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Pilotenfehler: Robinson-Absturz in Deutschland auf Mast Bumping zurückzuführen

Das Hauptwrack an der Absturzstelle - Foto: BFU

Am 17. Oktober des vergangenen Jahres starben in Deutschland drei Menschen beim Absturz eines für seine schlechte Unfallbilanz bekannten Robinson R44. Jetzt liegt der Unfallbericht vor, der einen Pilotenfehler samt anschließendem Mast Bumping als Absturzursache benennt. Der Unfall ereignete sich laut BFU in Folge eines Flugmanövers, das zu verringerten Lastvielfachen im Flug führte. Sehr wahrscheinlich aufgrund von fehlerhaften Steuereingaben kam es zu einem Mast-Bumping und in dessen Folge zum Einschlag des Rotors in die Rumpfzelle und zur Zerlegung des Hubschraubers in der Luft. Ein derartiges Unfallszenario findet sich auffällig häufig bei Abstürzen von Robinson Helikoptern.

Austrian Wings Leser kennen die Vorgeschichte: Am Sonntag, den 17. Oktober 2021, ereignete sich in Deutschland nahe der hessisch-bayrischen Grenze ein Flugunfall. Der im mittelfränkischen Herzogenaurach gestarteter Helikopter vom Typ Robinson R44 (D-HALR) stürzte gegen 13 Uhr aus vorerst unbekannter Ursache in einen Wald bei Buchen. Alle drei Insassen kamen dabei ums Leben. "Bei den Toten handelt es sich um drei Männer im Alter von 18, 34 und 61 Jahren", berichten deutsche Medien unter Berufung auf einen Behördensprecher. Jetzt veröffentlichte die deutsche Bundesstelle für Flugunfalluntersuchungen, kurz BFU, ihren Abschlussbericht. Mast Bumping, wohl verursacht durch einen Steuerfehler des Piloten, führte zu dem tödlichen Unglück.

Der Flugverlauf
Laut Eintragung im Hauptflugbuch des Verkehrslandeplatzes Herzogenaurach startete der Pilot (61 Jahre, PPL-H, Musterberechtigung für R44, Gesamtflugerfahrung etwa 200 Stunden, davon 186 auf dem R44, zudem besaß er einen PPL-A mit rund 340 Stunden Flugerfahrung) in Begleitung von 2 Fluggästen um 12:06 Uhr mit seinem Robinson R44 II Hubschrauber zu einem privaten Flug. Gemäß der Flugleitung gab der Pilot an, zu einem Lokalflug starten zu wollen. Laut Flugplanung auf dem iPad des Piloten war ein Flug von Herzogenaurach nach Speyer geplant. Vor dem Flug betankte der Pilot den Hubschrauber mit 74,45 l AvGas 100LL. Anhand des vom Radar und von 2 der GPS-Navigationsgeräte an Bord aufgezeichneten Flugweges ließ sich feststellen, dass der Flug in Richtung Westen entlang der geplanten Route nach Speyer führte, wobei Flugplätze, Kontrollzonen und Fallschirmsprunggebiete umflogen wurden.

Während des Fluges machte der im Hubschrauber hinten rechts sitzende Passagier mit seinem Mobiltelefon einzelne Fotos und kurze Filmaufnahmen. Im Bereich der Ortschaft Schweinberg umkreiste der Hubschrauber um ca. 12:48 Uhr, in Form einer Acht, eine Ackerfläche, auf der Figuren am Boden, vermutlich ein abgeerntetes Mais-Labyrinth, zu sehen waren. Um ca. 12:55 Uhr, etwa 5 km nordwestlich der Stadt Buchen, zwischen den Ortschaften Stürzenhardt und Steinbach, beobachteten Zeugen den Hubschrauber, der geradlinig auf sie zuflog. Sie beschrieben einen unauffälligen Flugverlauf, mit einem für sie normal klingenden Triebwerksgeräusch.

