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Massenmörder Lubitz: Angehörige der Opfer erhöhen Druck auf Lufthansa

Andreas Lubitz ermordete 149 Menschen, nachdem er den Kapitän Patrick S. aus dem Cockpit gesperrt und den Airbus A320 danach in voller Absicht zum Absturz gebracht hat - Foto: Austrian Wings Media Crew

In einem offenen Brief fordern Angehörige von Lufthansa endlich Zugeständnisse und eine Übernahme der Verantwortung für die Tat ihres Konzernpiloten Andreas Lubitz, der im Jahr 2015 einen A320 absichtlich zum Absturz gebracht und dabei 149 Menschen vorsätzlich getötet hat. Außerdem wird angeprangert, dass offenbar mehrere Kollegen von Lubitz über dessen psychische Probleme Bescheid wussten und sich selbst gewundert haben, wieso die Lufthansa Lubitz fliegen ließ. Zudem droht der AUA-Konzernmutter jetzt eine Millionenklage von Hinterbliebenen. Die Lufthansa hüllt sich in der Causa - einmal mehr - in Schweigen.

Rechtsanwalt Elmar Giemulla vertritt rund 200 Hinterbliebene und sagt: "„Es wird den Hinterbliebenen gern nachgesagt, dass es ihnen bei den Klagen nur ums Geld geht. Das ist nicht richtig. Es geht in erster Linie um die Aufklärung der Missstände, die zum Tod von 149 unschuldigen Menschen geführt haben. Die Frage, wer wofür die Verantwortung trägt, kann nur in einem Prozess geklärt werden. Wir werden noch in diesem Jahr gegen die Flugschule in den USA und auch gegen die Lufthansa klagen.“ Wenn sich die besagte Forderung in Deutschland an dem neuen Hinterbliebenengeld-Gesetz orientiert, kommt eine Millionen-Klage auf die AUA-Konzernmutter zu.  

Der offene Brief der Hinterbliebenen im Originalwortlaut:

Sehr geehrter Herr Spohr,

einer Ihrer Mitarbeiter hat am 24. März 2015 eine Germanwings-Maschine mit voller Absicht in einen Berg gestürzt. 149 Menschen wurden durch diese ungeheuerliche Tat kaltblütig ermordet. Uns allen wurde ein geliebter Mensch entrissen. Der durch den Copiloten bewusst herbeigeführte Absturz jährt sich in Kürze zum dritten Mal.

Dies gibt uns Anlass, Ihr Unternehmen und Sie persönlich an Ihre Zusagen und Ihre Verantwortung zu erinnern. „Wir unternehmen alles in unserer Macht Stehende, um (…) Ihnen die Unterstützung zukommen zu lassen, die Ihnen eine Hilfe ist“, haben Sie uns unmittelbar nach der Katastrophe versprochen. Und weiter: „Dabei wollen wir unbürokratisch und schnell sein.“

Leider müssen wir feststellen, dass Sie diese zentrale Zusage bis heute nicht eingelöst haben. Nennen Sie es „schnell“, wenn sich Ihr Unternehmen auch nach fast drei Jahren noch nicht zu einer angemessenen Reaktion auf diese historische Katastrophe durchringen konnte? Allein die Grabpflege während unserer restlichen mutmaßlichen Lebenszeit übersteigt den Betrag, den Sie als Entschädigung für unser Leid anbieten, um ein Mehrfaches. Wir empfinden Ihre kompromisslose und starre Haltung als demütigend.

Wir wissen, nichts kann unsere Kinder, Eltern, Geschwister, Partner, Großeltern oder Enkel zurückbringen. Wir werden unter diesem unersetzlichen Verlust schmerzlich leiden – bis zu unserem letzten Lebenstag. Wir verlangen Aufklärung darüber, wie es dazu kommen konnte, dass Ihr Unternehmen einem eindeutig psychisch Kranken Verantwortung für Hunderte von Menschenleben übertragen hat. Wir wollen wissen, warum einer solchen Person seine psychische Stabilität durch das medizinische Überwachungssystem Ihres Unternehmens einmal jährlich auch noch bestätigt werden konnte.

Das lässt auf schwerste organisatorische Versäumnisse schließen, für die Sie verantwortlich sind und die der Aufklärung bedürfen – und zwar nicht nur im Interesse der hiervon unmittelbar Betroffenen. Als entlarvend müssen wir deshalb das Angebot Ihres Unternehmens empfinden, den Hinterbliebenen für einen geringen Geldbetrag sogenannte Verzichtserklärungen – Verzicht auf Klagen und weitere Ansprüche gegen die Lufthansa und andere Unternehmen des Lufthansa-Konzerns – abzukaufen.

Mit Verbitterung müssen wir zudem zur Kenntnis nehmen, dass Ihr Unternehmen neuerdings sogar psychotherapeutische Hilfe an die Unterschrift unter eine solche Verzichtserklärung knüpft, obwohl nach wie vor ein Rechtsanspruch darauf besteht. Diese Haltung Ihres Unternehmens müssen wir als Erpressung empfinden. Geht es hier darum, eine gerichtliche Aufklärung zu verhindern?

