Reportagen

Vor 10 Jahren - Hapag Lloyd Notlandung in Wien

Letzte Aktualisierung: 03. August 2010

 

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Die Maschine nach der Bruchlandung in Wien - Foto: Franz Zussner

Auf den Tag genau heute vor 10 Jahren, am 12. Juli 2000, ereignete sich am Flughafen Wien eine spektakuläre Notlandung eines Airbus der Hapag Lloyd. Nur einer Riesenportion Glück war es zu verdanken, dass aus dem Unfall keine Katastrophe wurde. Austrian Wings blickt zurück.

12. Juli 2000, 08:00 Uhr UTC (10 Uhr Lokalzeit), Flughafen Chania, Kreta, Griechenland: 143 Passagiere besteigen den Airbus A 310-304 mit dem Kennzeichen D-AHLB (c/n 528) der deutschen Ferienfluggesellschaft Hapag Lloyd. Nach ihrem Urlaub auf der Mittelmeerinsel freuen sie sich auf den Heimflug nach Hannover. Das Flugzeug wurde 1987 gebaut und hat bislang rund 41.300 Flugstunden sowie 13.789 „Cycles“ (Starts und Landungen) absolviert.

An Bord befinden sich 6 Flugbegleiter, der 25jährige Copilot (Gesamtflugerfahrung etwa 2.850 Stunden) und der Kapitän, Wolfgang A., 56 Jahre alt, seit 30 Jahren im Flugdienst. Bis zu diesem Tag hat er etwa 23.400 Flugstunden in seinem Flugbuch stehen. Seine bisherige Karriere ist makellos, er gilt als umsichtiger, erfahrener Flugzeugführer mit ausgezeichneten fliegerischen Fähigkeiten.

Um 08:59 Uhrt UTC, also 10:59 Uhr Lokalzeit, hebt die Maschine vom Flughafen Chania mit rund 16 Tonnen Kerosin in den Tanks ab - es gibt noch keine Anzeichen dafür, wie dramatisch der Flug enden wird.

Erste Probleme kurz nach dem Start

Kurz nach dem Start tritt dann jenes Problem auf, das am Beginn einer verhängnisvollen Ereigniskette stehen wird - das Fahrwerk lässt sich nicht vollständig einfahren.

Während des Einfahrvorganges des Hauptfahrwerks bleiben sowohl die rote "gear unsafe" Lampe als auch die rechte gelbe "gear door open" Lampe erleuchtet. Gemäß den Standardverfahren steuert der Kapitän den A 310 manuell, während der Copilot in seiner Funktion als assistierender Pilot die ECAM-Checkliste für die so genannte "Abnormal L/G indication" (Abnormale Fahrwerkanzeige, Anm. d. Autors) abarbeitet. Das Fahrwerk wird nun erfolglos je zwei Mal auf den unterschiedlichen Detektorkreisen betätigt.

In der ausgefahrenen Position signalisierten alle drei grünen "gear down lights", dass das Fahrwerk ausgefahren und verriegelt ist, während in der eingefahrenen Position weiterhin die rechte gelbe "gear door open" und die rote "gear unsafe light" das nicht korrekte Einfahren anzeigt. Entsprechend einer Empfehlung von Airbus Industries ruft der Copilot auch das Kapitel "abnormal and emergency procedures", einer erläuternden Checkliste, welche die ECAM-Liste ergänzt, auf.

Der Weiterflug mit teilweise eingefahrenem Fahrwerk wird aufgrund der Hindernisfreiheit im Steigflug und der daher nicht beeinträchtigenden Reduktion der Steigleistung nicht in Betracht gezogen.

Treibstoff reicht nicht bis Hannover

Alles in allem scheint dies kein großes Problem darzustellen. Lediglich das geplante Flugziel, Hannover, wird man aufgrund des durch den Luftwiderstand des ausgefahrenen Fahrwerks erhöhten Treibstoffverbrauches nicht erreichen können.

Während der Kapitän das Flugzeug fliegt und den Kontakt mit der Flugsicherung aufrecht erhält, versucht der Copilot , die Betriebsleitung der Hagag Lloyd zu erreichen um sie über das Problem zu informieren.