Mechanisch klingender Knall unmittelbar vor Crash
Plötzlich habe es einen mechanisch klingenden Knall gegeben und die Rotorblätter hätten sich nach oben gefaltet. Der Hubschrauber habe ab diesem Moment „deformiert und irgendwie in sich verdreht“ ausgesehen. Er sei dann trudelnd, sich ca. zweimal um die Hochachse drehend, wie ein Stein in einen nahegelegenen Wald gefallen. Andere Zeugen wurden aufgrund des lauten Knalles, der wie das Zuschlagen einer Autotür geklungen habe, auf den Hubschrauber aufmerksam. Sie gaben an die nach oben geklappten Rotorblätter ebenfalls gesehen zu haben und sowie ein Teil oder das Heck des Hubschraubers herunterfallen. Auch hätten sie oberhalb des herabstürzen den Hubschraubers eine sinkende glitzernde Wolke von Cockpitscheibenstücken, die Sonnenstrahlen reflektierten, beobachtet.

Zeugen löschten Brand nach Absturz
Unmittelbar danach suchten mehrere Zeugen die Aufschlagstelle des Hubschraubers im Wald und fanden diese aufgrund einer dunklen Rauchwolke nach wenigen Minuten. Das Hubschrauberwrack brannte im Bereich der Kabine. Mit Pulver-Feuerlöschern, die an einem Bauwagen in der Nähe lagen, konnten sie den Brand löschen. Zwei der drei tödlich verletzten Insassen des Hubschraubers befanden sich direkt im bzw. am Wrack. Der Passagier, der vorne links gesessen hatte, lag ca. 24 m entfernt. Er war noch in der Luft aus dem Hubschrauber geschleudert worden.

Hinweise auf Mast Bumping
Der Hubschrauber lag in Normallage auf dem Boden. Das Rumpfgerüst war zusammengestaucht. Einzelne Gerüstrohre waren gebrochen. Die Rotormasthülle war nach hinten geneigt. Das Hauptrotorgetriebe war vorne links aufgebrochen. Der Rotormast war unterhalb der Taumelscheibe abgebrochen. Der Rotorkopf inklusive Taumelscheibe, oberem Mastlager und Restmast lag vor dem Hauptgetriebe im Bereich der Kabine. Die Kufen waren abgebrochen. Diese lagen rechts und links neben dem Rumpf. Die beiden Kraftstofftanks (flexible bladder tanks) einschließlich der Metallverkleidung lagen mehrere Meter vom Wrack entfernt.

Der Rotormast war im Bereich des Rotorkopfes eingedrückt und die Polymeranschläge waren beschädigt. Sowohl am Rotormast als auch am Rotorkopf lagen typische Mast Bumping-Spuren vor.

Die Rotorblätter waren mit ihrer gesamten Länge an der Unfallstelle vorhanden und noch mit dem Rotorkopf verbunden. Ein Blatt war um ca. 180° verdreht, d. h. die Unterseite des Blattes zeigte nach oben. Dieses Blatt wies auf der Unterseite Einschlagsmarken der Verschraubungen der mittleren Cockpitverglasungsstrebe auf.

Der Heckausleger mit Heckrotor lag ca. 16 m vom Hauptwrack entfernt. Das Leitwerk war vom Heckrotorgetriebeträger abgerissen. Es lag unmittelbar neben dem Heckausleger. Der Heckrotor war nur leicht beschädigt. Auf der Seite zum Heckausleger zeigte er geringe Kratzspuren an den Blattenden. Am Heckausleger lagen entsprechende Kratzspuren vor.

Unfall nicht überlebbar
Der vorne links sitzende Passagier wurde in der Luft aus dem Hubschrauber geschleudert. Der Pilot und der hinten rechts sitzende Passagier prallten mit dem Hubschrauber auf den Boden. Sowohl aufgrund der hohen Aufschlagsenergie als auch der Verletzungen durch Rotorblattkontakt war der Unfall für die Insassen des Hubschraubers nicht überlebbar.

