Punktlandung

Letzer Ausweg Notausstieg? - Ein Interview mit Tim van Beveren

Die Luftfahrt zählt zu den sichersten Formen der Fortbewegung. Um diese Sicherheit gewährleisten zu können, gilt es naturgemäß, einige im Ernstfall lebensrettende Maßnahmen zu beherzigen. Hinsichtlich der Notausstiegstüren kommt dabei auch den Fluggästen ein Höchstmaß an Veantwortung zu - sie müssen, wenn sie in einer Exit Row sitzen, in der Lage sein, den Notausstieg rasch zu öffnen, um so die schnelle Evakuierung einer Unglücksmaschine mit zu gewährleisten. Um dies sicherstellen zu können, ist es wichtig, dass an den betreffenden "Emergency Exits" ausschließlich Personen sitzen, die in der Lage sind, im Notfall rasch einzugreifen.

 

 

Da diese die Notausstiegsreihen einen etwas größeren Sitzabstand aufweisen, wurde es bei immer mehr Airlines gang und gäbe, dies als findige Marketing-Idee auszuschlachten. Anstatt sorgfältiger Selektion am Check-In-Schalter durch ausgebildetes Airline-Personal kann sich nun jedermann den kleinen Luxus vom größeren Sitzabstand in der "Exit Row" schon vorab kaufen - Internet und Web-Check-In machen's möglich.

Austrian Wings sprach mit Pilot Tim van Beveren (Foto oben), einem international anerkannten Fachjournalisten für Luftfahrt, Gutachter und Berater in aviatischen Sicherheitsfragen.

 

Austrian Wings: Herr van Beveren, wie bewerten Sie die zunehmend an Popularität gewinnende Praxis, Sitzplätze in der „Exit Row“ gegen Bezahlung bzw. sogar gegen Aufpreis zu vergeben?

Tim van Beveren: Ein enormer Schmarrn, wie man in Österreich sagt. Das ist nicht nur gefährlich, sondern absoluter Blödsinn. Diese Plätze sind für Leute vorgesehen, die in der Lage sind, eine solche Notausstiegstüre auch zu öffnen. Wenn man diese Plätze nun im Vorfeld verkauft, kann man dies nicht mehr sicherstellen, weil man ja nicht mehr weiß, wer der Passagier ist, dem man diesen Sitzplatz verkauft hat - man verliert also die Kontrolle darüber. Wenn ein Fluggast sich über das etwas bessere Platzangebot in der Exit Row freut, jedoch beispielsweise Träger eines Herzschrittmachers ist oder eine Schwangerschaft vorliegt, was passiert dann? Der Passagier hat ein Recht auf diesen Sitzplatz, da er ihn ja bezahlt hat. Da sind Diskussionen vorprogrammiert, die auf dem Rücken der Flugbegleiter ausgetragen werden, wenn diese feststellen, dass etwa eine gebrechliche Person am Notausstieg sitzt, der nach geltenden Sicherheitsstandards sofort ein anderer Platz zugewiesen werden muss. Will man dann gleich an Ort und Stelle den vom Passagier eventuell entrichteten Mehrpreis zurückerstatten? Eher aber ist zu befürchten, dass die betreffenden Airlines ihre Flugbegleiter sogar anweisen, es in solchen Fällen einfach auf sich beruhen zu lassen und ein Auge zuzudrücken. Und das wird, wie wir aus Erfahrung wissen, nur so lange gut gehen, bis es zu einem schwerwiegenden Vorfall kommt und Leute ums Leben kommen, weil die Türen nicht geöffnet werden konnten. Es scheint leider die fürchterliche Tendenz zu geben, "lange ist nichts passiert, alles ist wunderbar" - und jetzt kommen irgendwelche wild gewordenen Management-Akrobaten auf die Idee, hier eine neue Marketingidee zu entdecken. So etwas hätte ich persönlich nur dem etwas verqueren Herren aus Irland zugetraut, der ja auch schon die Idee hatte, mit Stehplätzen zu fliegen oder Co-Piloten abzuschaffen. Da gehört so eine Schnapsidee hin, aber nicht zu einer renommierten Airline. Ich finde das schockierend.

Austrian Wings: Welche Mindestanforderungen sind an einen Fluggast in der Exit Row zu stellen?

Tim van Beveren: Der Passagier muss zum einen kräftig sein, denn so eine Türe wiegt einiges. Jeder, der einmal versucht hat, so eine Türe aufzumachen und diese dann in den Händen gehalten hat, war sehr verblüfft - das Ding sieht leicht aus, wiegt jedoch eine Menge. Darüber hinaus muss man auch verstehen und wissen, wie so eine Notausstiegstüre zu öffnen und anschließend zu verfahren ist. Untersuchungen der FAA haben gezeigt, dass man auf den Plätzen im Bereich der Overwing Area bzw. über dem Haupttank nur dann eine nennenswerte Überlebenschance hat, wenn man es schafft, den Notausstieg binnen sieben Sekunden nach dem Impact zu öffnen. Danach fängt es, wenn Sprit im Tank ist, meist zu brennen an. Das alleine ist schon ein Wettlauf gegen die Zeit. Wenn man dann noch jemanden beim Notausstieg hat, der sich erst einmal orientieren muss und zu überlegen beginnt, wie die Türe zu öffnen ist, kann diese Verzögerung bedeuten, dass Fluggäste nicht rasch genug in Sicherheit gebracht werden können. Gerade im Overwing Bereich ist das sehr kritisch - und genau daher rührt ja auch die Anweisung, dass nur geeignete Personen an den Notausstiegen sitzen dürfen. Ich frage mich, ob es wohl in Amerika auch so ist, dass diese Sitzplätze regulär verkauft werden, denn ich weiß, dass bei den US-Airlines die Flugbegleiter mit Argusaugen darüber wachen, wer an den Notausstiegen sitzt.