In dieser Zeit erreichte der A 310 eine Fluggeschwindigkeit von 240 Knoten und eine Flughöhe von 31.000 Fuß.

Nachdem die Verbindung erfolgreich hergestellt ist, übernimmt der Copilot die Funktion des „Pilot Flying“ und den Kontakt mit der Flugsicherung. Der Kapitän bespricht mit der Hapag Lloyd Bodenstelle mögliche Lösungsszenarien.

Rund 40 Minuten nach dem Start erhält die Crew über ACARS folgende Meldung: „PLS TRY RECALC TO DEST STR IN STR WAERE FUER GAESTE A310 FUER WEITERFLUG SOFORT VERFUEGBAR. PLS ADV“, also die Aufforderung an die Besatzung, zu überprüfen, ob der Treibstoff bis zum Flughafen Stuttgart reicht.

Genug Sprit für München an Bord - laut Computer

Vier Minuten später teilt die Besatzung der Flugleitzentrale mit, dass man München anfliegen wird.

Der Kapitän berechnet, dass bei der Ankunft in München eine Resttreibstoffmenge von 3,3 Tonnen in den Tanks sein wird. Vollkommen ausreichend. Ein Gegencheck durch den Copiloten ergibt einen ähnlichen Wert, nämlich 3 Tonnen.

Bei allen Treibstoffberechnungen verlassen sich die Piloten auf den Bordcomputer, das so genannte „Flight Management System“, zwei kleine Computer auf der Mittelkonsole. Ein Fehler, denn sie berücksichtigen bei der Kalkulation nicht den erhöhten Luftwiderstand, den das Fahrwerk verursacht. Sie wissen nicht, dass Flug HF 3378 den Flughafen München niemals erreichen wird.

Flight Management System, kurz FMS - Foto: NASA

Um 09:53 UTC übermittelte die Flugleitzentrale des Unternehmens über ACARS folgende Nachricht: „in case of problems with fuel calc to MUC div to VIE...".

Treibstoffverbrauch um 60 Prozent über Flugplan

Da der Bordcomputer (FMS) die bei der Landung in München zu erwartende Resttreibstoffmenge stetig nach unten revidiert, entscheidet sich der Kapitän nun, die österreichische Hauptstadt Wien anzufliegen. Das FMS wiegt ihn in Sicherheit - 2,6 Tonnen Sprit sollen bei der Landung in Wien noch in den Tanks sein.

57 Minuten nach dem Start führt der Copilot erstmals eine manuelle, schriftliche Berechnung des Treibstoffverbrauchs durch und bekommt offenbar erste Zweifel - die Hälfte des Sprits, 8,4 Tonnen, sind bereits aufgebraucht, womit der Kerosinverbrauch um rund 60 % über dem Flugplan liegt.

Er konsultiert daraufhin eigenverantwortlich das Kapitel 21 des Flugbetriebshandbuches "special ops-flight with landing gear down" um zusätzliche Informationen für einen Flug mit ausgefahrenem Fahrwerk und den daraus resultierenden erhöhten Kraftstoffverbrauch zu erhalten, was er auch seinem Kapitän mitteilt. Dieser unterbricht seinen Ersten Offizier jedoch mit dem Hinweis, dass dieses Kapitel lediglich der Flugvorbereitung diene.

Um 10:22 Uhr UTC erreicht Flug HF 3378 über den Meldepunkt „RETRA“ das Fluginformationsgebiet Belgrad. Der zuständige Fluglotse weist der Hapag Lloyd Maschine automatisch die kürzeste Route nach Wien zu. Die Besatzung überprüft - erneut über das FMS - den Treibstoffverbrauch: 2,6 Tonnen Restsprit bei der Ankunft in Wien. Ausreichend, so ihr Befund.

Über ACARS werden die Wetterdaten für Agram (Zagreb), Graz, Wien und München eingeholt. Auf allen drei Flughäfen herrscht gutes Wetter. Etwa 50 Minuten vor der errechneten Landezeit in München informiert der Kapitän nun die Kabinenbesatzung über das neue Flugziel und weist die Flugbegleiter an, das Passagierservice zu reduzieren.

