Reportagen

Vor 70 Jahren: Als die Sowjetunion zwei unbewaffnete schwedische Flugzeuge abschoss

So sah der schwedische Marinemaler Hakan Sjöström den völkerrechtswidrigen Abschuss der schwedischen Maschine über internationalen Gewässern - Bildrechte: Wiki Commons / CC BY SA 4.0

Seit bald 9 Monaten führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine, der geprägt ist von schwersten russischen Kriegsverbrechen und dem anschließenden Abstreiten der kriminellen Taten der russischen Soldateska durch die Regierung im Moskauer Kreml. Doch dieses Verhaltensmuster der russischen Führung ist nicht neu. Russland beziehungsweise der Vorgängerstaat, die russisch dominierte Sowjetunion, agierte schon vor beziehungsweise seit Jahrzehnten so. Nicht nur (in der jüngeren Vergangenheit) in Afghanistan oder Tschetschenien, sondern beispielsweise auch während des Zweiten Weltkrieges, als zivile deutsche sowie österreichische Frauen und minderjährige Mädchen, teils noch Kinder, von den Horden der Roten Armee zu Millionen vergewaltigt und teilweise auch getötet wurden - ein niemals juristisch aufgearbeitetes Kriegsverbrechen. Ebenfalls erwähnt sei das Massaker von Katyn, wo die Rote Armee Tausende gefesselte Polen durch Schüsse in den Hinterkopf ermordete oder jenes von Nemmersdorf, wo die Rote Armee unbewaffnete deutsche Zivilisten abschlachtete. Auch nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges setzte sich die Brutalität und das darauf folgende Leugnen der kriminellen Taten der russischen Armeeangehörigen fort. So etwa im Juni 1952. Damals vor 70 Jahren schossen sowjetische Kampfjets innerhalb von drei Tagen gleich zwei unbewaffnete schwedische Flugzeuge völkerrechtswidrig über internationalen Gewässern ab und töteten dabei 8 Menschen. Anschließend leugnete die Regierung in Moskau ihre Verantwortung für dieses Verbrechen Jahrzehnte lang. Austrian Wings erzählt an dieser Stelle die Geschichte der außerhalb Skandinaviens kaum bekannten "Catalina-Affäre".

Offiziell war Schweden neutral (im Jahr 2022 beantragte das Land angesichts der russischen Aggression gegen die Ukraine die Aufnahme in die NATO), doch ebenso wie Österreich, arbeitete Schweden über Jahrzehnte mehr oder weniger mit dem Westen beziehungsweise der NATO zusammen. Grundlage dafür war ein 1949 abgeschlossenes Geheimabkommen mit den USA und Großbritannien. Hauptziel dieser Geheimoperationen war es, Informationen über die Fähigkeiten der sowjetischen Luftabwehr zu sammeln und sie an die NATO weiterzugeben. Im Gegenzug erhielt Schweden moderne technische Ausrüstung aus den USA für den Eigenbedarf.

Und so startete am 13. Juni 1952 eine C-47 Skytrain (schwedische Bezeichnung Tp 79) mit dem Kennzeichen 79001 zu einem Flug über die Ostsee, um sowjetische Funk- beziehungsweise Radarsignale abzufangen. Die fliegerische Besatzung bestand aus Kapitän Alvar Älmeberg, Navigator/Funker Gösta Blad und Flugingenieur Herbert Mattson. Der Kapitän flog seit zehn Jahren für die schwedische Luftwaffe und verfügte über 2.000 Stunden Gesamtflugerfahrung. Navigator Gösta Blad war seit acht Jahren im Dienst und konnte auf 1.202 Flugstunden zurück blicken, während Bordingenieur Herbert Mattsson der "Rookie" der Crew war.

In der Kabine saßen fünf Mitarbeiter der Försvarets radioanstalt, die für die Funkaufklärung verantwortlich waren. Unter der Leitung von Carl-Einar Jonsson bedienten Ivar Svensson, Erik Carlsson, Bengt Book und Börje Nilsson die technischen Einrichtungen zum Aufklären des neuen sowjetischen Radars P-20. Eine solche Anlage befand sich bei Liepāja in der Sowjetrepublik Lettland und sie war von großem Interesse für das westliche Verteidigungsbündnis NATO.