Kritiker nennen Robinson-Helikopter mitunter "Fliegende Särge"
Die Robinson-Modelle R22 und R44 stehen seit Jahren immer wieder in der Kritik, weil sich mit ihnen auffällig viele Unfälle aufgrund von Mast Bumping ereignen, die so gut wie immer tödlich verlaufen. In Neuseeland darf dieser Typ nach einer Serie tödlicher Abstürze nicht mehr für kommerzielle Passagierflüge einsetzt werden.

Die renommierte "LA Times" veröffentlichte im Jahr 2018 einen Artikel über die Sicherheit von Robinson-Helikoptern und schrieb unter Berufung auf offizielle Unfallstatistiken, dass der Robinson R44 der "tödlichste Helikopter der USA" sei. Wörtlich heißt es in dem Bericht:

"The Robinson R44 led all major models with the highest fatal accident rate from 2006 to 2016. That translates to 1.6 deadly accidents per 100,000 hours flown — a rate nearly 50% higher than any other of the dozen most common civilian models whose flight hours are tracked by the Federal Aviation Administration."

Auch die Experten der deutschen BFU weisen in ihrem Abschlussbericht auf die sich immer wieder ereignenden Mast Bumping Unfälle mit diesem Typ hin.

"Ich habe mich intensiv mit der Sicherheitsbilanz von Robinson Helikoptern befasst. Sie verzeihen augenscheinlich kaum Bedienfehler und sind offenbar sehr anfällig für Mast Bumping. Für mich persönlich sind es fliegende Särge, in die ich niemals einsteigen würde und ich würde auch nicht zulassen, dass meine Frau oder Kinder mit so etwas fliegen."
Ein Privatpilot gegenüber "Austrian Wings"

Low G Situationen als Auslöser
Sogenannte „In Flight Break Up“ Unfälle mit Robinson-Hubschraubern ereignen sich immer wieder. Das kleinere zweisitzige R22-Hubschraubermodell und die größere fünfsitzige turbinengetriebene R66-Variante sind davon genauso betroffen wie das hier verunfallte R44-Modell. Diesen Robinson-Hubschraubertypen gemein ist ein zweiblättriger Hauptrotor und ein Rotorkopf mit einem zentralen Wippgelenk (teeter hinge) und zwei Schlaggelenken (coning hinge). In Deutschland kam es Mitte der 90er-Jahre zu einer Serie dieser Art Unfälle.

Sehr verkürzt beschrieben sind „In Flight Break Up“ Unfälle meist die Folge eines sogenannten Mast-Bumpings, d. h. der Rotorkopf schlägt im Flug an den Rotormast an. Das Mast-Bumping erfolgt in der Regel nach einer Verringerung des Lastvielfachen (Low-G) im Flug. In einer solchen Low-G-Situation wird das Gewicht des Rumpfes kurzzeitig von der Rotorblattebene entlastet. Die Drehmomentreaktion des Hauptrotors zusammen mit dem Schub des Heckrotors, der sich über dem Schwerpunkt des Hubschraubers befindet, führt sofort zu einem schnellen Rollen des Rumpfes nach rechts. Diese Rollrate nach rechts kann bei höheren Fluggeschwindigkeiten bis zu 100° pro Sekunde betragen. Die instinktive Reaktion von Piloten ist eine abrupte korrigierende Steuereingabe nach links. Aufgrund dieser Steuereingabe kippt die Rotorblattebene nach links, jedoch folgt der Rumpf aufgrund der Schwerelosigkeit nicht und es kommt zum Anschlag des Rotorkopfes an den Rotormast (Mast Bump).

In der Folge bricht oder biegt der Rotormast oder die Rotorblätter schlagen durch den Heckausleger oder die Kabine. Low-G im Flug kann mehrere Ursachen haben. Diese reichen von äußeren meteorologischen Einflüssen (Turbulenz) über technische Probleme bis hin zu Steuerfehlern durch den Piloten.

