Reportagen

"Bei uns in Reichenberg": Zu Besuch beim Notarzthubschrauber Kryštof 18

Alle Fotos, sofern nicht anders angegeben: www.der-rasende-reporter.info

Das tschechische Luftrettungswesen umfasst 10 über das ganze Land verteilte Stützpunkte. Der nördlichste davon befindet sich in Reichenberg (Tschechisch: Liberec), einer Stadt, einst auch als "Wien des Nordens" bezeichnet wurde und die bis 1918 zur österreichisch-ungarischen Monarchie gehörte. Sie wurde über Jahrhunderte fast ausschließlich von Deutschböhmen bewohnt, die 1945 aufgrund der menschenverachtenden - und bis heute gültigen - Benes-Dekrete von der Tschechoslowakei enteignet und brutalst vertrieben wurden.

Historie
Die Historie von Reichenberg/Liberec ist eng mit der Reichshauptstadt von Österreich-Ungarn, Wien (Tschechisch: Vídeň), verbunden. Reichenberg liegt inmitten des idyllischen Isergebirges und die Architektur vieler Gebäude lässt deutliche Ähnlichkeiten zu den Prachtbauten der Kaiserstadt Wien erkennen. Im 13. Jahrhundert wurde die Region Reichenberg von Deutschen besiedelt. Im Jahr 1577 erhielt die Gemeinde das Stadtrecht. Ab 1804 war Reichenberg Teil des Kaisertums Österreich, aus dem 1867 Österreich-Ungarn hervorging. Die Stadt war zudem ein bedeutender Industrie- und Handelsplatz der Donaumonarchie und Sitz zahlreicher bedeutender Firmen. Auch das größte Unternehmen der Monarchie, die Textilwerke der Familie Liebig, hatte sich in Reichenberg angesiedelt. Rund 90 Prozent der Einwohner Reichenbergs waren zu dieser Zeit sudetendeutsche (Alt-)Österreicher, die sich selbst als Deutsche betrachteten, darunter viele Juden deutscher Muttersprache. Im nahen Maffersdorf, heute ein Ortsteil von Reichenberg, wurde 1875 der weltbekannte österreichische Konstrukteur Ferdinand Porsche geboren, der auch eine bedeutende Rolle bei der Entwicklung von Flugzeugantrieben spielte. An einer der Schulen, die er in Reichenberg besuchte, erinnert mittlerweile eine zweisprachige (Deutsch/Tschechisch) Gedenktafel an den großen österreichisch-deutschböhmischen Sohn dieser Stadt. Das Rathaus, das wie eine verkleinerte Kopie des Wiener Rathauses aussieht, geht auf die Idee des Wiener Architekten Franz von Neumann zurück und brachte Reichenberg den Namen „Wien des Nordens“ ein. Das Stadttheater gleich dahinter bildete das Sprungbrett für die Karriere von so manchem Künstler. Neben Leo Slezak hatten hier auch Größen wie Hans Holdt ihre ersten Auftritte. Paul Hörbiger gab 1919 sein Debüt als „Zwirn“ in „Lumpazivagabundus“, wenig später trat auch sein jüngerer Bruder Attila in Reichenberg auf. Der legendäre Hans Moser stand 1897 in Reichenberg zum ersten Mal auf den Brettern, die die Welt bedeuten. Auch Maxi Böhm spielte an diesem Haus. Er verhalf der Stadt durch die von 1973 bis 1975 produzierte ausgesprochen beliebte TV-Serie „Hallo ‒ Hotel Sacher … Portier!“ zu erneuter Berühmtheit in Österreich und Westdeutschland. Denn Böhm leitete so manche Bemerkung in Unterhaltungen mit dem Chefportier mit dem Satz „Bei uns in Reichenberg ...“  ein. Vom 21. bis zum 24. Juni 1906 weilte gar Kaiser Franz Joseph I. persönlich in Reichenberg. Anlass des hohen Besuchs war die Deutschböhmische Industrieausstellung. Mit dem Zusammenbruch der Monarchie 1918 fiel Reichenberg mit dem gesamten Sudetenland an die neu gegründete Tschechoslowakei. Wer sich für die Geschichte der Stadt Reichenberg und der sudetendeutschen Altösterreicher in Böhmen und Mähren interessiert, dem sei an dieser Stelle wärmstens das Buch "Von Reichenberg bis Sydney - Erinnerungen eines Altösterreichers aus Böhmen an Krieg und Frieden" empfohlen, aus dem der obige Text mit freundlicher Genehmigung entnommen wurde.