Kurz vor 9 Uhr Lokalzeit ließ die Besatzung die beiden Sternmotoren des Flugzeuges an und um 09:05 Uhr schob Kapitän Älmeberg die Leistungshebel der C-47 auf Startlast. Wenig später hob die Maschine mit dem Rufzeichen "Flug 27" von der Piste 30 des Flugplatzes Bromma ab und steuerte im Steigflug mit Kurs 130 Grad Richtung Südost. Älmeberg brachte die Zweimot auf eine Höhe von etwa 4.000 bis 4.500 Meter und der Funker setzte, wie vereinbart, um 9:26, 9:47, 10:08, 10:25, 10:46 und 11:08 Uhr Routinemeldungen an die Bodenkontrollstelle ab. Doch die nächste geplante Meldung um 11:25 Uhr blieb aus, allerdings soll um 11:23 Uhr noch ein kurzer unverständlicher Funkspruch von der Maschine aufgefangen worden sein . Laut schwedischen Quellen befand sich die C-47 zu diesem Zeitpunkt bereits auf dem Rückflug nach Bromma, nachdem sie ihre eigentliche Mission abgeschlossen hatte.

Eine Catalina im schwedischen Luftwaffenmuseum in Linköping - Foto: Sgt. Oddball / CC BY-SA 3.0

Nachdem die schwedische Bodenkontrollstelle die Aufklärungsmaschine weder erreichen konnte noch die Besatzung der Maschine ein Lebenszeichen von sich gab, wurden zwei Amphibienflugzeuge des Typs Consolidated PBY-5 Catalina (schwedische Bezeichnung Tp 47) auf eine Such- und Rettungsmission in Richtung Ostsee entsandt, doch sie konnten zunächst keine Spur von der vermissten C-47 und deren Besatzung entdecken.

Sowjets schießen Rettungsflugzeug ab
Am dritten Tag der Such- und Rettungsmission befanden sich die beiden Catalina westlich von Estland im internationalen Luftraum über der Ostsee, als plötzlich eine der Maschinen von Jagdfliegern der sowjetischen Luftwaffe ohne jede Vorwarnung angegriffen und unter Beschuss genommen wurde. Den Piloten der Catalina gelang eine Notlandung auf dem Wasser und die 7-köpfige Besatzung rettete sich in Schlauchboote, ehe ihr Flugzeug in den Fluten des Meeres versank. Glücklicherweise wurden die Überlebenden nicht beschossen. Der westdeutsche Frachter "Münsterland" nahm die Besatzung der von den Sowjets in einem kriminellen Akt über internationalen Gewässern abgeschossenen Catalina auf.

Die von den Sowjets abgeschossene Catalina. Die Besatzung konnte sich auf Rettungsflöße flüchten. Diese Aufnahme wurde von einem Besatzungsmitglied des deutschen Frachters "Münsterland" gemacht, der die Besatzung der Catalina aufnahm und in Sicherheit brachte - Foto: Public Domain

Leugnen der Sowjets, Lügen der Schweden
Aufgrund der Aussagen der Überlebenden aus der abgeschossenen Catalina lag sofort der Verdacht nahe, dass die sowjetische Luftwaffe die Catalina abgeschossen hatte - und wohl auch die vermisste C-47. Doch im Moskauer Kreml stritt man jede Verantwortung für diese beiden Verbrechen ab, und das obwohl ein schwedischer Zerstörer wenige Tage später nahe der Absturzstelle der Catalina ein Rettungsfloß mit Munitionsresten entdeckte, die zweifellos sowjetischen Ursprungs waren. Aufgebrachte Schweden demonstrierten vor der sowjetischen Botschaft in Stockholm und schenkten den Lügenmärchen aus Moskau keinen Glauben. Doch erst vier Jahre später gab der sowjetische Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow zumindest inoffiziell gegenüber Schweden zu, dass die vermisste C-47 von der Sowjetunion abgeschossen worden war. Chruschtschow und der schwedische Premierminister Tage Erlander vereinbarten allerdings Stillschweigen. Nach außen hin stritt Moskau weiterhin jede Beteiligung ab, während das offiziell neutrale Schweden, um nicht zugeben zu müssen, dass man für die NATO spioniert hatte, erklärte, die vermisste C-47 habe sich auf einem Navigations-Trainingsflug befunden. Erst später räumte Schweden auf Druck der Angehörigen der vermissten Besatzung die Wahrheit ein. Das Wrack der C-47 aber blieb über Jahrzehnte verschollen.

Späte Wahrheit nach einer erneuten russischen Lüge
Erst im Jahr 1991, nachdem die Sowjetunion zerfallen war, gab der russische Generalmajor Fjodor Schinkarenko, der 1952 Oberst der sowjetischen Luftverteidigung war, in einem Interview zu, dass er einem seiner Piloten den Befehl gegeben hatte, die schwedische C-47 abzuschießen, da sie sich angeblich in sowjetischem Luftraum befunden hätte. Das war eine glatte Lüge, der Abschuss des unbewaffneten schwedischen Flugzeuges erfolge nämlich über internationalen Gewässern, wie schließlich der russische Botschafter in Schweden bestätigen musste. Er erklärte, dass die C-47 von der russischen Luftwaffe abgeschossen wurde, nachdem sie von zwei in Lettland errichteten Radarsystemen entdeckt worden war. Der Diplomat räumte dabei auch ein, dass der Abschuss ein Verstoß gegen das Völkerrecht war. Dennoch wurde, soweit bekannt, von Moskau niemals jemand für den Abschuss des Flugzeuges und die Tötung der 8 schwedischen Besatzungsmitglieder juristisch zur Verantwortung gezogen.

