Österreich

Abschlussbericht zum AUA-Zwischenfall in Lugano

Die in den Vorfall involvierte Maschine - Foto: Austrian Wings Media Crew

Mehr als zwei Jahre lang brauchte die Schweizer Flugunfalluntersuchungsstelle, um den brisanten Zwischenfall mit einer AUA Q400 in Lugano im Oktober 2015 zu untersuchen. Nun liegt der Abschlussbericht vor, in dem der Airline und der Crew eine Mitverantwortung zugewiesen wird.

Der Start des als OE-LGL eingetragenen Verkehrsflugzeuges DHC-8-402 erfolgte um 15:40 UTC in Zürich (LSZH) mit 55 Passagieren an Bord zum Linienflug LX 2912 nach Lugano (LSZA). Die Maschine wurde von Austrian Airlines im Wetlease für die Schweizer Schwestergesellschaft SWISS betrieben. Aufgrund der schwierigen Wetterbedingungen im Anflug nach Lugano besprach die Flugbesatzung nebst einem Platzrundenanflug (circling) im Nordosten des Platzes auch einen Sichtanflug um den Monte Caslano.

Als sie nach vorgängiger Freigabe für den Anflug localizer Lima followed by Circling Charlie auf die Piste 19 mit der Option eines Sichtanfluges auf die Piste 01 um den Monte Caslano auf einer Höhe von 3200 ft QNH2 Sichtkontakt mit dem Boden herstellen konnte, schaltete der Kommandant als fliegender Pilot (Pilot Flying – PF) den Autopiloten um 16:10:00 UTC auf einer Höhe von rund 2770 ft QNH etwa 2 nautische Meilen (NM) südlich der Pistenschwelle 01 aus. Aufgrund tiefhängender Wolken nördlich des Flugplatzes und eines vermeintlich wolkenlosen Gebiets westlich des Monte Caslano leitete die Flugbesatzung eine Linkskurve ein. Um den Sichtkontakt zum Boden nicht zu verlieren, wich der PF verschiedenen Wolkenfetzen lateral aus und leitete die Kurve, mit einem durchschnittlichen Querneigungswinkel (bank angle) von rund 10°, auf einem Steuerkurs von rund 260 Grad aus. Wenige Sekunden später kam es auf einer rund 500 ft tieferen Flughöhe von 2200 ft QNH zur ersten Bodenannäherungswarnung „Pull up“. In der Meinung, den die Warnung auslösenden Berg in Sicht zu haben, leitete die Flugbesatzung einen Durchstart ein und rollte das Flugzeug in eine Querlage nach links. Die geringste aufgezeichnete Radiohöhe über Grund betrug rund 475 ft.  Nach der Linkskurve folgte die Flugbesatzung dem Standarddurchstartverfahren zum Warteraum über dem Wegpunkt PINIK. Anhand eingeholter Wetterinformationen entschloss sich die Flugbesatzung in der Folge zur Ausweichlandung in Mailand-Malpensa, die ereignislos verlief.

Ursachen
Der schwere Vorfall bestand aus einer gefährlichen Annäherung an das Terrain während eines definierten Sichtanfluges bei marginalen Wetterbedingungen, die durch ein Zusammenwirken folgender kausaler Faktoren entstehen konnte. Konkret nannte die SUST folgende Punkte:

  • Entwicklung und Training eines unzweckmäßigen Sichtanflugverfahrens durch das Flugbetriebsunternehmen
  • Mangelhafte Zusammenarbeit der Aufsichtsbehörden in Bezug auf das Sichtanflugverfahren
  • Zu spätes Abbrechen des Sichtanfluges

Die beiden Flugzeugführer besprachen den Vorfall nach der Landung unteinander. Ein detailliertes Debriefing unter Einbezug der Kabinenbesatzung fand allerdings nicht statt. Erst mit Einleiten der internen Untersuchung wurde der Flugbesatzung bewusst, dass ihr Flugweg weiter westlich verlief als angenommen, als die Warnung des Bodenannäherungssystems ausgelöst wurde.

Der Kapitän (Jahrgang 1976) hatte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls etwa 7.700 Flugstunden in seinem Logbuch stehen, davon 3.300 auf der Q400. Der Kommdanant wurde von verschiedenen Quellen als fliegerisch gut bis sehr gut beurteilt. Teilweise wurde hastige Checklistenarbeit und eine unvollständige Anwendung der Standardbetriebsverfahren (Standard Operating Procedures – SOP) konstatiert.

Der Erste Offizier (Jahrgang 1977) hatte zum Zeitpunkt des Zwischenfalls etwa 6.000 Stunden, davon 4.100 auf der Q400. Der First Officer wurde fliegerisch generell als gut mit wenigen sehr guten Beurteilungen eingestuft. In seinen Unterlagen sind allerdings regelmäßige Vermerke zu finden, dass auswendig ausgeführte Handlungsabfolgen (drill) nicht vollständig oder nicht korrekt durchgeführt wurden.

Der gesamte Bericht ist hier als PDF abrufbar.

(red / SUST)