Punktlandung

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LaudaMotion-Evakuierung in London: Zahlreiche offene Fragen

Das in den Zwischenfall involvierte Flugzeug - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Acht Personen wurden bei der Evakuierung eines LaudaMotion A320 gestern in London Stansted leicht verletzt. Der Fall wirft auch Fragen nach der Notwendigkeit dieser Maßnahme auf, wobei festzuhalten ist, dass die Performance der Piloten nach bisherigem Kenntnisstand ausgezeichnet war.

Die Fakten soweit bisher bekannt: Der Airbus A320 OE-LOA der LaudaMotion beschleunigte gestern Abend auf der Piste 22 des Londoner Flughafens Stansted, um als Kurs OE 327 nach Wien zu fliegen. Doch die Maschine sollte es nicht einmal in die Luft schaffen.

Denn schon nach wenigen Sekunden waren vom linken Triebwerke laute Knalle zu hören, gefolgt von einer gelben Flamme und weißen Funken, die aus Triebwerk Nummer eins schlugen. Da die Geschwindigkeit zu diesem Zeitpunkt noch deutlich unter der Entscheidungsgeschwindigkeit V1 lag, entschieden sich die Piloten zum sofortigen Startabbruch. Die Maschine kam rasch zum Stillstand. So weit, so gut, die Entscheidung zum Startabbruch war aus fliegerischer Sicht zu diesem Zeitpunkt die einzig richtige und zeugt von einer gut trainierten Cockpitcrew, die ihre Entscheidung ohne Verzögerung getroffen hat - so wie es von Profis im Cockpit zu Recht erwartet wird.

Die anschließend eingeleitete Evakuierung des Flugzeuges wird allerdings in Fachkreisen bereits seit gestern Nacht ausgesprochen kontrovers und intensiv diskutiert. Eben weil bei einer Evakuierung das Verletzungsrisiko für Passagiere und Crewmitglieder verhältnismäßig hoch ist (das reicht von Schürfwunden bis hin zu gebrochenen Knochen), wird eine solche Maßnahme üblicherweise ausschließlich dann angeordnet, wenn absolute Gefahr im Verzug ist. Beispiele dafür wären Rauch oder Feuer in der Kabine oder ein brennendes Triebwerk, das sich mit den an Bord zur Verfügung stehenden Mitteln nicht löschen lässt. Bei einem Startabbruch aufgrund eines Triebwerksproblems ohne Vorliegen eines dieser geschilderten Faktoren, ist eine Evakuierung eines Flugzeugs laut einhelliger Meinung von Piloten und Flugbegleitern nicht indiziert.

So verzichtete eine Austrian Airlines Besatzung nach einer umfassenden Situationsanalyse beispielsweise sogar nach der Notlandung einer Fokker 70 der AUA 2004 in einem Feld bei München auf eine Evakuierung.

Wer die Evakuierung der LaudaMotion-Maschine gestern angeordnet hat, ist bis dato unklar. Auf Anfrage wollten weder LaudaMotion-Geschäftsführer Andreas Gruber noch Pressesprecherin Theresa Weißenbäck Stellung dazu nehmen, ob die Maßnahme seitens der Cockpit- oder seitens der Kabinenbesatzung in die Wege geleitet wurde. Einige Passagiere berichteten gegenüber Austrian Wings, dass zumindest ein Teil des Kabinenpersonals überfordert und panisch gewirkt habe. Auch gegenüber der Tageszeitung "Die Presse" berichteten Passagiere von "panischen Flugbegleitern", die "das Chaos zu einem guten Teil selbst verursacht" hätten.  Objektiv nachprüfen lässt sich das freilich nicht, und Aussagen von Passagieren sind mitunter nicht immer zutreffend, weshalb sie durchaus mit Vorsicht zu genießen sind.

Allerdings wurde aus LaudaMotion-Kreisen die Information an Austrian Wings herangetragen, dass die Evakuierung auf das Handeln einer Flugbegleiterin zurückzuführen sein soll.

Unsere Redaktion hat LaudaMotion-Geschäftsführer Andreas Gruber auch diesbezüglich um eine Stellungnahme gebeten - Pressesprecherin Theresa Weißenbäck verwies darauf, dass man die "Untersuchungen abwarten" wolle. Offenbar war es mehr als 12 Stunden nach dem Vorfall für die Unternehmensleitung noch immer nicht möglich, dem Kapitän die simple Fragen zu stellen, wer die Evakuierung angeordnet hat. Zudem erklärte die Airline gestern in einer Presseaussendung nach der notfallmäßigen Evakuierung, dass man die Passagiere "aussteigen" habe lassen ...

Sollte es jedoch tatsächlich zutreffen, dass es sich beim gestrigen Zwischenfall um einen "normalen" Startabbruch gehandelt hat, bei dem keinerlei Gefährdung der Insassen vorlag und dennoch eigenmächtig von einem Mitglied des Kabinenpersonals eine Evakuierung in die Wege geleitet wurde, so würde dies die Frage nach der generellen Qualität der Ausbildung des Kabinenpersonals bei der österreichischen Ryanair-Tochter aufwerfen.

Auch, wenn zum jetzigen Zeitpunkt nicht ausgeschlossen werden kann, dass die Evakuierung möglicherweise doch notwendig war, so ist zumindest die bisherige Optik nicht die Beste.

Text: HP

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.