Die Bilder des ersten Absturzes einer Boeing 787 Dreamliner gingen um die Welt. Am 12. Juni 2025 hob die mit 242 Passagieren und Besatzungsmitglieder besetzte Boeing 787-9 Dreamliner der Air India (Reg. VT-ANB) in Ahmedabad ab und sackte wenige Sekunden später zu Boden. Beim Absturz in ein dicht besiedeltes Gebiet kamen 241 Menschen an Bord ums Leben, nur ein Passagier überlebte. Auf dem Boden fanden an diesem Tag 19 Menschen den Tod, zahlreiche weitere wurden zum Teil schwer verletzt. Von den 232 Passagieren an Bord von Air India Flug 171 (Zieldestination London) reisten 215 in der Economy Class und 15 in der Business Class, zwei weitere Insassen waren Babys, sogenannte Infants - Kleinkinder unter 2 Jahren, die keinen eigenen Sitzplatz hatten, sondern bei ihren Eltern auf dem Schoß saßen.
Aufgrund des Flugverlaufes der Maschine und der akustischen Signatur (Triebwerksgeräusche) stand bald fest, dass es unmittelbar nach dem Abheben zu einem massiven Leistungsverlust an beiden Triebwerken gekommen sein musste - belegt wurde das auch durch den Umstand, dass die Ram Air Turbine (RAT), eine kleine Staudruckturbine ausfuhr, die das Flugzeug beim Ausfall beider Triebwerke mit einem Mindestmaß an elektrischer und hydraulischer Energie versorgen soll. Seither spekulierte die gesamte Branche über das WARUM für diesen doppelten Triebwerksausfall unmittelbar nach dem Abheben. Ein Vogelschlag konnte rasch ausgeschlossen werden. Nach einer ersten Analyse der Daten des Enhanced Airborne Flight Recorders (EAFR), einem Kombi-Gerät zur Speicherung der Flugparameter und der Gespräche im Cockpit, haben die indischen Unfalluntersuchungsbehörden nun ihren ersten Zwischenbericht veröffentlicht.
Daraus geht unter anderem hervor, dass der Kapitän der Maschine 56 Jahre alt und Inhaber eines Verkehrspilotenscheins (ATPL) war. Er hatte mehr als 15.600 Stunden Gesamtflugerfahrung, davon etwa 8.600 auf der Boeing 787. Als Kapitän auf der Boeing 787 war er fast 8.300 Stunden geflogen. Der Erste Offizier, der die Maschine zum Zeitpunkt des Unglücks steuerte, war 32 Jahre alt und Inhaber eines Berufspilotenscheins (CPL). Seine Flugerfahrung lag bei rund 3.400 Stunden, davon war er etwas mehr als 1.100 auf der Boeing 787 geflogen. Eine durchaus erfahrene Crew. In den Tanks befanden sich 54.200 Kilogramm Kerosin für den geplanten Flug nach London.
Bestätigt - Treibstoffzufuhr zu beiden Triebwerken unterbrochen
Im Zwischenbericht wird der totale Leistungsverlust auf beiden Turbinen des Typs General Electric GEnx-1B70/75/P2 durch die Aufzeichnungen des Flugdatenschreibers bestätigt. Der Abhebevorgang der Maschine wurde um 08:08:35 Uhr UTC durch den Ersten Offizier, der als Pilot Flying (PF) agierte, bei 155 Knoten eingeleitet. Auch die Landeklappen waren korrekt konfiguriert. Vier Sekunden später, um 08:08:39 Uhr UTC, lösten sich die Räder der 787 von der Piste. Drei Sekunden danach, um 08:08:42 Uhr UTC hatte die Boeing 787 eine Steiggeschwindigkeit von 180 Knoten erreicht - soweit alles normal. Doch in diesem Moment zeichnete der Flugdatenschreiber zunächst das Abschalten von Triebwerk Nummer und eine Sekunde später das Abschalten von Triebwerk Nummer 2 auf, womit die Maschine antriebslos war. Unmittelbar darauf - um 08:08:47 Uhr UTC - aktivierte sich die RAT zur Notversorgung der Maschine mit elektrischer und hydraulischer Energie. Im Cockpit fragte daraufhin einer der Piloten seinen Kollegen, warum er die Triebwerke abgeschaltet hatte. Der wiederum entgegnete, dass er das überhaupt nicht getan habe. In der Folge zeichnete der Flugschreiber Werte auf, die darauf schließen lassen, dass beide Triebwerke neu gestartet wurden, allerdings reichte die Zeit nicht mehr aus, damit sie genügend Leistung entfalten konnten, um den Sinkflug der Maschine zu stoppen. Um 08:09:05 Uhr UTC funkte einer der Piloten "Mayday, Mayday, Mayday", zwei Sekunden später erfolgte der Aufprall der Maschine auf dem Boden und die Aufzeichnung des Flugschreibers stoppte.
In den Trümmern des Cockpits wurden auch die Schubhebel und die sogenannten "Fuel control switches", also jene Schalter, mit denen die Treibstoffzufuhr aktiviert bzw. deaktiviert wird, gefunden. Sie sind gegen versehentliches Betätigen gesichert und standen in der Position "RUN", das bedeutet, dass die Treibstoffzufuhr (wieder) aktiviert war.
Die große Frage, welche die Ermittler nun zu klären haben, ist, ob die vom Flugschreiber aufgezeichnete Betätigung der "Fuel control switches" in die "CUTOFF"-Position für beide Triebwerke eine vorsätzliche Tat (möglicherweise in suizidaler Absicht) durch eine Person im Cockpit, ein Versehen (kaum vorstellbar, da ein Pilot keinen Grund hat, dorthin zu greifen) oder vielleicht doch ein technischer Defekt (Softwarefehler) war.
Denn bereits im Dezember 2020 hatte der Triebwerkshersteller General Electric ein sogenanntes "Service Bulletin" herausgegeben, das zuletzt am 29. Jänner 2021 aktualisiert wurde, in dem ein Austausch des "MN4"-Mikroprozessors der elektronischen Kontrolleinheit für die Treibstoffzufuhr der Triebwerke mit denen auch die Unglücksmaschine ausgestattet war, empfohlen wird. Das "Service Bulletin" wurde als "sicherheitsrelevant" erachtet.
Darin heißt es: "A loss of thrust control (LOTC) may occur." - auf Deutsch: "Ein Verlust der Schubkontrolle ist möglich". und weiter: "ENGINE FUEL AND CONTROL - Electronic Control Unit (73-00-00) - ECU Modification - Replacement of MN4 Microprocessor BGA on Main Channel Boards (MCB)". Das Service Bulletin liegt Austrian Wings vor.
Noch ist es also zu früh, festzustellen, ob eine menschliche Handlung oder ein technisches Problem zum Absturz von Air India 171 geführt hat. Die weiteren Ermittlungen werden es hoffentlich ans Licht bringen.
Text: Patrick Huber
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