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10.000 Stunden im Cockpit: Auszeichnung für AWACS-Flugingenieur

AWACS im Flug - Foto: Huber / Austrian Wings Media Crew

Stabsfeldwebel Jens Tschauner diente in zwei deutschen Armeen als Bordingenieur. Jetzt wurde gefeiert.

Die auf der legendären Boeing 707 basierende E-3 Sentry AWACS ist wegen des russischen Angriffskrieges auf die Ukraine derzeit viel in der Luft. Zur fliegerischen Besatzung gehört neben zwei Piloten auch der so genannte dritte Mann - der Flugingenieur und ein Navigator.

Einer dieser Flugingenieure von ihnen ist der deutsche Stabsfeldwebel Jens Tschauner. Er begann seine Karriere als Bordingenieur noch in der Nationalen Volksarmee (NVA) der DDR, ehe nach der deutschen Wiedervereinigung zur Bundeswehr - und damit zur NATO - wechselte.

Cockpit einer Boeing E-3 Sentry. Der Flugingenieur sitzt rechts hinter den Piloten an seiner Konsole - Foto: NATO

Für Piloten und Bordtechniker gilt die 10.000 als magische Zahl. Damit ist keinesfalls der persönliche finanzielle Kontostand gemeint, sondern die Anzahl der Flugstunden: Kürzlich durchbrach Stabsfeldwebel Jens Tschauner diese ungewöhnliche „Schallmauer“ und wurde von Generalleutnant Thorsten Poschwatta, derzeit Kommandeur Zentrum Luftoperationen, mit einer Urkunde geehrt.

10.000 Flugstunden – für Tschauner bedeutet das 416 Tage oder 1,14 Jahre auf verschiedenen Flugzeugtypen und in zwei Armeen der Schwerkraft getrotzt zu haben. Der Jubilar ist als Flugingenieur oder wie es im NATO-Sprech heißt, Flight Engineer (FE), in der 2. Staffel des multinationalen NATO E-3A AWACSAirborne Early Warning and Control System (Airborne Early Warning and Control System)-Verbandes in Geilenkirchen eingesetzt.

Generalleutnant Thorsten Poschwatta, Kommandeur Zentrum Luftoperationen, ehrt den Jubilar Jens Tschauner mit einer Urkunde - Foto: Bundeswehr / Melanie Becker

Und da kann der ehemalige Leipziger auf eine solide Ausbildung bauen, die sich im Laufe der Jahre mit Erfahrung paarte und die ihn zu einem Meister rund um die immer komplexer werdende Flugtechnik werden ließ. Seine Geschichte ist ungewöhnlich wie auch zeitgeschichtlich bedeutsam, steht sie doch für ein Leben in zwei Systemen mit Umbrüchen als auch Konstanten.

Westverwandtschaft verhindert Pilotenausbildung
Eigentlich wollte er immer schon Pilot werden. „Schon seit ich denken kann, interessierte ich mich für alles was fliegt“, erinnert sich der 58-Jährige. In Leipzig geboren und aufgewachsen, ging der Traum, sich am Steuerknüppel eines Flugzeugs in die Lüfte zu erheben, nur mit staatlichem Rückenwind. So trat Tschauner als Jugendlicher in die Gesellschaft für Sport und Technik (GST), eine militärisch strukturierte Vorfeldorganisation der Nationalen Volksarmee, der Sektion Segelfliegen bei. Ein klassischer Werdegang für jemanden, der in der ehemaligen DDR groß wurde.

Was dann folgte, spiegelt ebenfalls die Lebenswirklichkeit zwischen Rostock und Dresden wider: Tschauner musste die Segelflugausbildung kurz vor seinem ersten Start abbrechen. Bei einer Sicherheitsüberprüfung, der sich selbst Jugendliche zu unterziehen hatten, wenn sie Pilot werden wollten, stellte sich heraus, dass „ich irgendwo im Westen bei Köln eine Tante habe“, von der er aber nichts wusste. Damit war der Traum vom Fliegen vorbei, erstmal.

Tschauners Interesse für alles rund ums Fliegen war damit aber nicht vom Tisch. Und so bekam er ein Angebot, sich zum Flugzeugtechniker ausbilden zu lassen, nicht mehr als Offizier, sondern in der gerade neu entstandenen Laufbahn der Fähnriche. Zur Einordnung: In der Nationalen Volksarmee der DDR war der Fähnrich kein Offiziersanwärter wie in der Bundeswehr. Er galt als offiziersähnliches Konstrukt für fachspezifische Aufgaben. Als Militärspezialist kann er heutzutage mit der Laufbahn des militärfachlichen Dienstes verglichen werden.

Tschauners wichtigstes Arbeitsmittel ist das Tablet mit Handbüchern und Checklisten. Er befasst sich mit dem Betrieb und der Überwachung aller Flugzeugsysteme und muss auftretende Fehler diagnostizieren und nach Möglichkeit beheben oder beseitigen.

