Reportagen

Fotoreportage: Rettung für den wohl letzten Boeing 747-200 Simulator Europas

Fotos: Jan Frieben

Das Luftfahrtmuseum Wernigerode im Harz (D) freut sich über eine neue Attraktion. Der Boeing 747-200 Simulator stand davor jahrzehntelang bei Lufthansa im Einsatz. Jetzt wurde er mittels Schwertransport in einer nächtlichen Aktion vor der Verschrottung gerettet und ins Museum überstellt. Eine Fotoreportage von Jan Frieben, der als ehemaliger Flugingenieur selbst viele "Sessions" auf diesem Simulator "geflogen" ist.

Wer kennt sie nicht, die Boeing 747-200? Sie war neben der B-747-300 der letzte Jumbo mit einem klassischen Dreimann-Cockpit, in dem zwei Flugzeugführer und ein Flugingenieur ihren Arbeitsplatz hatten.

Viele Jahre stellte die Boeing 747-200 das Flaggschiff der Deutschen Lufthansa dar. Die letzte 747 mit Dreimann-Mann Cockpit wurde im Dezember 2004 bei Lufthansa Cargo ausgemustert.

Training am Simulator
Um die Qualifikation von Cockpitbesatzungen herzustellen und aufrecht zu erhalten, bedarf es für alle Verkehrsflugzeuge eines Simulators, in dem normale wie auch abnormale Verfahren gefahrlos trainiert werden können - das heißt, das Abhandeln eventueller technischer Fehler im Flugzeug und fiktiver Gefahrensituationen.

Außer der Schulung der Piloten und Flugingenieure bewirkt man mit der Nutzung auch eine Schonung der Umwelt, da zigtausende von Trainingsstunden im Simulator abgewickelt und so Trainingsflüge weitgehend vermieden werden können. Mindestens viermal pro Jahr musste jedes Cockpitmitglied ein vierstündiges Trainings- und Prüfungsprogramm darin bewältigen. Der Simulator wurde in fünf Schichten pro Tag betrieben.

Engagierte Mitarbeiter und Musemschef als Retter
Engagierte Mitarbeiter der Lufthansa und Lufthansa-Technik in Hamburg waren sich des ideellen Wertes des 747-200 Simulators bewusst als er bei der Lufthansa Flight Training ebenfalls ausgemustert wurde. Viele Jahre konnte er bewahrt und in Hamburg vorsorglich eingelagert werden um ihn - wie viele andere seltene Teile -  für ein späteres, erhofftes Museum der Lufthansa aufzuheben.

Die gegenwärtige Luftfahrtkrise droht vielen museumswerten Ausstellungsstücken der Luftfahrt zum Verhängnis zu werden.

Wieder sind es die bereits erwähnten engagierten Mitarbeiter und Luftfahrtenthusiasten, die sich unter anderem für die Rettung dieses Simulators einsetzen und mit dem Luftfahrtmuseum Wernigerode im Harz unter der Leitung des Eigentümers Clemens Aulich einen angemessenen Alterssitz für den wohl letzten verfügbaren Simulator 747-200 in Europa finden.

Es sind in diesen Zeiten fast ausschließlich Initiativen begeisterter Einzelner und kleiner, meist privater Teams, Vereine und Museen, die sich dem Erhalt von erhaltenswerten Objekten der Vergangenheit widmen und damit auch großen Konzernen vormachen, dass Krisenzeiten nicht gleichbedeutend sein müssen mit Vernachlässigung der Geschichte dieser Unternehmen und Ihrer erhaltenswerten Objekte. Die Bereitschaft und Freude des Museums dieses seltene Ausstellungstück in dieser schwierigen Zeit aufzunehmen und publikumsgerecht auszustellen ist daher umso höher zu bewerten,

Es ist eine Investition in die Zukunft des Luftfahrtmuseums Wernigerode durch gesteigerte Attraktivität, Bewahrung historischer Objekte und damit auch Sicherung der vorhandenen Arbeitsplätze, die der Eigentümer in dieser Corona-Krise ohne staatliche Unterstützung voll aufrecht erhalten hat.

Transport als Herausforderung
Am 19. Mai wurde der Simulator in mehrstündiger Arbeit in der Hamburger Werft der Lufthansa sorgfältig verladen. Um Mitternacht startete der Schwertransport Richtung Wernigerode. Keine alltägliche Aufgabe, denn diese seltene Ladung eine Transportbreite von rund 4,5 Metern.

Das Wetter spielte mit, aber als Herausforderung stellten sich mehrfach Baustellen in Autobahnauffahrten heraus. Zahlreiche Begrenzungsbaken standen enger als angekündigt, sodass es zeitweise über mehrere hundert Meter nur im Kriechtempo voran ging, da die Baken versetzt und nach Passieren der Engstellen wieder replaziert werden mussten. Die Fahrer von Transporter und Sicherungsfahrzeug wurden so auch „sportlich gefordert“, da man den Verkehr nicht lange aufhalten wollte.

Nach Verlassen der Autobahn wenige Kilometer vor Wernigerode fuhr die Polizei als Begleitung vorweg, da die Überbreite erforderte auf 2 Spuren zu fahren.

Um 4:00 morgens erreichte der Transport sicher das Museumsgelände.

Die Entladung ergab für die Museumscrew noch einige Herausforderungen, da sie mit kleinerem Ladegerät als in Hamburg zurecht kommen mussten. Eng wurde es ein weiteres Mal, als man die Gasse zwischen zwei Hallen passieren musste, wobei seitlich nur wenige Zentimeter Luft verblieben. Dass dies ohne Schäden bewältigt wurde ist dem Engagement und der Sorgfalt der Mitarbeiter zu verdanken. Die Transport- und Museumscrew haben allen Grund auf die Neuerwerbung anzustoßen.

Äußerlich vielleicht zunächst nicht auffallend, aber innen umso beeindruckender ist dieser Simulator. Er gibt einen Einblick in den letzten Stand des Dreimann-Cockpits vor der digitalen Umwälzung in der Fliegerei.

Es ist Faszination, die die Besucher(innen) angesichts dieses und der anderen interessanten Ausstellungsobjekte erfasst und einen Besuch des Luftfahrtmuseums Wernigerode lohnen, wenn man den Harz in Deutschland als Ausflugsziel erwägt. Die Betrachtung der technischen Entwicklungen der Vergangenheit ist es erst, die uns eine Weiterentwicklung in die Zukunft ermöglicht.

Fotoimpressionen:

Der Arbeitsplatz des Flugingenieurs - seine Position wurde durch die Digitalisierung überflüssig, doch gerade in Notsituationen war der "dritte Mann" eine wertvolle Unterstützung für die beiden Luftfahrzeugführer.
Das Overhead-Panel der 747-200
Blick auf die Arbeitsplätze der Piloten

Text & Fotos: Jan Frieben, Flugingenieur a. D.

Austrian Wings Tipp: Ein Interview mit dem Autor finden Sie am Ende unserer Reportage "Der dritte Mann".