Suche und Bergung des Wracks
Obwohl die Wahrheit nun bekannt war, vergingen noch viel Zeit, ehe sich Schweden dazu durchringen konnte, nach dem Wrack der vermissten abgeschossenen C-47 zu suchen. 1992 und 1995 durchgeführte Suchaktionen blieben allerdings erfolglos. Am 10. Juni 2003, nahezu auf den Tag genau 51 Jahre nach dem Verschwinden, entdeckten Anders Jallai, ein ehemaliger schwedischer Luftwaffen- und späterer Zivilpilot, der sich für das Thema interessierte, und der Historiker Carl Douglas die vermisste Maschine mit Hilfe eines Sonars in einer Tiefe von 126 Metern in der Ostsee. Nicht weit vom Wrack der C-47 entfernt lag auch die ebenfalls von den Sowjets abgeschossene Catalina. Rund ein Dreivierteljahr später, am 19. März 2004, erfolgte die Bergung des Wracks. In einer sternenklaren windstillen Nacht kehrte die C-47 gegen Mitternacht zurück an die Oberfläche. Jallai konnte auch nachweisen, dass die Maschine sich tatsächlich nicht im sowjetischen Luftraum befand, als sie abgeschossen wurde. Sie hatte allerdings kurz zuvor einen nagelneuen sowjetischen Kreuzer der Swerdlow-Klasse überflogen und wohl auch fotografiert.

Das geborgene uns konservierte Wrack der C-47 im schwedischen Luftwaffenmuseum in Linköping. Bei der Bergung wurden in der Maschine die Überreste von vier der acht Besatzungsmitglieder entdeckt - Foto: Alex Nordstrom / CC BY SA 3.0

Die Überreste der C-47 wurden zum schwedischen Flottenstützpunkt Muskö gebracht und eingehend untersucht. Anhand der Einschusslöcher im Rumpf konnte zweifelsfrei festgestellt werden, dass die Maschine von einer MiG-15 der sowjetischen Luftwaffe abgeschossen worden war. Anhand der Borduhr konnte zudem die Absturzzeit exakt mit 11:28 Uhr bestimmt werden, was den Rückschluss zulässt, dass die für 11:25 geplante Positionsmeldung wohl deshalb ausblieb, weil die Besatzung um diese Uhrzeit bereits verzweifelt versuchte, dem Angreifer zu entkommen und so um ihr Leben kämpfte - vergeblich.

In der schwedischen Hauptstadt Stockholm erinnert ein Gedenkstein an die gefallene schwedische Besatzung - Foto: Franie Fouganthin / CC BY SA 4.0

Rätsel um vermisste Crewmitglieder
In der C-47, beziehungsweise in ihrer unmittelbaren Umgebung, wurden auch die sterblichen Überreste der dreiköpfigen Cockpitcrew sowie des Leiters der Funkaufklärungsmannschaft gefunden. Die übrigen vier Besatzungsmitglieder gelten bis heute als vermisst. Es gab Gerüchte, dass sie den Absturz überlebt hatten und von der Sowjetunion ins Gulag gebracht worden seien. Davon waren wohl zahlreiche Angehörige der schwedischen Luftwaffe überzeugt. 1980 erhielt eine der Witwen eine Postkarte aus der Sowjetunion und glaubte, dass sie von ihrem vermissten Mann sei. Es gab jedoch niemals einen Beweis dafür, dass jemand den Abschuss überlebt hatte. Es wäre jedoch möglich, dass die vier bis heute vermissten Leichen nach dem Absturz an der Oberfläche der Ostsee trieben und von sowjetischen Schiffen geborgen und an Land gebracht wurden. Ebenso gab es Gerüchte, dass eines der schwedischen Besatzungsmitglieder Kommunist gewesen sei und die Sowjets selbst über die Mission informiert hatte. Wie der Entdecker des Wracks, Anders Jallai, auf seiner Homepage in Schwedisch schreibt, habe es Indizien dafür gegeben, dass die Türe der Maschine vor dem Aufprall von innen geöffnet worden sei. Auch hätten fünf (und nicht vier!) Fallschirme gefehlt. Andererseits habe ein US-amerikanischer Experte, der das Wrack und die Sitzplätze untersuchte, festgestellt, dass alle Männer beim Aufprall des Flugzeuges an Bord gewesen seien. Der sowjetische Jagdflieger, der die C-47 abgeschossen hatte, verwickelte sich offenbar in Widersprüche. Laut Jallai habe der sowjetische Pilot in seinem Einsatzbericht erwähnt, dass "die Besatzung abgesprungen sei". Laut schwedischen Quellen habe der sowjetische Pilot diese Aussage in späteren Berichten allerdings nicht mehr getätigt. Entdeckter Jallai sprach nach eigenen Angaben aus dem Jahr 2013 (abrufbar über web.archive.org) auch mit einem früheren Piloten namens Ove Huzell der schwedischen Luftwaffe, der ihm gesagt habe, dass er (Huzell) glaube, dass sich als neunter Mann ein US-Amerikaner an Bord der Maschine befunden habe. Ein weiterer Informant, ein ehemaliger schwedischer Nachrichtendienstoffizier namens Olof Frånstedt habe ihm (Jallai) bestätigt, dass ein US-Amerikaner als neunter Mann an Bord gewesen sei. Dies sei auch eine Erklärung für die Mitnahme eines neunten Fallschirmes, obwohl die Crew offiziell nur aus acht Leuten bestand. Die Wahrheit darüber, was mit den vier vermissten Besatzungsmitgliedern geschah, und ob sich tatsächlich ein Amerikaner als "Phantom" in dem Flugzeug befand, wird wohl nie mehr ans Tageslicht kommen.

