Die Boeing 737-800 (TC-MCG) der privaten türkischen Fluggesellschaft Mavi Gck Airlines startete am 3. September 2025 um 17:47 Uhr UTC auf dem Flughafen Antalya. Das Ziel der Maschine mit der Flugnummer 4M 351 war der deutsche Flughafen Münster Osnabrück. Bei der Landung kurz nach 23 Uhr Lokalzeit (cirica 21 Uhr UTC) setzten die Piloten ihr Flugzeug offensichtlich erst viel zu spät auf der 2.170 Meter langen Piste auf. Als Resultat überschoss die Boeing 737 das Pistenende und beschädigte dabei Teile der Landebahnbefeuerung. Auch das Flugzeug selbst wurde leicht beschädigt. Ein zu spätes Aufsetzen auf der Landebahn wird allgemein als unprofessionelles Verhalten von Piloten gewertet, denn sobald eine Besatzung im Cockpit erkennt, dass ein Anflug nicht stabilisiert oder in anderer Weise in einer Art und Weise durchgeführt wird, die zur Folge haben könnte, dass das Flugzeug nicht wie geplant so aufsetzen wird, dass es auf der Landebahn sicher zum Stillstand gebracht werden kann, müssen die Piloten ein Durchstartmanöver einleiten. Das geschah hier ganz offensichtlich nicht. Stattdessen benutzte Mavi Gök Airlines wenige Tage nach dem Zwischenfall in einer Stellungnahme gegenüber türkischen Medien "schlechtes Wetter" als "Begründung" für den Zwischenfall. Ausreden statt kritischer Aufarbeitung eines Vorfalles, der so nicht hätte passieren dürfen und der nur mit viel Glück nicht in einer Tragödie endete.
Der Vorfall offenbart die vielen (auch kulturellen) Probleme, mit der die türkische Luftfahrt seit Jahrzehnten zu kämpfen hat und über die Austrian Wings bereits vor 8 Jahren in einem ausführlichen Kommentar berichtet hatte - "Flugsicherheit: Problemfall Türkei". Übrigens, die vor 8 Jahren in dieser Punktlandung noch als Positivbeispiel genannte Pegasus Airlines hatte in der Zwischenzeit auch einige Unfälle, zum Teil mit tödlichen Folgen, zu verzeichnen.
Doch zurück zum aktuellen Zwischenfall mit Mavi Gök Airlines in Münster-Osnabrück. Die deutsche Flugunfalluntersuchungsstelle hat Ermittlungen aufgenommen und die Flugschreiber beschlagnahmt. Vor allem die Gespräche der Piloten im Cockpit dürften für die Unfallermittler von großem Interesse sein.
Dass es nach wie vor viele Baustellen in der Sicherheitskultur der türkischen Luftfahrt gibt und sich seit dem großen Austrian Wings Investigativbericht von 2017 offenbar noch immer zu wenig geändert hat, schilderte ein in Deutschland lebender türkischer Pilot auf Nachfrage zum Mavi Gök Zwischenfall. Er bestätigte, dass die Piste zwar "kürzer als auf großen Airports" sei, aber dennoch "völlig ausreichend für eine sichere Landung mit einer Boeing 737", auch bei "schlechtem Wetter oder nasser Piste". Dann müsse man den Anflug und die Rahmenbedingungen eben entsprechend anpassen.
Der Insider ortet wiederum mögliche "kulturelle Faktoren", die zu dem Zwischenfall beitragen haben könnten. "In der türkischen Kultur gilt ein Pilot dann als ,guter Pilot', wenn er eine besonders weiche Landung hinlegt. Das kann dazu führen, dass manche Kollegen das Flugzeug lange ausflaren, um besonders sanft aufzusetzen. Bei einer eher kurzen Piste, vielleicht noch in Verbindung mit schlechtem Wetter, kann das dann aber in einem Runway-Overshoot enden. Ob das hier die Ursache war, werden aber die Ermittlungen zeigen." Doch generell gehe es in der türkisch-islamischen Kultur viel um die "Ehre" und Piloten wollen deshalb vor ihren Kollegen nicht als "Versager" dastehen, die "keine Landung hinbekommen". Ein Durchstartmanöver wird, so ist es immer wieder von progressiven türkischen Piloten zu hören, vielfach noch immer als "Schande" gesehen, dazu komme außerdem, dass die Piloten - vor allem bei kleineren Charterairlines - auch unter dem wirtschaftlichen Druck der Arbeitgeber stehen. Ein Durchstartmanöver ist teuer und könnte deshalb den Job kosten, ist hinter vorgehaltener Hand immer wieder zu hören. Zur rechtlichen Klarstellung: Es wird nicht behauptet, dass die Situation bei Mavi Gök Airlines so ist oder war, es handelt sich dabei um generelle Erfahrungsberichte von Piloten türkischer Airlines.
Ein möglicher Faktor könnte auch der Zeitpunkt des Zwischenfalls gewesen sein. Die Piloten aller türkischen Airlines, vor allem "der kleineren Chartergesellschaften", hätten eine "brutale Sommersaison" hinter sich, seien "generell total ausgelaugt und übermüdet". Denn: "Bei so gut wie allen türkischen Airlines die ich kenne wird bis an das gesetzlich erlaubte Maximum gegangen, was die Dienstzeiten anbelangt. 5 bis 6 Tage die Woche mit bis zu 14 Stunden Dienst pro Tag. Dazu kommt noch die Hitze, die enorm belastend ist."
Zudem dürften Piloten in der Türkei während der Sommersaison den Arbeitgeber nicht wechseln, was den Druck auf die Crews zusätzlich erhöhe.
Der Insider bekräftige zwar, dass man in den vergangenen Jahren bei etlichen türkischen Airlines große Anstrengungen in Sachen Crew Resource Management (CRM) unternommen habe, doch viele auf den Kulturkreis zurückzuführende problematische Verhaltensweisen seien einfach noch immer (zu) tief bei den Piloten verwurzelt. "Das dauert Jahre, bis sich hier wirklich nachhaltig etwas ändert, aber man sieht, dass die Betreiber das Problem erkannt haben", so der türkische Pilot.
Es zeigt sich einmal mehr, dass man als Passagier sehr genau darauf achten sollte, mit welchen Fluglinien man fliegt. Günstig ist nicht immer gut. Persönlich wähle ich für meine Flugreisen ausschließlich Qualitätsairlines, nach Möglichkeit solche, bei denen ich weiß, dass eine ausgesprochen gute Sicherheitskultur herrscht. Ein großer Teil der türkischen (Charter-)Airlines zählt da für mich definitiv nicht dazu, ja noch nicht einmal Turkish Airlines, denn auch deren Sicherheitsbilanz fiel in den letzten Jahren alles andere als positiv aus.
Text & Foto: Patrick Huber
Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.