Punktlandung

Abschlussbericht zu Air France 471 veröffentlicht

Nachdem es am 22. Juli 2011 mit einem Airbus A340-300 (Reg.: F-GLZU) der Air France zu einem schweren Zwischenfall im Reiseflug auf dem Flug AF471 von Caracas nach Paris Charles de Gaulle kam, hat die zuständige französische Untersuchungsbehörde Bureau d’Enquêtes et d’Analyses pour la sécurité de l’aviation civile (BEA) vergangene Woche ihren Abschlussbericht zu dem Vorfall veröffentlicht.

Verlauf des Zwischenfalls

Zum Zeitpunkt des Zwischenfalls befindet sich der Airbus A340-300 etwa 230 Kilometer nordöstlich von Guadeloupe in einer Reiseflughöhe von 35.000 Fuß und in unerwartet mittelschweren Turbulenzen, als die Crew eine akustische und visuelle Warnung über zu hohe Fluggeschwindigkeit "Overspeed" erhält.

Darauf hin schaltet der Kopilot (pilot monitoring) laut Flugschreiber den Autopiloten aus und zieht den Side Stick stark zurück. Das Ausschalten des Autopiloten passierte wahrscheinlich versehentlich. Beim Ausschalten des Autopiloten erklingt in diesem Fall keine hörbare Warnmeldung, wie es sonst vorgesehen ist, da der Warnung über zu hohe Fluggeschwindigkeit Priorität eingeräumt wird. Ferner wurden die Bremsklappen durch die Crew ausgefahren.

Während sich die Piloten zu einer Kabinenansage entschließen, steigt die Nase des Airbus A340-300 bis zu 12 Grad nach oben und das Flugzeug erreicht dabei einer vertikale Geschwindigkeit von bis zu 5700 Fuß pro Minute, was jedoch von den Piloten bisher unbemerkt bleibt. Resultat daraus ist eine sich reduzierende Fluggeschwindigkeit. Deswegen entschließt sich der Pilot (pilot flying) die automatische Schubkontrolle zu deaktivieren und wählt manuell die stärkste Schubeinstellung (TO/GA).

Erst jetzt fällt dem Piloten auf, dass sich das Flugzeug nicht mehr auf der vorgegebenen Reiseflughöhe befindet, sondern 38.000 Fuß durchbrochen hat. Der Pilot stellt daraufhin den Autopiloten (welcher weiterhin deaktiviert ist) auf einen Modus zum Erreichen der Ursprünglichen Flughöhe ein, während der Kopilot der zuständigen Flugsicherung die Abweichung in der Flughöhe mitteilt. Durch die langsame Fluggeschwindigkeit ist der Airbus bereits wieder auf 35.400 Fuß abgesunken. Erst jetzt fällt dem Piloten auf, dass der Autopilot nicht mehr aktiviert ist. Darauf hin, greif er manuell per Side Stick in das Fluggeschehen ein und stabilisiert die Fluglage. Autopilot und automatische Schubkontrolle werden danach problemlos wieder aktiviert. AF471 setzt setzt seinen Flug bis Paris weiter fort.

Die Ursachen

Bei dem Zwischenfall sank die Fluggeschwindigkeit des Flugzeugs von 0.83 Mach in der Flughöhe von 38.000 Fuß auf 0.66 Mach, was 205 Knoten entspricht. Die kalkulierte Mindestfluggeschwindigkeit des Airbus A340-300 lag zu dem gegenwärtigem Zeitpunkt bei 202 Knoten. Über 102 Sekunden war keinem der beiden Piloten bewusst, dass der Autopilot nicht aktiviert war, über 53 Sekunden realisierte keiner der Piloten den starken Steigflug oder die deutliche Abweichung in der Flughöhe.

Die BEA sieht die Hauptursache des Zwischenfalls in der Tatsache, dass für die Piloten keine akustische Warnmeldung über das Deaktivieren des Autopiloten zu hören war. Grund dafür war die kontinuierliche Warnung über zu hohe Fluggeschwindigkeit, welcher systembedingt als Master Caution stärkere Priorität eingeräumt wird als das Deaktivieren des Autopiloten (Master Warning mit 3 Sekunden akustischem Signal). Die BEA empfiehlt deswegen in ihrem Untersuchungsbericht, die Warnung über die Deaktivierung des Autopiloten ebenfalls kontinuierlich einzuprogrammieren.

Darüber hinaus sieht die BEA das Auftreten unerwarteter mittelschwerer Turbulenzen als erschwerenden Umstand, in Hinsicht auf das Ablesen der Instrumente. Ein Fehlverhalten der Crew zeigt sich hierbei jedoch, da eine für diese Situation entsprechende Checkliste nicht gelesen wurde. Die sogenannte "Severe Turbulence Checklist" beinhaltet unter anderem einen Punkt, der den Status des Autopiloten überprüft. Auch kritisiert die BEA eine mangelhafte Bedienung des Wetterradars, welches die Piloten rechtzeitig vor dem Eintreten stärkerer Turbulenzen hätte warnen können.

Weiterhin Mängel in der Pilotenausbildung?

Im Zusammenhang der Untersuchung dieses Zwischenfalles wurden von Experten mehrmals Parallelen zum Absturz eines Airbus A330 (Reg.: F-GZCP) der Air France auf dem Flug AF447 von Rio de Janeiro nach Paris aufgezeigt, bei dem am 1. Juni 2009 durch einen Strömungsabriss im Reiseflug, verursacht laut BEA durch ein Fehlverhalten der Crew, 228 Personen ihr Leben verloren. Das der Airbus A330 in einen Strömungsabriss hineinmanövriert wurde, blieb von den Piloten unbemerkt.

Ein technisch gesehen wesentlicher Unterschied der beiden Flüge liegt jedoch im Modus des Bordcomputers: Während auf dem Unglücksflug AF447 bedingt durch abweichend gemessene Geschwindigkeiten der Modus "Alternate Law" aktiv wurde, standen dem Airbus A340-300 auf dem Flug AF471 sämtliche Schutzfunktionen zur Verfügung "Normal Law". Der Modus Normal Law umfasst dabei ein schützendes Eingreifen des Bordcomputer sowohl bei zu hohem Anstellwinkel (AoA) als auch bei zu niedriger Fluggeschwindigkeit.

Insbesondere vor dem Hintergrund von AF447 steht der Zwischenfall des Airbus A340-300 am 22. Juli 2011 stark als vermeidbar in der Kritik. In Fachkreisen wird airlineunabhängig vorallem die unzureichende Pilotenausbildung bemängelt: Zum einen werden Forderungen an Airbus laut, bessere Lehrunterlagen zur Vermittlung von Systemkenntnissen zur Verfügung zu stellen, zum anderen müssen weiterhin bestehende Mängel beim manuellen Fliegen in Reiseflughöhe beseitigt werden.

Offen bleibt die Frage, wieso die Air France Piloten des Flug AF471 auch zwei Jahre nach dem Unglück von AF447 sehr ähnliche Verhaltensmuster an den Tag legten.

Eine Zusammenfassung des Vorfalls auf Englisch hat das Portal "Aviation Herald" hier veröffentlicht, der völlständige Untersuchsbericht der BEA ist hier zu finden.

Text: Nicolas Eschenbach

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.