Austrian Wings: Wie sollten Fluglinien sicherstellen, dass nur körperlich und geistig geeignete Passagiere in den Exit Rows Platz nehmen können? Ist der kurze, oft ausschließlich visuelle Kontakt durch einen Mitarbeiter am Gate bzw. beim Boarding ausreichend?

Tim van Beveren: Vor der Zeit des Internet-Check-In wurden die Notausstiegsplätze am Check-In-Schalter zugeteilt. Der Passagier wurde entsprechend hingewiesen und auch das Schalterpersonal kam damals direkt von der Airline und nicht von irgendwelchen Fremdfirmen. Man hat die betreffenden Passagiere nach deren Eignung ausgewählt. Der zweite Sicherheitsfaktor ist die Kabinencrew beim Boarding. Es ist in deren eigenem Interesse, sicherzustellen, dass die Notausgänge mit Passagieren besetzt werden, die in der Lage sind, der Crew im Notfall zu assistieren. Das wird besonders bei den britischen Airlines sehr genau genommen, es werden dort auch die betreffenden Personen durch das Kabinenpersonal nochmals persönlich angesprochen. Wenn man aber nun diese Sitzplätze wahllos verkauft, gibt es das Kontrollsystem in dieser Form nicht mehr.

 

Overwing Exits: lebensrettend, wenn rasch und richtig bedient - Foto: Austrian Wings Media Crew

 

 

Austrian Wings: Denken Sie, dass den Passagieren in den Exit Rows die ihnen im Notfall zukommende Verantwortung durch die Airlines in ausreichendem Maßen kommuniziert wird?

Tim van Beveren: Nein. Das wird ja von den Airlines geflissentlich heruntergespielt. Die Sicherheitsanweisungen, welche vor dem Flug pflichtgemäß vorgeführt werden, sind ja eine Verharmlosung des Zustandes, der im Ernstfall eintritt. Denken wir an die Floskel, "Im höchst unwahrscheinlichen Fall eines Druckverlustes in der Kabine..." - dieser Fall ist nicht "höchst unwahrscheinlich"! Wenn er so höchst unwahrscheinlich wäre, bräuchte man das ganze Zeug, Sauerstoffmasken und anderes Equipment, an Bord nicht mitzuführen. Es ist nun einmal möglich, dass ein Notfall passiert, und dann kommt es auf jede Sekunde an. Denken wir doch gerade an die jetzigen winterlichen Witterungsverhältnisse - ein Flieger kann über die Bahn hinaus rutschen, kollidieren und in Brand geraten. Dann muss man so schnell als möglich raus, und zwar an der richtigen Stelle.

Austrian Wings: Auf zahlreichen Flügen ist regelmäßig Airline-Personal außer Dienst mit an Bord. Halten Sie es für sinnvoll, Exit Row-Plätze bevozugt an solche Passagiere zu vergeben?

Tim van Beveren: Es gibt auf fast jedem Flug entsprechend geschulte Personen, die gezielt an den Notausstiegen platziert werden könnten - Crewmitglieder außer Dienst, Airline-Standby-Passagiere, Crewmitglieder auf dem Weg zum nächsten Einsatzort - ich denke, es ließe sich sehr schnell regeln, dass vornehmlich solche Leute auf diesen Plätzen sitzen sollten.

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Intersky: Entschieden wird am Check-In

Dass sich Komfort von Online-Buchung und Sicherheit keinesfalls ausschließen müssen, beweist beispielsweise die Bodensee-Airline Intersky.

Diana Kaplan, Assistentin der Geschäftsführung, bestätigte im Austrian Wings-Gespräch: "Bei Intersky sind in der Economy Class die Plätze an den Notausstiegen online überhaupt nicht zu reservieren, diese Zuteilung erfolgt immer erst am Check-In-Schalter. In der Business Class besteht zwar grundsätzlich die Möglichkeit der Reservierung, jedoch wird sowohl am Check-In als auch anschließend durch das Kabinenpersonal eingehend geprüft, ob der jeweilige Passagier Einschränkungen aufweist, die gegen einen Platz am Notausstieg sprechen." In diesem Fall würde der Fluggast dann auf einen anderen Sitzplatz gebeten.

Ein ausgezeichneter Ansatz, um auch in Zukunft der Luftfahrt als sicherster Form der Fortbewegung dieses Privileg zu erhalten.

Links:

Tim van Beveren - Homepage

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