Noch ahnt niemand der 151 Menschen an Bord des A 310 dass ihnen in rund 1 Stunde die wohl dramatischten Momente ihres Lebens bevorstehen werden.

Immer weniger Kerosin in den Tanks - Ausweichlandung jetzt eigentlich Vorschrift

Nur zwölf Minuten später, um 10:34 Uhr UTC, fällt im Cockpit die Anzeige auf dem FMS für die bei der Ankunft in Wien zu erwartende Resttreibstoffmenge plötzlich auf unter 1,9 Tonnen. Laut internen Vorschriften hätte spätestens jetzt die Landung auf dem nächstgelegenen Flugplatz erfolgen müssen.

Die kroatische Hauptstadt Agram (Zagreb) befindet sich zu diesem Zeitpunkt etwa 10 Minuten entfernt. Die Besatzung reagiert nicht, setzt ihren Flug nach Wien fort, nichtsahnend, dass sich die Situation nun rasant verschlechtern würde.

Besatzung ersucht um kürzeste Verbindungen

Neun Minuten später erfolgt die Kontaktaufnahme mit der Flugsicherung in Agram (Zagreb), wobei die Besatzung ausdrücklich einen Direktflug zum VOR Sollenau, etwa 50 Kilometer südlich von Wien verlangt, aus „betrieblichen Gründen“.

Die Crew von HF 3378 verlangt nun wiederholt Direktflüge, sogar einen Direktanflug auf das äußere Markierungsfeuer der Piste 34 in Wien quer durch den Budapester Luftraum. Aufgrund der technischen Probleme an Bord stimmt die Flugsicherung um 10:54 Uhr schließlich zu.

Nur eine Minute zuvor hatte die Besatzung gemeldet, dass sie nach Graz ausweichen müssten, wenn sie keine Freigabe für einen Direktanflug erhalten würden.

Um 10:55 Uhr übergibt die kroatische Flugsicherheit an die Wiener Kollegen, und der abermals verlangt Hapag Lloyd 3378 absolute Priorität, anderenfalls müsse eine Notlage erklärt werden.

Doch noch immer geht der Kapitän davon aus, Wien - knapp aber doch - erreichen zu können. Rund 144 nautische Meilen (etwa 270 Kilometer) vor der Landebahn beginnt der A 310 seinen Sinkflug aus 31.000 Fuß ( ca. 9.500 Meter) Flughöhe.

Der Treibstoffvorrat nimmt rapide ab; bei 1,9 Tonnen Kerosin in den Tanks weist der Copilot seinen Kommandanten auf diesem Umstand hin. Spätestens jetzt müsste über Funk eine Notlage erklärt werden. Doch der Kapitän lehnt ab. Wenig später versucht es der Copilot erneut. Vergeblich.

Besatzung erklärt Notlage - Copilot schlägt sofortige Landung in Graz vor

Um 11:07 Uhr endlich erklärt die Besatzung einen Notfall, meldet allerdings zugleich, dass man Wien erreichen werde.

Zwei Minuten später, das Flugzeug befindet sich im Sinkflug auf 17.000 Fuß, schlägt der Copilot eine Landung in Graz vor, das zu diesem Zeitpunkt gerade mit der noch in den Tanks befindlichen Spritmenge erreichbar wäre. Der Kapitän lehnt ab und versteift sich auf Wien.

Besatzung über hohen Treibstoffverbrauch irritiert

Um 11:12 Uhr äußert sich der Kapitän verwirrt über die Situation und diskutiert mit seinem Ersten Offizier über die rasche Zunahme des Treibstoffverbrauchs. Im Laufe dieser Diskussion weist der Copilot darauf hin, dass der Bordcomputer, also das Flight Management System, den zusätzlichen Luftwiderstand durch das ausgefahrene Fahrwerk bei den Berechnungen nicht berücksichtige, was vom Kapitän mit der Begründung, dass die Kalkulation bis Agram (Zagreb) ja gestimmt habe, verworfen wird. Doch der Copilot lässt sich nun nicht mehr beirren und wiederholt seine Ansicht gegenüber dem mehr als doppelt so alten und erfahrenen Kapitän.