Flugverkehr in Reichenberg
Im Jahr 1926 wurde im heutigen Stadtteil Alt Paulsdorf (Tschechisch: Staré Pavlovice) ein provisorischer Flugplatz errichtet, von dem aus die Fluggesellschaft Avia zunächst Post und später auch Passagiere in die Hauptstadt Prag beförderte. Doch 1927 wurde die Verbindung wieder eingestellt. 1930 oder 1934 (hier widersprechen sich die tschechischen Quellen) wurde dann der heutige Flugplatz errichtet, sieben Jahre später etablierte die tschechoslowakische Fluggesellschaft CSA eine Flugverbindung zwischen der Hauptstadt Prag/Praha und Reichenberg/Liberec. Zwischen 1938 und 1945 nutzte die deutsche Luftwaffe den Flugplatz, danach herrschte wieder ziviler Flugbetrieb im Bereich der Allgemeinen Luftfahrt. 1992 übernahm die Stadt den Flugplatz.

Kryštof 18
Im gleichen Jahr nahm hier auch der Notarzthubschrauber Kryštof 18 seinen Dienst auf. Zunächst kam ein russischer Hubschrauber des Typs Mil Mi-2 des privaten Betreibers BEL AIR zum Einsatz. Am 1. Jänner 1993 übernahm dann die ebenfalls private Firma DSA den Betrieb von Kryštof 18, setzte jedoch vorerst weiterhin den Mil Mi-2 ein. Dieses robuste aber technisch längst veraltete (Erstflug 1966) Muster flog bis 1996. Danach ersetzte ein AS 355 F2 Ecureuil den "russischen Dinosaurier". Vor mittlerweile gut 21 Jahren, im Februar 2003, ersetze DSA den AS 355 F2 dann schließlich durch einen Eurocopter EC 135 T1, OK-DSA. Einige Jahre später erfolgte dann ein Modernisierungsprozess in dessen Rahmen EC 135 T2 beschafft wurden. Dieser Typ kommt nicht nur in Reichenberg, sondern auch an den ebenfalls von DSA betriebenen Notarzthubschrauber-Standorten Aussig an der Elbe / Usti nad Labem (die Stadt erlangte traurige Berühmtheit durch das Massaker von Aussig im Jahr 1945), Mährisch Ostrau / Ostrava, Budweis / Ceske Budejovice, Iglau / Jihlava, Königgrätz / Hradec Kralove und Brünn/Brno zum Einsatz.

Kryštof 18 ist grundsätzlich tagsüber einsatzbereit und führt auch Alpineinsätze in der Region durch. Sein Einsatzradius beträgt circa 70 Kilometer rund um Reichenberg. Der medizinische Teil der Besatzung wird vom Gesundheitsdienst Reichenberg gestellt, die fliegerische Crew ist bei DSA angestellt.

Fotoimpressionen

Der "Kontrollturm" des Flugplatzes Reichenberg/Liberec.
Blick in den Patientenraum.
Auf dem Stützpunkt wird auch ausreichend Treibstoff zur Betankung des Helikopters vorgehalten (Tank im Hintergrund erkennbar).
Blick ins Cockpit.
Der Hangar von Krystof 18.
Krystof 18 auf dem Dachlandeplatz des Krankenhauses von Reichenberg. Im Hintergrund ist der Hausberg von Reichenberg, der weltbekannte Jeschken/Jested zu erkennen - Foto: Krystof 18.

(red)