Reportagen

Aeroflot 802: Der vergessene Absturz der Tupolev TU-134 bei Berlin Schönefeld

Bergearbeiten am völlig ausgebrannten Wrack der verunglückten TU-134A - Foto: Deutsches Bundesarchiv CC-BY-SA 3.0

Kurz vor Weihnachten, am 12. Dezember 1986, stürzte eine TU-134 der sowjetischen Fluggesellschaft Aeroflot beim Anflug auf Berlin Schönefeld ab. 72 der 82 Insassen kamen ums Leben, darunter auch 20 Schüler der Ernst-Schneller-Oberschule in Schwerin. Ein Rückblick auf eine heute weitgehende unbekannte Katastrophe der zivilen Luftfahrt mitten in Europa.

Kurs Aerfolot 802 wurde von einer Tupolev TU-134A mit der Kennung CCCP-65795 durchgeführt und sollte von Minsk nach Berlin Schönefeld führen. In Minsk boardeten 73 Passagiere die Maschine, darunter 27 Schüler der Ernst-Schneller-Oberschule in Schwerin, die sich auf der Rückreise von einer Klassenabschlussfahrt in die Sowjetunion befanden.

An diesem Freitag war das Wetter in Berlin denkbar schlecht. Dichter Nebel bedeckte den Himmel über der deutschen Metropole, die Wolkenuntergrenze lag bei rund 400 Fuß. Neben den Passagieren befanden sich 9 Besatzungsmitglieder - darunter ein Checkkapitän - an Bord der Tupolev. Als Flug 802 am Vormittag des 12. Dezember 1986 in Minsk abhob und Kurs gen Westen nahm, war der Zweistrahler mit 82 Menschen beinahe voll besetzt. Die Ankunft auf dem DDR-Hauptstadtflughafen Berlin Schönefeld war gegen 12:30 Uhr geplant.

Als der Crew von Kommandant Anatoli Wassiljewitsch Boguljubow klar wurde, dass sie wegen des schlechten Wetters nicht würden landen können, entschied sie sich, nach Prag auszuweichen und dort auf besseres Wetter zu warten. Dort angekommen, versuchten die Begleitpersonen der Schülergruppe von den zuständigen DDR-Stellen die Genehmigung für die Weiterreise per Zug zu erhalten, da noch nicht absehbar war, wann sich das Wetter bessern würde. Doch die Erlaubnis für die bodengebundene Fahrt nach Berlin wurde verweigert und so mussten die 27 Schüler und ihre zwei Begleitpersonen zusammen mit den anderen Reisenden auf dem Flughafen Prag warten.

Gegen 15:30 Uhr startete die TU-134 endlich in Prag und nahm erneut Kurs auf Berlin Schönefeld. Dort war allerdings die nördliche Piste 25R wegen Wartungsarbeiten für den Flugbetrieb gesperrt worden, weswegen es bei der Abwicklung der Anflüge zu Verzögerungen kam. Nach einigen Warteschleifen wies der Fluglotse der Crew der Tupolev kurz vor 17 Uhr die Piste 25L zu, was von den Männern im Cockpit auch bestätigt wurde. Tatsächlich flog Kurs SU 802 jedoch 25R an. Der Tower wies die Besatzung zweimal auf diesen Umstand hin, doch die Tupolev setzte ihren Kurs ohne Korrektur fort.

Erst als die Maschine in etwa 130 Metern Höhe aus den Wolken kam, bemerkte die Crew ihren Irrtum, doch ein Go around wurde nicht eingeleitet. Stattdessen versuchten die Piloten "auf biegen und brechen" eine Kurskorrektur in Richtung der in Betrieb befindlichen Piste 25L, was jedoch misslang. Um 17:03 Uhr kollidierte die Maschine mit Bäumen in der Anflugschneise und zerbrach in mehrere Teile. Auslaufendes Kerosin entzündete sich und verwandelte die Unglücksstelle in ein Flammeninferno. 72 der 82 Insassen kamen im Flammenmeer ums Leben, nur 10 Menschen überlebten zum Teil schwerst verletzt, darunter auch 7 Schüler.

Einer davon war Axel Baumann aus Flensburg, der aus der Maschine geschleudert wurde. 2011 sagte er in einem Interview mit der "Bild": „Alles war ganz normal. Die Maschine ging zur Landung runter. Plötzlich gingen die Lichter aus. Ich hörte nichts. Keinen Knall, keine Explosion. Plötzlich war alles nur schwarz." Als er die Situation erfasst hatte, rettete er noch seine schwervlerzte Mitschülerin Astrid Wulff, ehe weitere Explosionen die Unfallstelle erschütterten.

DDR mauerte und vertuschte aus Rücksicht auf den "großen Bruder"
Obwohl der Flugschreiber und der Stimmenrekorder geborgen werden konnte, veröffentlichten weder die Sowjetunion noch die DDR jemals einen offiziellen Unfallbericht. Stattdessen wurden Hinterbliebene in der DDR von der Staatssicherheit (Stasi) schikaniert und angewiesen, keinerlei Äußerungen oder Vermutungen zu tätigen, die das Ansehen des "großen Bruders", der Sowjetunion, beschädigten könnten. Selbst auf der Beerdigung der Opfer waren nur ausgewählte, handverlesene Gäste zugelassen. Die Eltern der sieben überlebenden Schüler waren nicht eingeladen und durften erst nach massivem Protest an der Gedenkveranstaltung teilnehmen. Die "Aktuelle Kamera" des DDR-Fernsehens berichtete gerade einmal 30 Sekunden über das Unglück, auch ansonsten wurde die Tragödie in den staatlich gesteuerten Medien rasch totgeschwiegen. Auch eine offizielle Gedenkstätte für die Opfer errichtete die DDR nicht.

Später stellte sich heraus, dass die Crew der abgestürzten Maschine vermutlich die englischen Anweisungen des Flugverkehrsleiters nicht verstanden und deshalb die falsche Piste angesteuert hatte. Als sie ihren Fehler bemerkte, reagierte sie gänzlich falsch und verursachte somit das zweitschwerste Flugzeugunglück in der Geschichte der DDR. Da die Freundschaft zur Sowjetunion nach offiziellem DDR-Sprech jedoch "unverbrüchlich" zu sein hatte und zudem das Reaktorunglück von Tschernobyl erst wenige Monate zurücklag, wurden die Umstände des Absturzes der Bevölkerung und selbst den Eltern der Getöteten von der DDR-Diktatur bewusst vorenthalten.

Erst 24 Jahre nach dem Absturz, am 12. Dezember 2010, wurde an der Unglücksstelle ein Gedenkstein für die 72 Toten von Flug Aeroflot 802 errichtet, an dem Hinterbliebene und Freunde der Opfer von damals in Würde trauern und ihrer Liebsten gedenken können.

(HP)