Mast Bumping ohne erkennbare Ursache
Allerdings konnte die Ursache für das Mast Bumping nicht in allen Fällen geklärt werden. So beschreibt das "Verticalmag" einen Fall, wo Fluglehrer und Flugschülerin ums Leben kamen, als ihr R22 nach Mast Bumping plötzlich abstürzte. Da es Zeugen, Radardaten und eine Tonaufnahme aus dem Cockpit gab, konnte eruiert werden, dass es keinerlei Abnormalitäten oder Auffälligkeiten gab. Das tödliche Mast Bumping ereignete sich im wahrsten Sinnes des Wortes während des Reisefluges aus "heiterem Himmel" ohne gefährliche Flugmanövern.

Robinson selbst weist im Flughandbuch darauf hin, dass Low G Manöver aller Art in seinen Mustern strengstens verboten sind.

Offenbar Pilotenfehler
Im Fall des Absturzes der D-HALR am 17. Oktober 2021 dürfte jedoch ein Pilotenfehler zu dem verhängnisvollen Flugzustand geführt haben, wie die BFU schreibt.

Der aufgezeichnete Verlauf unmittelbar vor dem Unfall, der starke Höhengewinn aus dem schnellen Reiseflug mit gleichzeitiger Reduktion der Geschwindigkeit über Grund über die Dauer von ca. 10 Sekunden, lässt sich nur mit einem aktiven Ziehen am Steuerknüppel erklären. Aufgrund der Dauer des Steigflugs kann ruckartiges Ausweichen, z.B. eines Vogelschwarms oder Flugverkehrs, ausgeschlossen werden.

Am Ende des Steigflugs wurde der Steuerknüppel sehr wahrscheinlich zügig nach vorne gedrückt, was einen Flugzustand mit verringerten Lastvielfachen (Low G)erzeugte. Die aufgezeichnete leichte Kursänderung nach rechts korrespondiert mit einer zu erwartenden Rollbewegung des Hubschraubers nach rechts unter Low-G-Bedingungen. Auf diese Rollbewegung wurde sehr wahrscheinlich intuitiv mit einer korrigierenden Steuereingabe nach links reagiert. Aufgrund der Steuereingabe schlug der Rotorkopf an den Rotormast, das sogenannte Mast-Bumping.

Die Beschädigungen und Kontaktspuren an Rotormast und -kopf belegen dies eindeutig. Infolge des Mast-Bumpings schlug ein Rotorblatt unmittelbar auf die Cockpitkanzel. Ab diesem Moment war der Unfall unumkehrbar. Der Scheitelpunkt der Flugbewegung lag ungefähr an der Stelle, an der die ersten Hubschrauberteile im Wald gefunden wurden.

Wer zum Zeitpunkt des Unfalls bzw. beim Hochziehen und Überdrücken den Hubschrauber steuerte, der rechts sitzende Pilot oder der links sitzende Passagier, konnte nicht geklärt werden. Das Doppelsteuer bzw. die linke Verlängerung der Steuerwippe war installiert. Aus Sicht der BFU ist es durchaus möglich, dass der Passagier bei diesem Flug auch steuern durfte und ggf. unwissend das Hochziehen und Überdrücken einleitete, auch wenn mehrere Zeugen, die den Piloten und dessen Verhalten kannten, dies als unmöglich ansahen.

Schlussfolgerung der BFU
Am 17. Oktober starben in Deutschland drei Menschen beim Absturz eines für seine schlechte Unfallbilanz bekannten Robinson R44. Jetzt liegt der Unfallbericht vor, der einen Pilotenfehler samt anschließendem Mast Bumping als Absturzursache benennt. Der Unfall ereignete sich laut BFU in Folge eines Flugmanövers, das zu verringerten Lastvielfachen im Flug führte. Sehr wahrscheinlich aufgrund von fehlerhaften Steuereingaben kam es zu einem Mast-Bumping und in dessen Folge zum Einschlag des Rotors in die Rumpfzelle und zur Zerlegung des Hubschraubers in der Luft.

(red CvD / BFU)