Dennoch, auch dem Kapitän dämmert nun, dass der Treibstoff womöglich nicht mehr bis Wien reichen wird. Er beschließt, das Ausfahren der Vorflügel bis zum letzten Moment aufzuschieben, um den Luftwiderstand und damit den Treibstoffverbrauch so gering wie möglich zu halten.

Um 11:19 Uhr - eine Viertelstunde vor dem Crash - beendet die Kabinenbesatzung das Bordservice und nimmt ihre Plätze ein. Die Cockpittüre wird bewusst offengelassen um die Kommunikation mit den Flugbegleitern zu vereinfachen.

Vier Minuten später, noch 11 Minuten bis zum Crash - der Kapitän ordnet an, im Falle eines Triebwerksausfalles den Anflug ohne Klappen fortzusetzen, um Treibstoff zu sparen.

Großalarm am Flughafen - Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste rücken aus

Um 13:10 Lokalzeit, also 11:10 UTC, wurde die Verkehrsinspektion Schwechat von einer bevorstehenden Notlandung in Kenntnis gesetzt und der so genannte Alarmring ausgelöst.

Fünf Minuten später, um 13:15 Uhr Lokalzeit (11:15 UTC) wurde Crash Alarm gegeben, die Flughafenfeuerwehr sowie die Freiwilligen Feuerwehren der Gemeinden Schwechat Mitte, Rannersdorf, Mannswörth, Fischamend, Schwadorf, Kleinneusiedl, Himberg, Rauchenwarth, Ebergassing, Enzersdorf und Gallbrunn rückten zum Flughafen bzw. zur Piste 34 aus.

Das Rote Kreuz Schwechat entsandte mehrere Krankentransport- und Rettungswagen sowie seinen Notarztwagen. Zusätzlich wurden von der Berufsrettung Wien ein Notarzteinsatzfahrzeug, die Züge 3, 4 und der Notarzthubschrauber Martin 3 alarmiert und in Marsch gesetzt.

Die Polizei entsandte das Verkehrsunfallkommando Schwechat und sämtliche abkömmliche Kräfte der Einsatzabteilung KRANICH. Der Polizeidirektor von Schwechat, Leo Lauber, sprach gegenüber Austrian Wings von 40 bis 45 Exekutivbeamten, die "in unmittelbarem Zusammenhang mit dem Flugunfall beschäftigt" waren. Dazu kamen drei Hubschrauber der Flugpolizei.

In Wien, Schwechat und den Anrainergemeinden des Flughafens lag das Geheul der Sirenen der Einsatzfahrzeuge in der Luft, die auf schnellstem Weg zum Flughafen unterwegs waren. Die Bewohner sind verwundert, haben ein ungutes Gefühl. Eine Anrainern zu Austrian Wings: "Ich dachte, irgendetwas ganz Schlimme ist passiert. So viele Sirenen auf einmal, das war nicht normal. Und kurz darauf war das von der Notlandung schon in allen Nachrichten."

Acht Minuten vor der Landung - im Cockpit überschlagen sich die Ereignisse, beide Triebwerke vom Typ General Electric CF6-80C2A2 fallen aus

Ab 11:26 Uhr überschlagen sich die Ereignisse im Cockpit, als die Warnung über den Druckabfall an der rechten äußeren Treibstoffpumpe aufleuchtete. Unmittelbar darauf heulen mehreren Warnsirenen, die Triebwerke 1 und 2 fallen hintereinander aus.

Mayday!

Der Erste Offizier setzt den Notruf „Mayday“ über Funk, während der Kapitän eine Ansage an Passagiere und Kabinenbesatzung macht, sich auf eine Notlandunng vorzubereiten. Noch etwas mehr als 20 Kilometer bis zur rettenden Landebahn.

