Punktlandung

In case of emergency: "Aviate, navigate, communicate!"

Nach dem Absturz einer ATR72-600 der TransAsia unmittelbar nach dem Start in Taipeh mit mehr als 30 Todesopfern, sind die Medien derzeit weltweit voll mit Spekulationen. Die Redakteure überschlagen sich geradezu damit, die Piloten entweder als "Helden, die Hochhäusern in letzter Sekunde ausgewichen" seien zu beschreiben, oder über menschliches Versagen als Unfallursache zu mutmaßen. Dabei lässt sich zum jetzigen Zeitpunkt weder das eine noch das andere mit Fakten untermauern.

++ Wenige Stunden nach Veröffentlichung dieses Beitrages stellte sich heraus, dass der Crash vermutlich durch einen Pilotenfehler verursacht wurde  ++

Was sich bisher nämlich mit Sicherheit sagen lässt, ist relativ wenig: Die beiden Flugzeugführer hatten rund 5.000 beziehungsweise 7.000 Stunden im Logbuch stehen und waren damit durchaus erfahren. Auf dem Jumpseat saß ein weiterer Pilot mit 16.100 Stunden Flugerfahrung. Ihr Arbeitsgerät war jung und in gutem Zustand. Der Start verlief zunächst normal, die ATR72 erreichte eine Höhe von 1.050 Fuß, ehe sie zu sinken begann und schließlich abstürzte.

In ihrem letzten Funkspruch meldeten die Piloten "Mayday, mayday, engine flame out". Daraus geht nicht hervor, ob eines oder beide Triebwerke von Problemen betroffen waren. Ein doppelter Triebwerksausfall oder Leistungsverlust ist selten, kommt aber durchaus vor, wie im Falle von Flug US 1549. Außerdem lässt sich aus dem Funkspruch nicht zweifelsfrei ableiten, ob es tatsächlich ein "flame out" oder ein anderes Gebrechen war, da Englisch nicht die Muttersprache der Piloten war und sie somit den Begriff auch fälschlicherweise verwendet haben könnten. Wobei auch das schon wieder im Ansatz Spekulation ist, man weiß es schlichtweg noch nicht.

Ein einzelner Triebwerksausfall führt jedenfalls - korrektes Verhalten der Besatzung vorausgesetzt - jedoch keinesfalls zum Absturz eines Verkehrsflugzeuges, darin sind sich alle von Austrian Wings konsultierten Fachleute einig.

Grundsätzlich gilt für alle Piloten in Notsituationen weltweit der Grundsatz: "Aviate, navigate, communicate". Das bedeutet, dass man in erster Linie das Flugzeug in der Luft hält, eine sichere Route wählt (Kollisionen mit Gebäuden oder Bergen vermeidet) und dann, wenn die Situation zumindest initial unter Kontrolle ist, Kontakt mit der Flugsicherung aufnimmt und das weitere Vorgehen mit den Fluglotsen abstimmt. Hierbei ist gutes Crew Resource Management von enormer, mitunter sogar lebenswichtiger, Bedeutung.

"Die ATR72 ist ein modernes Flugzeug. Fällt ein Triebwerk aus, bringt eine eingebaute Automatik normalerweise den Propeller der betroffenen Turbine selbstständig in Segelstellung", erläutert Kapitän Kern von Flugberater.info.

Die Piloten haben lediglich die Aufgabe, das zu kontrollieren und diesen Schritt gegebenenfalls selbst manuell nachzuholen, wenn die Technik versagen sollte.

"Geschieht dies nicht, ist das aber auch noch kein Grund dafür, das Flugzeug in den Strömungsabriss ("Stall") zu verzögern. Je nach Zuladung kann auch dann noch das Höhehalten oder ein leichter Sinkflug kontrolliert gesteuert werden. Das setzt aber voraus, dass nur ein Triebwerk ausgefallen ist und dem verbleibenden die volle Leistung zur Verfügung steht", meint der Experte mit 11.000 Flugstunden Erfahrung, davon 6.000 auf Turboprops, weiter.

"Sind diese Punkte gegeben und liegen keine anderen Systemausfälle vor, ist auch eine solche Situation grundsätzlich beherrschbar, wenn sie auch nicht unbedingt zu einer erfolgreichen Landung auf einem Flughafen führen muss."

Stefan Koller von der "ACA" ergänzt: "Selbst, wenn man die Propellerblätter durch ein technisches Problem überhaupt nicht mehr in Segelstellung bringen kann, stürzt man deswegen nicht sofort ab." Zwar sei das Flugzeug dann aufgrund des großen Luftwiderstandes besonders anspruchsvoll zu fliegen, aber "das üben wir regelmäßig im Simulator".  Dass das manuelle System  zur Propellerverstellung allerdings überhaupt versagt, ist äußerst unwahrscheinlich, zumal es auch hier noch ein entsprechendes Backup gibt.

Wir wissen noch nicht, was genau an Bord der abgestürzten TransAsia-Maschine geschah, die Antworten darauf werden uns hoffentlich in Kürze die Daten aus den beiden Flugschreibern geben.

Erst dann werden wir Klarheit darüber haben, ob die Piloten mit derart vielen Problemen gleichzeitig konfrontiert waren, dass ein Unfall unvermeidlich war, oder ob sie auf ein beherrschbares Problem nicht adäquat reagiert und somit das Unglück (mit-) verschuldet haben. In diesem Fall wären Ausbildungs- und Sicherheitsstandards von TransAsia ebenso wie die Rolle der zuständigen Aufsichtsbehören äußerst kritisch zu hinterfragen, war es doch der zweite tödliche Absturz dieser Airline innerhalb von nur sieben Monaten.

Bis zum Vorliegen dieser Daten aber sollten gerade wir  Journalisten uns vor Spekulationen hüten und uns an die wenigen bekannten Fakten halten - auch und gerade dann, wenn sie nicht spektakulär wirken.

(red HP / Titelbild: Cockpit eines Turbopropflugzeuges vom Typ Bombardier Q400; auf der Mittelkonsole befinden sich zentral die beiden Schubhebel, rechts davon die Hebel für die Propellerverstellung, Symbolbild - Foto: Austrian Wings Media Crew)

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.