Kommandeur hält Wort
In der Ausbildung an der Militärtechnischen Schule der Luftstreitkräfte/Luftverteidigung „Harry Kuhn“ in Bad Düben wurde Tschauner nichts geschenkt. Hier holte er sich das Rüstzeug, das ihm noch heute zugutekommt. Er schloss die Ausbildung als Ingenieur im fliegertechnischen Dienst ab. Besonders in den technischen Fächern gehörte er mit zu den Klassenbesten. Ein Ansporn, an den er sich heute noch erinnert, war, dass die Bestbenoteten sich ihren zukünftigen Standort aussuchen konnten. Für die anderen hieß es: „Wo die Partei dich hinschickt…“. Tschauner wollte es in der Hand haben, den damaligen Bedingungen entsprechend und verließ sich nicht auf Glück, sondern vielmehr auf das Lernen und seinen wachen Geist. Der Schulkommandeur hielt Wort. Daraus folgte ein heimatnaher Dienstposten in Dresden-Klotzsche in der selbstständigen Transportfliegerstaffel 24. Hier flog er, zwar nicht als Pilot, so doch als Bordtechniker auf einer Antonow An-26.

Mit der politischen Wende 1989/90 stand die Staffel vor der Auflösung. Der Golfkrieg gewährte den Soldaten der Einheit eine Gnadenfrist. „Die Bundeswehr brauchte Transportkapazität, die Transall war ausgebucht und so flogen wir mit der Antonow weiter. Nun in der Lufttransportgruppe Dresden-Klotzsche des Lufttransportgeschwaders 65“, blickt Tschauner zurück. Vom Fähnrich zum Oberfeldwebel zurückgestuft, durchflog er weiter die Lüfte eines nun in der Fläche gewachsenen Deutschlands. Doch das Ende in Dresden war abzusehen. Bedarf an Bordtechnikern gab es jedoch in den sogenannten alten Bundesländern, unter anderem in Landsberg/Lech. Einer Versetzung stand nichts im Weg. Die noch junge Familie machte sich auf nach Bayern. Hier fasste Tschauner schnell Fuß. „Ich machte meine Arbeit als Bordtechniker in der Flugvermessungsstelle“, so sagt er, genau das, was er schon immer tat und immer wollte.

Erster Kontakt mit NATO-Aufklärern
Bei einem Flugplatzfest fiel ihm ein deutscher Offizier in einer grünen Fliegerkombi auf: „Ungewöhnlich, wir kamen ins Gespräch und blieben in Verbindung.“ Ein Versetzungsgesuch zur NATO Air Base (NAB) Geilenkirchen schrieb Tschauner zeitnah. Erst hieß es, in Verkennung des Zwei-Plus-Vier-Vertrages, NVANationale Volksarmee-Soldaten dürften nicht der NATO unterstellt werden. Eine Prüfung ergab, dass diese Regelung jedoch Truppenteile und nicht einzelne Soldaten betraf. „Außerdem komme der Mann nicht aus der NVANationale Volksarmee, sondern vom königlich-bayrischen Jagdbombergeschwader“, zitiert noch heute Tschauner seinen ehemaligen Einsatzstabsoffizier, der die Versetzung nach Geilenkirchen befürwortete. Nach einer zweiwöchigen Kommandierungszeit zum gegenseitigen „Beschnüffeln“, waren sich beide Parteien einig. Tschauner wollte zu den NATO-Aufklärern und die wollten ihn. Das war 1993.

„Ich war der erste Ostdeutsche im Verband“, so der gebürtige Leipziger und ehemalige Fähnrich der NVANationale Volksarmee, und an seiner Herkunft habe sich keiner gestört. Eher das Gegenteil war der Fall. Man verstand einander, menschlich wie fachlich, weitere Ausbildungen und Qualifikationen unter anderem in Englisch, unterstützen dabei.

Gibraltar statt Silberhochzeit
Für Stabsfeldwebel Tschauner ist, wie er sagt, die 2. Staffel zu seiner zweiten Heimat, „zur Familie“, geworden. Hier sieht er seine Berufung. Hier kann er sich und seiner Fähigkeiten zum Nutzen der Luftwaffe einbringen. Dass er dabei auf mittlerweile 10.000 Flugstunden kam, brachten seine vielen Einsätze mit sich: unter anderem bei ISAFInternational Security Assistance Force, beim Internationalen Militäreinsatz in Libyen 2011, bei Resolute Support, bei Counter Daesh oder jetzt beim Schutz der Ostflanke der NATO – hinter jedem dieser Einsätze kann Tschauner einen Haken setzen und hat dazu Anekdoten auf Lager.

Wie sehr er für seinen Beruf brennt, macht er hier deutlich. So wollte er seine Silberhochzeit zünftig feiern, reichte dazu Urlaub ein und plante ein schönes Fest. Daraus wurde nichts. „An dem Termin flogen wir vor der lybischen Küste, der Einsatzbefehl kam plötzlich“, so der Flugingenieur. Sein Aircraft-Commander wusste um seine Planung, doch Techniker sind Goldstaub, auch bei AWACSAirborne Early Warning and Control System, und so musste Tschauner mit. Dafür durfte sich der um seine Silberhochzeit gebrachte Tschauner etwas wünschen. Weil sie gerade in der Nähe der spanischen Küste flogen, bat der Stabsfeldwebel darum, Gibraltar anzufliegen. Warum gerade den Affenfelsen? „Dort quert eine Straße die Start- und Landebahn, und das wollte ich mal sehen“, erklärt Tschauner in Nachhinein seinen Wunsch.

Das sein Flugstundenkonto noch weiterwachsen wird, davon ist der Portepee-Unteroffizier überzeugt. Erst kürzlich wurde seine Dienstzeit um zwei weitere Jahre verlängert. Aktuell befindet er sich mit seinem Verband in Rumänien zur Unterstützung der Verbündeten an der Ostflanke der NATO.

(red / Luftwaffe / T. Skiba)