Dem Copiloten gelingt es unterdessen, die Triebwerke wieder anzulassen, doch bereits um 11:29:30 versagt Nr. 1 erneut den Dienst, 30 Sekunden später folgt Nummer 2.

Aus dem tonnenschweren Airbus A 310 ist ein Segelflugzeug geworden. Die Bildschirme im Cockpit sind schwarz, die Besatzung hat nur noch die Notinstrumente. Die Steuerung ist schwer und nur noch eingeschränkt möglich.

Die Piloten haben die rettende Piste zum Greifen nahe vor ihren Cockpitscheiben und werden sie trotzdem nicht erreichen.

Endlage des Wracks am Flughafen Wien - Foto: Verkehrsministerium / Offizieller Unfalluntersuchungsbericht

Die Landung

Um 11:34 Uhr UTC, 13:34 Uhr Lokalzeit in Wien, berührt der A 310 erstmals mit dem linken Tragflächenende etwa 660 m vor der Befestigung der Piste 34, ca. 10 m rechts der Mittellinie.

Durch das kollabierte Fahrwerk und den teilweise starken Wind, waren die Notrutschen teilweise unbrauchbar - Foto: Franz Zussner

In der Folge setzt das linke Fahrwerk auf, welches nach 22 Metern kollabiert, woraufhin sich der Airbus auf dem linken Triebwerk und dem rechten Hauptfahrwerk weiterbewegt und das Bugfahrwerk nur von Zeit zu Zeit aufsetzt. Die Maschine schlittert in dieser Lage weiter, beschädigt dabei die Lichter der Anflugbefeuerung und die Antennen des ILS, bis sie nahe dem südlichsten Rollweg zur Piste 34 zum Stillstand kommt.

Reste der ILS Antennen der Piste 34 im linken Triebwerk des A 310 - Foto: Marcus Weigand

Keine Toten, 26 Leichtverletzte bei Evakuierung

Der Kapitän ordnet umgehend die Evakuierung an, die von der Kabinenbesatzung durchgeführt wird. Aufgrund des starken Windes und der extremen Schräglage, resultierend aus dem kollabierten linken Hauptfahrwerk, verletzen sich 26 der Passagiere bei der Evakuierung leicht.

Glücklicherweise brach kein Feuer aus - Foto: Marcus Weigand

Sie werden umgehend von den vor Ort befindlichen Einsatzkräften betreut, die Feuerwehr baut einen Brandschutz auf.

Betreuung auch durch Austrian Airlines

Da Hapag Lloyd über kein eigenes Personal in Wien verfügt, übernimmt das „Emergency Response Team“ der Austrian Airlines die Versorgung der Passagiere, ermöglicht ihnen Telefonate mit Angehörigen und organisiert Weiterreisemöglichkeiten. Rund 60 Passagiere entschieden sich für die Weieterreise mit einem Ersatzflugzeug, der Rest wurde mit Bussen zum Westbahnhof gebracht.

Einsatzkräfte rund um die verunglückte Maschine; viele Passagiere dachten "Das war's", so eine Reisende im anschließenden Gespräch mit den Medien - Foto: Marcus Weigand

Die Piste 34 des Flughafens ist bis auf weiteres gesperrt. Über dem Burgenland befindet sich derweil der Boeing 767-400 Demonstrator von Boeing mit dem damaligen Pressechef des Wiener Flughafens und zahlreichen Journalisten, unter ihnen der internationale Luftfahrtjournalist und Austrian Wings Mitarbeiter Franz Zussner, in der Warteschleife:


Beschädigungen auf der linken Rumpfseite - Fotos: Archiv, Privataufnahmen (herzlichen Dank!)

