Punktlandung

AirAsia-Absturz: Qualitätsjournalismus sieht anders aus

Von Massenmedien ist nicht unbedingt das Niveau eines aviatischen Fachmagazines zu erwarten, das ist keine Frage. Eine gewisse journalistische Grundqualität sollte allerdings in jedem Fall vorhanden sein. Ein ORF-online-Bericht zum vermissten AirAsia A320 bietet jedoch nach Meinung eines unserer Leser (Name der Redaktion bekannt), der seit vielen Jahren in leitender Position in einem Aviatikbetrieb tätig ist, genau das nicht, sondern vielmehr "die volle Bandbreite aller boulevardjournalistischen Feinheiten" und ist eines öffentlich-rechtlichen Rundfunks mit Bildungsauftrag unwürdig, wie er findet. Wir veröffentlichen daher seine Zuschrift als Gastbeitrag-Punktlandung.

Wie bei so vielen Artikeln zu Unglücken in der Verkehrsluftfahrt, wird auch beim Absturz von Flug QZ8501 wieder mehr mit den Gefühlen der Leser gespielt als Fakten aufzubereiten und mit qualifizierten Quellen zu belegen. Während man von diversen Boulevardmedien gar nicht mehr erwartet, dass die Behauptungen einer ernsthaften Überprüfung standhalten, tun sich auch die Erfinder der 'Faktenchecks' sehr schwer mit den Fakten und deren Präsentation: Der gestern vom ORF veröffentlichte Artikel "Das Versäumnis der Airlines" bietet die volle Bandbreite aller boulevardjournalistischen Feinheiten: Feindbilder werden bedient, nicht existente Experten falsch zitiert, Behauptungen unreflektiert übernommen, Quellen selektiv wiedergegeben und selbst einfache englische Begriffe falsch übersetzt.

Gleich im ersten Absatz wird suggeriert, dass „es“ schon wieder passiert ist. Was genau? Die einzige Parallele zu Flug MH370 besteht darin, dass das gestern abgestürzte Flugzeug ungefähr in der gleichen Region abgestürzt ist - und auch nur dann, wenn der geneigte Beobachter dies auf einem globalen Maßstab betrachtet, Wien und Tunis liegen näher zu einander als jene Orte wo die beiden Flugzeuge zum letzten Mal geortet wurden. Weitere Parallelen bestehen nach heutigem Wissensstand nicht.

Als eine der wesentlichsten Quellen wird der angebliche Luftfahrtexperte John Irving genannt. Die Namensgleichheit mit dem Oscarpreisträger dürfte wirklich rein zufällig sein, wird in der referenzierten Quelle der Verfasser als Clive Irving angegeben dessen Expertenschaft darin besteht, vor über zwanzig Jahren ein populärwissenschaftliches Buch über die Boeing 747 verfasst zu haben. Eine weitere Quelle, ein Blog namens ‚Runway Girl Network‘ wird als RunAway Girl Network bezeichnet - die dort angeführten Einwände gegen bestimmte Lösungen werden allerdings nicht weiter erwähnt. Zwei weitere so genannte Experten entpuppen sich zwar als ehemalige ranghohe Mitarbeiter der US-Unfalluntersuchungsbehörde NTSB, haben dort aber auf politischen bzw. organisatorischen Posten gedient und sind ebenso keine technischen Experten.

Freilich sind die technischen Probleme einfachst zu beheben - ein nicht genannter Experte spricht von einem Kabel im Wert von zwanzig Dollar! Als Wundermittel werden hauptsächlich zwei Maßnahmen angepriesen: Der so genannte ‚Deployable Recorder‘, welcher fälschlicher Weise als „einsetzbarer“ Flugschreiber bezeichnet wird (würde ein nicht einsetzbarer Flugschreiber wirklich helfen?) und die Idee einer virtuellen Blackbox - freilich ohne die in den zitierten Quellen aufwendig diskutierten Nachteile zu würdigen oder gar weiter zu recherchieren.

„Deployable“ ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass der Flugschreiber ausgeworfen wird, bevor das Luftfahrzeug auf der Oberfläche aufprallt um damit die Überlebenschancen der Daten zu erhöhen. Was verschwiegen wird: Der einfachere Zugang zu den Flugdaten für die Flugunfalluntersucher ist damit noch lange nicht gewährleistet! Auch nach einer erfolgreichen Trennung vom Rumpf, welche keineswegs garantiert ist, bedeutet dies nicht, dass der Flugschreiber so schnell gefunden wird, wie es suggeriert wird. Ein Flugschreiber eines Kampfflugzeugs wurde erst mehrere Jahren nach dem Unfall geborgen. Besonders interessant: Der Airbus welcher auf Flug QZ8501 eingesetzt wurde, wäre nach der Forderung der Experten nicht entsprechend ausgerüstet worden.

Das zweite Allheilmittel besteht in einer - mehr oder weniger - kontinuierlichen Übertragung von Flugdaten zu Bodenstationen. Während die technische Machbarkeit unbestritten ist, werden die Kosten marginalisiert und neue Wege im Bereich der Kostenrechnung beschritten: Mit der Begründung, dass lediglich „…die Tests der neuen Systeme am teuersten wären, würden sich die Kosten für die großen Fluglinien pro Maschine beinahe amortisieren.“ [sic!]. Wo der Unterschied zu kleinen Fluglinien besteht und wieso die Kosten für die Tests nicht in berücksichtigt werden sollten, wird nicht näher erklärt (in der Quelle steht es auch anders).

Repräsentativ für das Niveau der Berichterstattung ist die Aussage, dass sich die Technologie zur Suche von verunfallten Luftfahrzeugen in 85 Jahren nicht verändert hat - jeder weitere Kommentar erübrigt sich.

In diesem Sinne wünschen wir uns für 2015 etwas mehr ‚English for Runaways‘ und etwas weniger GIS, bis das Produkt auch dem Preis entspricht.

Text: I. M.
Titelbild: Die Unglücksmaschine - Foto: Oka Sudiatmika via Wiki Commons

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.