Punktlandung

Die irr(ig)en Luftfahrt-Rätsel der Zeitungs-Chronisten

Foto: FF Obersulz (Bearbeitung: AWMC)

„Es sprach der Zeitungsredakteur: Eine Schlagzeile muss her!“ – so der deutsche Dichter Erhard Horst Bellermann. Dass gerade im aviatischen Bereich sehr viele Chronikjournalisten auf der Jagd nach einer markigen Head- oder Punchline – nicht weich, sondern hart! – gern einmal zu hastig tippen oder mangels Fachkenntnis irrige Schlüsse ziehen, ist nicht neu. Bei manchen scheint sich dahinter aber beinahe ein Zwang zu verbergen…

„Wie kann es also sein“, fragt sich dieser Tage ein Zeitungsschreiber-Trio, „dass es am vergangenen Donnerstag zu einem Hubschrauberabsturz im Bezirk Gänserndorf (Niederösterreich) gekommen ist?“

An sich ist bereits das eine brillante Fragestellung, denn an diesem besagten Donnerstag, dem 16. April 2020, hat sich in ganz Österreich kein Hubschrauberabsturz ereignet. So etwas „kann also nur sein“, wenn man sich etwas Derartiges zusammenfantasiert.

Was sich tatsächlich ereignet hatte, war eine Notlandung, nachdem ein zweisitziger Leichthubschrauber vom Typ Robinson R22 gemäß Pilotenangaben nach dem Ausfall des Triebwerks mittels Autorotation in einem Feld aufsetzen musste (ein Video eines solchen Manövers findet man hier). Pilot und Passagier, ein Vater-Sohn-Duo, konnten die Maschine ohne Blessuren verlassen.

In einer österreichischen Tageszeitung liest sich das folgendermaßen:

„Mysteriöser Helikopter-Absturz trotz Covid-Flugverbots – Rätsel um fehlende Transpondersignale“

Dass es nicht im Entferntesten einen „Absturz“ gegeben hat, ist bereits geklärt – und das stand auch zu keinem Zeitpunkt in Frage. Ob es nun grottenschlechte Recherche oder eine bewusste Verrenkung von Tatsachen ist, wissen nur die drei „Hobbygutachter“ in Person der betreffenden Redakteure. Doch auch ein „Covid-Flugverbot“ existiert nicht. Weder als Begriff, noch im Sinne luftfahrtrechtlicher Bestimmungen. Zudem ist der österreichische Luftraum für Flüge unter VFR-, also Sichtflug-Bedingungen, ganz und gar nicht gesperrt.

Flugbewegungen haben sich angesichts der Covid-19-Pandemie drastisch dezimiert, im gewerblichen Sektor bisweilen völlig auf Null reduziert. Auch die meisten Flugplätze bleiben geschlossen. Doch Anlagen mit Werftbetrieb stehen nach wie vor offen, und so existiert auch keinerlei Verbot, Flüge durchzuführen. Wenn diese einer begründbaren Notwendigkeit unterliegen, darf gestartet werden. Darunter fallen beispielsweise Werkstattflüge, etwa nach erfolgten Wartungs- beziehungsweise Reparaturarbeiten, oder solche, die rund um lizenzrechtliche Belange notwendig werden können. Hierzu dient die PPR-Regelung („Prior Permission Required“). Mit dem Sanktus des Platzbetreibers kann ein Pilot also von derartigen Flugfeldern abheben beziehungsweise dort landen.

Und wer sich in der besonders glücklichen Lage wähnt, über eine Außenlandegenehmigung zu verfügen, darf vom eigenen Grundstück aus starten und landen, ohne somit von der Sportstättenverordnung oder der PPR-Regelung in irgendeiner Form betroffen zu sein.

Um welche Art Flug es sich am Donnerstag gehandelt hat, weiß aktuell noch kein Außenstehender. Auch die Herren mit der zu flinken Feder nicht. Angesichts dessen grübeln sie in ihren Zeilen darüber, wo die besagte Maschine denn überhaupt gestartet sei. Ihre Privatfahndung mittels der Gratis-App „flightradar24“ verlief peinlicherweise ins Leere, wie sie eingestehen mussten. Doch daraus basteln sich die Herrschaften kurzerhand ihren nächsten Skandal – immerhin war der Helikopter, ja darf das denn wahr sein, ganz ohne Transpondersignal unterwegs! Über „erste Spuren“ der Maschine auf den Digitalkarten jubeln die verkannten Zeitungs-„Gutachter“ erst im Bereich Korneuburg.

Die Enttäuschung könnte groß ausfallen, wüssten die selbsternannten Helden der Luftfahrt erstens einmal, wie „flightradar24“ überhaupt funktioniert, und dass zweitens die meisten Helikopter generell ganz ohne ADS-B Transponder unterwegs sind.