„Wir erfuhren, dass in Wien eine Notlandung stattgefunden hat und wir deshalb nicht landen können, weil die Piste gesperrt sei. Nach einiger Zeit konnten wir dann auf der Piste 29 runter und wurden anschließend gleich zur Unfallstelle gebracht. Ein Wunder, dass es keine Toten oder Schwerverletzten gegeben hat.“

Blick aus dem Fenster des verunglückten A 310 - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)
Bedingt durch das kollabierte linke Hauptfahrwerk ragte der Rumpf steil nach oben, was die Evakuierung erschwerte - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)

Ursachen des Unfalls und Konsequenzen

Nachdem die Unfallermittler die Bestandsaufnahme direkt an der Unfallstelle abgeschlossen hatten, wurde der Airbus in den Tagen nach der Notlandung mit Hilfe der Flughafenfeuerwehr vor den AUA Hangar geschleppt um die Piste 34 wieder für den Flugbetrieb öffnen und mit den Reparaturen an der Pistenbefeuerung sowie am Instrumentenlandesystem beginnen zu können.

Abtransport des A 310; im Hintergrund eine landende Boeing 737 der Tarom - Foto: Marcus Weigand

Vor dem AUA Hangar wurde fieberhaft nach der technischen Ursache für das Fahrwerksproblem gesucht, während ein anderer Teil der Ermittler damit beschäftigt war, herauszufinden, wie es einer so erfahrenen Crew passieren konnte, dass ihnen der Treibstoff ausgegangen war.

Flughafenfeuerwehr und eine Wiener Firma meisterten die Aufgabe, das Wrack zu bergen und zur AUA-Technik zu transportieren - Foto: Marcus Weigand

Als Ursache für das Versagen des rechten Hauptfahrwerks beim Einfahrvorgang stellten die Ermittler schließlich fest, dass beim letzten Zusammenbau des Betätigungszylinders ein Sicherungsring nicht im Eingriff mit der Kolbenstange war. Deshalb hatte sich die damit zu sichernde Mutter nach ca. 2.000 Landungen soweit gelockert, dass sie die „Arbeitslänge“ um ca. 10 mm verlängert hatte, weshalb das Fahrwerk nicht mehr „gänzlich in die obere Verriegelungsposition eingefahren werden konnte.“

Dies erklärte aber immer noch nicht, weshalb der Flug dermaßen dramatisch geendet hatte. Auf der ganzen Strecke über waren zahlreiche Ausweichflughäfen vorhanden, die von der Besatzung problemlos hätten erreicht werden können.

Der offizielle Unfalluntersuchungsbericht des Österreichischen Verkehrsministeriums wirft der Besatzung folgende Punkte vor:

  • Nichteinhaltung der Unternehmensvorschriften bezüglich Treibstoffreserven, hervorgerufen durch mehrere Humanfaktoren, wobei extreme Arbeitslast und Stress die wesentlichsten Faktoren dargestellt haben (loss of situational awareness).
  • Ausschließliche Ermittlung der Treibstoffreserven mit dem FMS, das aufgrund seiner Systemcharakteristik den Mehrverbrauch nicht berücksichtigte.
  • Fehlende Entwicklung von Alternativstrategien zur Eindämmung des Treibstoffproblems.
  • Nichtbeachtung einer von den Flugzeugsystemen generierten Kraftstoffwarnung (fuel low level warning) und Entscheidung zur Fortsetzung des Fluges zum Zielflughafen Wien, obwohl sich das Flugzeug in unmittelbarere Nähe des Flughafen Zagreb befand.

Kritik übte die Untersuchungskommission allerdings auch am Hersteller, der Firma Airbus:

  • Unzureichende und irreführende Dokumentation (Schema FMS, Flughöhe, Begriffe) für diesen speziellen Fall, insbesondere in Bezug auf die Beschränkung des FMS.

sowie an Hapag Lloyd:

  • Unzureichende Dokumentation im Punkt „abnormal landing gear up indication“ der abnormal checklist.
  • Fehlende Überprüfung des Treibstoffbedarfs durch die Flugdienstberatung.

Dazu beigetragen haben:

  • Fehlende oder nicht adäquate Präventivmaßnahmen seitens Hersteller, Zulassungsbehörde und Luftfahrtunternehmen bezüglich der bisherigen Publikationen von ICAO und EU DG VII zu Problemen, welche mit der Einführung von Flugzeugen, die mit modernen Technologien ausgestattet sind, aufgetreten und aufgezeigt worden waren.
  • Anthropotechnische Konstruktionsdefizite, welche eine Fehlinterpretation der FMS EFOB Anzeige begünstigen.