Ehrung für gefallene Besatzung
Am 52. Jahrestag des Abschusses der C-47, am Sonntag, den 13. Juni 2004, fand in Schweden eine Gedenkfeier für die Opfer des völkerrechtswidrig erfolgten Abschusses statt. Ranghohe Vertreter des schwedischen Militärs nahmen ebenso an der Veranstaltung teil wie die schwedische Verteidigungsministerin Leni Björklund. Der gesamten Besatzung von Flug 27 wurde posthum eine hohe militärische Auszeichnung verliehen. In Stockholm befindet sich ein Gedenkstein für die an Bord der C-47 ums Leben gekommenen Männer.

Die Borduhr der C-47 blieb zum Zeitpunkt des Absturzes stehen - Foto: www.jallai.se

Ausstellung im Museum
Das geborgene historisch bedeutsame Wrack wurde konserviert und schließlich, fünf Jahre nach der Bergung, 2009 in einem eigenen Themenraum des "Flygvapenmuseum" (Luftwaffenmuseum) im schwedischen Linköping der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.

"Serientäter" Sowjetunion/Russland
Der völkerrechtswidrige Abschuss der schwedischen C-47 und der Catalina war übrigens kein Einzelfall. Denn noch mindestens drei weitere Male in ihrer Geschichte schoss die Sowjetunion bzw. Russland unbewaffnete Flugzeuge ab und tötete dabei hunderte unschuldige Menschen: Am 20. April 1978 beschossen Kampfjets der Roten Armee ein Passagierflugzeug vom Typ Boeing 707 der Korean Air Lines - den Piloten gelang zwar eine Notlandung, doch zwei Passagiere wurden getötet. Die Flugdatenschreiber der Boeing wurden entgegen internationalen Gepflogenheiten von Moskau nicht herausgegeben. Fünf Jahre später, am 1. September 1983 schossen sowjetische Abfangjäger dann eine Boeing 747 der Korean Air Lines ab und töteten alle 269 Menschen an Bord. Ebenso wie 31 Jahre zuvor beim Abschuss der schwedischen C-47 über internationalen Gewässern, bestritt die Regierung im Moskauer Kreml auch beim Abschuss des Passagier-Jumbos vehement nach dem Motto "Unser Name ist Hase" jede Verantwortung, bis diese Behauptung durch Tonaufzeichnungen des russischen Funkverkehrs, den amerikanische Geheimdienste mitgeschnitten hatten, als Lüge der Machthaber in Moskau entlarvt wurde. Und erst vor acht Jahren, im Sommer 2014, schossen russische Separatisten mit einer Flugabwehrrakete eine Boeing 777 der Malaysia Airlines über der von Russland völkerrechtswidrig besetzten und kontrollierten Ostukraine ab - 298 Menschen starben, darunter 80 Kinder. Zwei russische Geheimdienstoffiziere und ein pro-russischer ukrainischer Staatsbürger wurden dafür kürzlich in Abwesenheit von einem Gericht in den Niederlanden zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Die aktuelle russische Regierung unter dem Diktator und Kriegsverbrecher Wladimir Putin bestreitet auch in diesem Fall, wie könnte es anders sein, bis heute jede Beteiligung an diesem Verbrechen ...

Text: O. Reichenberger