 50 Jahre nach Feders Modellversuch im nordostdeutschen Landkreis Rostock (Mecklenburg-Vorpommern) auch weiterhin ein von vielen anfangs belächelter Notarzteinsatzhubschrauber (NEH) vom Typ Robinson R44 Raven mit der Kennung "Rettung 029-01-82-01" bzw. "Christoph Kessin" seine Runden dreht, ist das wohl das sichtbarste Zeichen, dass der praktizierende Arzt Feder ein Visionär war, der nicht nur die Zeichen der Zeit erkannte, sondern auch Lösungsansätze erarbeitete und anschließend ziel- und ergebnisorientiert handelte. Der heute 82-Jährige lebt mit seiner Familie im nordhessischen Kassel und interessiert sich weiterhin für die Belange der Luftrettung.

Exot im Flugrettungswesen: Ein Robinson R44 der Ambulanz Millich dient auch heute noch, dem Vorbild Hans-Werner Feders folgend, als reiner Notarzt-Zubringer. - Foto: Ambulanz Millich

Der Autor dankt Herrn Werner Wolfsfellner vom gleichnamigen Medizinverlag aus München, der umfangreiches Archivmaterial zur Verfügung stellte.

Weitere verwendete Quellen:

Pressedienstmitteilung 18/67 "ADAC und DRK wollen es wissen: Lohnt sich der fliegende Notarztwagen?" des ADAC-Gau Hessen vom 10. August 1967
Pressedienstmitteilung 19/67 "ADAC/DRK sind sich einig: Arzt-Hubschrauber für die Ballungsgebiete" des ADAC-Gau Hessen vom 5. September 1967
Broschüre "UNFALLRETTUNG unter Einsatz von Hubschraubern. Bericht über einen Modellversuch." von Hans-Werner Feder vom November 1967
 
Text: Jörn Fries, rth.info
Redaktionelle Bearbeitung: Hub / Aig
Fotos: Sammlung Hans-Werner Feder / Archiv Werner Wolfsfellner Medizin Verlag München