Kette von Fehlern - Hauptverantwortung bei der Besatzung

Die Ermittler rekonstruierten also eine ganze Kette von kleinen Fehlern und Punkten, die sich schließlich akkumuliert und zum Unglück geführt hatten.

Allein, die Hauptverantwortung lag trotz allem bei der Cockpitbesatzung und hier insbesondere beim Kapitän.

Sie hätte sich nicht ausschließlich auf die Berechnungen des Flight Management Systems verlassen dürfen, sondern manuelle Berechnungen zur Überprüfung des Treibstoffvorrates- und Verbrauchs anstellen müssen.
Als der Treibstoffverbrauch weiter sank und die kroatische Hauptstadt in unmittelbarer Reichweite war, hätte die Landung erfolgen müssen, spätestens jedoch in Graz.

Genau dies hatte der Copilot vorgeschlagen, ebenso seinen Kommandanten immer wieder auf die Treibstoffknappheit und darauf, dass das FMS nicht korrekt arbeitete, hingewiesen. Er durfte daher nach verhältnismäßig kurzer Zeit in den Flugdienst zurückkehren.

Kapitän von Gericht verurteilt

Nicht so der Kapitän mit der bis dahin so makellosen Karriere. Er verlor seine Fluglizenz und wurde am 11. Mai 2004 von einem Gericht in Hannover wegen „Gefährlichen Eingriffs in den Luftverkehr“ zu einer bedingten Haftstrafe von sechs Monaten verurteilt. Hapag Lloyd schickte den 59jährigen Wolfang A., der fast 40 Jahre lang unfallfrei geflogen war, in den vorzeitigen Ruhestand.

"Wenn sich so eine dramatische Situation abzeichnet, kann man sich nicht allein auf die Technik verlassen", so Richterin Bürgel.

Im Gerichtsverfahren kam auch der ehemalige Hapag Lloyd-Flottenchef, Eckhart Federhehn zu Wort, der es „bar jeder fliegerischen Vernunft“ nannte, dass der Kapitän trotz der Warnung seines Copiloten weder Agram (Zagreb) noch Graz angesteuert hatte als der Sprit zu neige ging.

Der geladene Sachverständige, Christian Heinz Schubert konstatierte als wahrscheinlichste Ursache für das Verhalten des Kapitäns den „Tunnelblick“ - "Wenn man in Stress kommt, kann es passieren, dass man sich auf einen Punkt fixiert. Das ist einfach menschlich."

Nach dem Urteil kündigte der Verteidiger zunächst an, „wahrscheinlich“ in die Berufung zu gehen. Später wurden die Rechtsmittel zurückgezogen, das Urteil damit rechtskräftig.

Das Flugzeug

Der verunglückte A 310-304 war nach der Bruchlandung ein wirtschaftlicher Totalschaden in Höhe von rund 20 Millionen US-Dollar. Bereits einen Tag nachdem es von der Flughafenfeuerwehr vor den Hangar der AUA Technik geschleppt worden war, wurden die Hapag Lloyd Logos entfernt und das Flugzeug schließlich weiß übermalt.

Zunächst wurden lediglich das Logo und der Schriftzug "Hapag Lloyd" entfernt, später folgte dann auch die restliche Bemalung; die beiden Bilder oberhalb zeigen die Maschine Ende August 2000 - Fotos: Thomas Posch
Das Unglücksflugzeug Ende September 2000 vor der AUA-Technik am Flughafen Wien - Foto: Thomas Posch

Ein üblicher Vorgang, schließlich ist ein beschädigtes Flugzeug keine gute Werbung für eine Airline.

Das US-Unternehmen Flight Direcator, das auf die Verwertung von Flugzeugteilen spezialisiert ist, kaufte die Maschine, registrierte es in den USA als N528FD, und schlachtete den A 310 bis Januar 2001 aus.

Nur knapp ein halbes Jahr nach der Notlandung war der Airbus Geschichte - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)

Die nicht verwertbaren Teile wurden verschrottet.