Dass letzteres Faktum offensichtlich seit früheren „Büro-Ermittlungen“ zu anderen Helikopterunglücken in Vergessenheit geraten sein dürfte, spricht freilich nicht für tatsächliche aviatische Bildung. Und apropos Aviatik: auch exakt mit diesem Begriff scheint das Dreiergespann wenig anfangen zu können, wie vollmundige Digitalergüsse in sozialen Medien beweisen, bei denen locker-flockig Termini wie „Avionik“ und „Aviatik“ kunterbunt vermischt werden – ich sprach bereits von Fach-, oder zumindest Recherchekompetenz?

Das „fehlende Transpondersignal“ der am Donnerstag notgelandeten Maschine ist jedenfalls weder eine Besonderheit, noch ein Skandal. Ein gelegentliches Aufscheinen auf „flightradar24“ verdanken derartige Fluggeräte der MLAT-Technologie, einer Signallaufzeitmessung unter Verwendung von Sekundärradar-Mode-S-Transpondern. Dazu ist „flightradar24“ auf möglichst viele private Senderbetreiber am Boden angewiesen, welche Daten in das Netzwerk einspeisen, und die betroffenen Flieger müssen in Höhen zwischen 3.000 und 10.000 Fuß unterwegs sein. Gibt es zu wenig „datensendende“ Stationsbetreiber oder ist das gesuchte transponderlose Fluggerät in niedrigerer Höhe unterwegs, sucht man am Bildschirm vergeblich. Und wer’s noch detaillierter wissen möchte, kann auf „flightradar24“ nachlesen: „How Flight Tracking Works“. C’mon, Kid! Do your homework!

Journalisten folgen (zu) oft ihrem Drang, um jeden Preis „Skandale aufdecken“ zu müssen, damit ihr Blatt mit vermeintlich „exklusivem Material“ Absatz findet. Und dafür löhnt der Leser. „Guter Journalismus ist nicht umsonst“, vermeldet die Paywall, hinter der sich die fachlich-katastrophale Abhandlung zum besagten Drehflügler-Zwischenfall befindet. „Umsonst“ ist angesichts solcher Inhalte bestenfalls für die Leserschaft das investierte Geld gewesen…

Manches, was man in diversen Papier- oder Onlinetageszeitungen zu lesen bekommt, lässt Branchenkennern zwar die Haare zu Berge stehen, ist aber dann und wann mit einem Lächeln entschuldbar. Etwa, wenn Redakteure Begrifflichkeiten wie „Notlandung“ und „Sicherheitslandung“ nicht zu unterscheiden wissen. Brisant wird es hingegen, wenn blankes Hirngespinst als vermeintliche Tatsache verkauft wird, und dies auffällig wiederholend. Die „Berichterstattung“ zum Absturz eines Polizeihubschraubers in den Tiroler Achensee hatte erst kürzlich die sprichwörtlich hässliche Fratze derselben Möchtegern-Luftfahrtkenner enthüllt, die – geifernd nach nötigenfalls an den Haaren herbeigezogenen Horror-Märchenpassagen – nicht einmal davor zurückscheuten, von einem tödlich verunglückten Piloten und Familienvater zum Entsetzen aller Fliegerkollegen das Bild eines „Kamikaze-Killers“ zu zeichnen, um für den vermeintlich eigenen journalistischen Ruhm das Andenken eines von Kameraden und Freunden des Verstorbenen unisono als „ruhig, besonnen, hochkompetent“ beschriebenen Piloten der Exekutive durch den Schmutz zu ziehen. Wer dachte, die Grenzen des Anstands wären in aller Regel bei diversen bunten (Gratis-) Boulevardblättern niedergerissen, wurde hier ausgerechnet von einem Medium, das sich gerne als Qualitätszeitung betitelt wissen will, in trauriger Form eines Besseren belehrt.  Und wie man angesichts der aktuellen Ereignisse sieht, ist es auch mit dem Bestreben, künftig sorgfältiger und gewissenhafter zu arbeiten, offensichtlich nicht weit her.

Ja, das eine oder andere Mal müssen Journalisten im Zuge ihrer Recherche auch das vielzitierte „eins und eins“ zusammenzählen.

Der große Unterschied zwischen Zusammenzählen und Zusammenreimen ist: für ersteres braucht man nicht nur alle Zahlen, um loslegen zu können, sondern muss auch die Grundrechnungsarten verstehen. Wer reimt, jongliert hingegen bloß kreativ mit Wörtern. Doch selbst das erfordert viel Übung und Besonnenheit ...

(TUG / ES / AG)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.