Dass wir infolge Ihrer Verweigerungshaltung auf Ansprüche nach dem Opferentschädigungsgesetz verwiesen sind, macht die Sache noch schlimmer. Sie wissen, dass dieses Gesetz eigentlich für Fälle gemacht worden ist, in denen der Täter unbekannt oder zahlungsunfähig ist und deshalb der Staat zugunsten des Opfers einspringt.

Dass Ihr Unternehmen eine faire Entschädigung und sogar die Übernahme von Therapiekosten verweigert, belegt eine erschreckende Einstellung zu der Verpflichtung, eine effektive medizinische Überwachung der für Sie tätigen Piloten sicherzustellen: Es ist Ihr Unternehmen und nicht der Steuerzahler, der die Verantwortung hierfür trägt und in der Wahrnehmung dieser Verantwortung versagt hat.

Mit Ihrer Strategie des Mürbemachens und der Drohungen haben Sie viele Hinterbliebene dazu gebracht aufzugeben. Viele haben unterschrieben, um neben der schweren Trauerarbeit nicht länger Kraft in solche zusätzlich traumatisierenden Auseinandersetzungen stecken zu müssen – und nicht etwa deshalb, weil sie Ihren Umgang mit der Katastrophe als angemessen empfinden.

Was Sie für sich als Erfolg verbuchen können, empfinden die Betroffenen als rücksichtslose und kalte Strategie.

Natürlich begrüßen wir es, wenn aus dem von Lufthansa finanzierten Hilfsfonds öffentliche Projekte wie Schüler- und Choraustausche, Theater-Initiativen oder ein Schwimmbad-Förderverein unterstützt werden. Ihr Unternehmen ist hier aber kein großzügiger Mäzen, sondern Verursacher einer in der Geschichte der Bundesrepublik und der Luftfahrt einzigartigen Katastrophe! Seit 1949 wurden durch keinen Deutschen mehr Menschen getötet als durch Ihren Mitarbeiter, den Copiloten des Fluges 4U9525.

Der Deutsche Bundestag hat auf Initiative der Bundesregierung am 17. Juli 2017 das „Gesetz zur Einführung eines Anspruchs auf Hinterbliebenengeld“ verabschiedet. Sein Kernsatz lautet: „Der Ersatzpflichtige hat dem Hinterbliebenen, der zur Zeit der Verletzung zu dem Getöteten in einem besonderen persönlichen Näheverhältnis stand, für das dem Hinterbliebenen zugefügte seelische Leid eine angemessene Entschädigung zu leisten.“

Dies ist ein großer Fortschritt, der die Einstellung der Öffentlichkeit und des Gesetzgebers zur Frage des Umgangs mit einer solchen Katastrophe zeigt. Allerdings mussten wir mit Entsetzen zur Kenntnis nehmen, dass eine ausdrückliche Regelung in das Gesetz aufgenommen wurde, durch die dessen Anwendbarkeit auf die Germanwings-Katastrophe ausgeschlossen wird. Offenbar hat Ihnen auch in diesem Fall die Bundesregierung einen guten Dienst erwiesen!

Und da es eher unwahrscheinlich ist, dass die Bundesregierung sich hier einem „vorauseilenden Gehorsam“ verpflichtet gesehen hat, liegt die Vermutung nahe, dass auch hier die kalte und geradezu zynische Strategie Ihres Unternehmens dahinter steckt, sich trotz eines derart eindeutigen Versagens ihrer Verantwortung gegenüber den hiervon Betroffenen zu entziehen. Es liegt allein an Ihnen, diesen Eindruck zu relativieren.

Sehr geehrter Herr Spohr, im ersten Jahr nach der Katastrophe waren wir betäubt vom Schmerz. Seit dem zweiten Jahr suchen wir einen Weg, mit diesem unermesslichen Verlust irgendwie zu leben. Wir fordern Sie auf, uns dabei zu helfen! Unsere Katastrophe sollte gleichermaßen auch Ihre Katastrophe sein!

Stimmen Sie unseren berechtigten Wünschen nach Anerkennung der moralischen Schuld, das Ihr Unternehmen auf sich geladen hat, zu! Orientieren Sie die Entschädigungsleistungen zumindest an dem neuen Hinterbliebenengeldgesetz! Sichern Sie uns Ihre Hilfe auch weiterhin zu. Der dritte Jahrestag gibt dazu eine geeignete Gelegenheit.

Noch eine letzte Bitte: Bis heute verweigert die französische Staatsanwaltschaft die Herausgabe der Handy-Daten der Opfer. Für uns Hinterbliebene sind gerade diese Daten sehr wichtig. Wir möchten Sie herzlich bitten, sich mit der Autorität Ihres Amtes dafür einzusetzen!
Ihr Unternehmen erhebt zu Recht den Anspruch, auf so vielen Feldern beispielhaft, ja einmalig auf der Welt sein – dies muss auch auf dem Feld der Opferentschädigung gelten.

Sehr geehrter Herr Spohr, Sie haben es in der Hand, ob Lufthansa hier vor den Augen der Welt versagt oder ein beispielhaftes Signal setzt!

Hochachtungsvoll,
Deutsche und niederländische Hinterbliebene der Germanwings-Katstrophe.
Im Januar 2018

Lufthansa selbst hüllt sich in Schweigen. Man bestätigte gegenüber Medien lediglich den Eingang des Briefes, gab sonst jedoch keinerlei Erklärung ab.

(red)