Als wirtschaftlicher Totalschaden wurde die Maschine nach Ausbau aller noch brauchbaren Teile verschrottet - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)
Ein Teil des Rumpfes fehlt bereits - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)

 


Trauriges Ende für den A 310 - Fotos: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)


Die Überreste des Cockpits, in dem eine Kette von Fehlentscheidungen zum Unfall geführt hatte - Foto: Archiv, Privataufnahme (herzlichen Dank!)

Die österreichische Untersuchungskommission schloss ihren Bericht mit einer Reihe von Sicherheitsempfehlungen an Betreiber und Hersteller des A 310:

Luftfahrzeughersteller (Airbus)

  • Trotz des Umstandes, dass das Verfahren des Zusammenbaus des Betätigungszylinders im Component Maintenance Manual (CMM) ausführlich beschrieben ist, sollte in diesen Anweisungen ein Hinweis auf den korrekten Eingriff der Sicherung in der Kolbenstange enthalten sein.
  • Verbesserung der FMS EFOB oder ECAM Anzeigen, um den anthropotechnischen Anforderungen besser zu entsprechen.
  • Bereitstellung der erforderlichen Treibstofftabellen und/oder Berechnungsalgorithmen für den gesamten Einsatzbereich (Computerprogramme).
  • Klarstellung und übersichtlichere Gestaltung des Kapitels 21 mit Relevanz zum Flug mit ausgefahrenem Fahrwerk, um Widersprüchlichkeiten und Fehlinterpretationen zu vermeiden.
  • Überprüfung der Auslegung der Notrutschen in bezug auf Windverträglichkeit und ungewöhnliche Flugzeuglagen

Betreiber (Hapag Lloyd)

  • Erweiterung des LOFT mit Treibstoffszenarien, welche die Betriebsgrenzen des FMS beinhalten und strategische Entscheidungen der Cockpitbesatzung unter Anwendung anderer Berechnungsmethoden erfordern zur Vermeidung der Ausprägung von Methodizismen.
  • Anwendung der im Annex 6 und auch im Quality Manual vorgesehenen Unterstützung von Cockpitbesatzungen durch den Flugdienstberater.
  • Vervollständigung der Prüfliste für „Landing gear unsafe indication“ um den vom Hersteller publizierten Punkt: „fuel consumption determine“.
  • Fortlaufende Überprüfung der Vollständigkeit der Borddokumentation hinsichtlich der verfügbaren Anflugverfahren.
  • Schulung des operationellen Personals nach dem von ICAO im Human Factors Digest Nr. 3 empfohlenen Human Factors Limitation Curriculum im Ausmaß von 35 Stunden.
  • Verbesserung des CRM Trainings hinsichtlich Durchsetzungsmögen, Kommunikation, Akzeptanz, Kritik, Feedback, sowie der Indikatoren für den Verlust des Situationsüberblicks und deren Gegenstrategien.
  • Aufzeigen der Grenzen des FORDEC Prinzips (z.B. im Falle des Maskierungseffekts der Faktenerhebung).
  • Berücksichtigung abnormaler Flugzeugkonfiguration bei der Berechnung der „final reserve“.

Betreiber und Hersteller

  • Verbesserung der Dokumentation, Schulung und Training hinsichtlich der Funktionsweisen und Betriebsgrenzen des FMS.

 

Epilog

Seit der dramatischen Notlandung von Hapag Lloyd 3378 in Wien sind nunmehr 10 Jahre vergangen. Der Unfall wirkte indirekt auch als Katalysator für den Bau des neuen Kontrollturmes in Wien Schwechat, da vom alten Tower aus die Unfallstelle am Beginn der Piste 34 gar nicht eingesehen werden konnte.

Es war dies der einzige Flugzeugtotalverlust in der Geschichte von Hapag Lloyd, und ein ähnlicher Vorfall hat sich seither bei keiner deutschen oder europäischen Fluggesellschaft mehr wiederholt.

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Text: CvD
Fotos: Franz Zussner, Marcus Weigand, Thomas Posch, privat