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Lamia-Avro-Crash: Piloten waren sich der Treibstoffknappheit bewusst

Das Wrack der Maschine - Foto: Telemedellin

Im Fall des nahe Medellin abgestürzten Avro RJ-85 waren sich die Piloten völlig darüber im Klaren, dass sie ein Treibstoffproblem hatten. Zudem war das Flugzeug beim Start um 500 Kilogramm überladen. Das geht aus einem jetzt veröffentlichten Bericht der kolumbianischen Behörden hervor. Bei dem Unglück kamen 71 der 77 Insassen ums Leben, darunter auch die Piloten.

Die Experten stellten nach Auswertung des Flugdatenschreibers sowie des Cockpit Voice Recorders fest, dass der Cockpitcrew ihre prekäre Situation durchaus bewusst war. Demnach habe die Crew, bestehend aus Kapitän, Erstem Offizier und einer jungen Frau mit CPL, die als zweiter Offizier auf dem Jump Seat mitflog (im Unfallbericht jedoch lediglich als "Privatpilot" geführt wird), explizit darüber diskutiert, einen Tankstopp in Leticia oder Bogota einzulegen. "Sie (die Piloten, Anmerkung der Redaktion) waren sich darüber im Klaren, dass sie nicht genügend Treibstoff hatten, um ihr Ziel zu erreichen", sagte Oberst Fredy Bonilla von der kolumbianischen Luftaufsicht.

Die Piloten hätten deshalb schließlich auch zunächst beschlossen, in Bogota zwischen zu landen, ihre Entscheidung später jedoch revidiert und sich entschieden, doch nonstop bis nach Medellin zu fliegen - ein klarer Regelverstoß, denn selbst, wenn die Landung dort geglückt wäre, hätte die Maschine weniger Resttreibstoff an Bord gehabt als gesetzlich vorgeschrieben ist. Gemäß internationalen Bestimmungen muss nach jeder Landung mindestens noch die so genannte finale fuel reserve in den Tanks vorhanden sein. Diese Reserve muss bei Jets und Turboprops für 30 Minuten Flugzeit reichen, bei Kolbenmotorflugzeugen für 45 Minuten. Sobald ein Pilot Kenntnis davon erlangt, dass die final fuel reserve bei der Landung auf dem nächsten Flughafen unterschritten wird, ist er verpflichtet, eine Luftnotlage ("Mayday fuel") zu erklären.

Kapitän Miguel Quiroga (Mitte) verstieß - begonnen bei der Flugplanung gegen zahlreiche Sicherheitsvorschriften und kam beim Absturz ums Leben. Auch der zweite Offizier Sisy Arias (links) starb - aus den Aufzeichnungen des CVR geht hervor, dass Arias und der Erste Offizier den Kommandanten auf das Treibstoffproblem aufmerksam gemacht hatten. Flugbegleiterin Ximena Suarez Otterburg (rechts) überlebte. Sie übte bereits unmittelbar nach dem Crash scharfe Kritik an der Fluggesellschaft Lamia und erklärte, die Flugzeuge würden "stets am Reichweitenlimit" betrieben.

Aus ungeklärter Ursache versagte der Cockpit Voice Recorder seinen Dienst nach rund 1 Stunde und 40 Minuten Flugzeit, sodass es für die Unfallermittler nicht möglich war, die Kommunikation im Cockpit in den entscheidenden Minuten vor dem Absturz zu rekonstruieren. Lediglich die Aufzeichnungen des Funkverkehrs zwischen der Flugsicherung und der Maschine standen dafür zur Verfügung.

Rund sechs Minuten vor dem Crash, um 02:52 Uhr beantragten die Piloten einen "direkten Anflug" aufgrund von "Treibstoffproblemen", ohne jedoch explizit eine Luftnotlage zu erklären, weshalb die Flugsicherung dem Wunsch zunächst nicht entsprach, da sich andere Flugzeuge in der Reihung vor dem Avro der Lamia befanden. In weiterer Folge missachtete die Crew des Avro die Anweisung der Fluglotsin und begann einen nicht autorisierten Sinkflug. Um 02:53:45 Uhr begann Triebwerk Nummer 3 infolge von Kraftstoffmangel zu versagen. Seitens der Piloten erfolgte weder eine Meldung an die Flugsicherung, noch erklärten sie eine Luftnotlage. Nur 13 Sekunden später fuhr auch Triebwerk Nummer 4 herunter, sodass beide Triebwerke auf der rechten Seite ausgefallen waren. Wiederum machten die Piloten die Fluglotsin nicht auf den Ernst der Situation aufmerksam. Um 02:54:47 sank auch die Drehzahl von Turbine Nummer 1 von 39,5 auf 29 Prozent ab. 17 Sekunden später reagierte Turbine Nummer 2 nicht mehr auf die Eingaben des Schubreglers und fiel mangels Kerosin aus. Um 02:55:41, 37 Sekunden nach dem Ausfall von Triebwerk Nummer 2 kam es schließlich auch bei Triebwerk Nummer 1, das bis dahin noch mit rund 30 Prozent Leistung lief, zum Totalausfall, was auch zum Zusammenbruch der elektrischen Versorgung an Bord führte. Das hatte zur Folge, dass der Flugschreiber ebenfalls nicht mehr funktionierte. Zu diesem Zeitpunkt befand sich die Maschine 15,5 nautische Meilen südlich des Aufsetzpunktes der Piste 01 in einer Flughöhe von knapp 16.000 Fuß.

Doch erst rund eineinhalb Minuten später, um 02:57:10, meldeten die Piloten der Flugsicherung, dass sie einen "Totalausfall der Elektrik und keinen Kraftstoff" hätten, eine Luftnotlage wurde selbst jetzt nicht deklariert.

Um 02:58:54 reagierte die Crew nicht mehr auf einen Funkspruch der Fluglotsin, weil der Jet an einem Berghang zerschellt war. Vom Ausfall des letzten Triebwerkes bis zum Aufprall am Boden waren damit etwas mehr als drei Minuten vergangen.

(red)