Reportagen

Vor 40 Jahren: Israelisches Husarenstück in Entebbe

Im Juli 1976 befreite ein israelisches Kommandounternehmen die in Uganda festgehaltenen jüdischen Geiseln und die Crew eines zuvor entführten Air France Fluges. Die gesamte Aktion war militärisch und fliegerisch dermaßen spektakulär, dass sie niemand zuvor für möglich gehalten hätte, weswegen auch das Überraschungsmoment auf der Seite der Israelis war, die damit - 31 Jahre nach dem Ende der Shoa - der Welt eindrucksvoll ihre Stärke und Wehrbereitschaft demonstrierten. Austrian Wings blickt zurück auf die Ereignisse im Sommer 1976.

Das Drama begann am 27. Juni 1976 - Flug AF 139 sollte von Tel Aviv via Athen nach Paris fliegen. Kurz nach dem Start in der griechischen Hauptstadt des mit zwölf Crewmitgliedern und 258 Passagieren besetzten Airbus A300B4-203 brachten vier mit Schusswaffen und Handgranaten bewaffnete Entführer die Maschine in ihre Gewalt. Zwei von ihnen waren palästinensische Terroristen, zwei weitere Deutsche: Wilfried Böse und Brigitte Kuhlmann, Gründungsmitglieder der linksextremen revolutionären Zellen.

Zunächst zwangen sie die Piloten und den Flugingenieur nach Bengasi zu fliegen, wo der Zweistrahler landete. Eine Reisende wurde freigelassen, nachdem sie Schwangerschaftskomplikationen vortäuschte. Die Frau konnte dem israelischen Geheimdienst erste wertvolle Informationen liefern. Nach sechs Stunden hob der Airbus A300 wieder ab, wobei die Entführer den Piloten zunächst kein Flugziel nannten, den Flug aber schließlich zum Flughafen Entebbe dirigierten, wo der Jet am Morgen des 28. Juni landete. Der ugandische Diktator Idi Amin spielte ein doppeltes Spiel: Einerseits gab er gegenüber Israel und dem Westen vor, sich für die Freilassung der Geiseln einzusetzen, andererseits unterstützte er die Entführer und duldete es zumindest stillschweigend, dass sich nach der Landung weitere palästinensische Terroristen den Entführern anschlossen.

Die Geiseln wurden von den Terroristen in die alte Transithalle des Terminals gebracht. Anschließend selektierten die Entführer die jüdischen Passagiere (und solche, die sie aufgrund ihres Namens dafür hielten) und ließen die übrigen 48 Geiseln frei.

Sie wurden am 30. Juni mit einer Sondermaschine von Air France ausgeflogen. Die gesamte französische Crew des Airbus weigerte sich, die verbliebenen Geiseln zu verlassen - später erhielten die Besatzungsmitglieder für ihr mutiges Verhalten hohe Auszeichnungen des französischen Staates sowie jüdischer Organisationen.

Seitens der Terroristen wurde nun für das Leben der Geiseln die Freilassung von 53 politischen Gefangenen in der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz und Israel gefordert - sowie fünf Millionen Dollar Lösegeld für den Airbus.

Am 1. Juli beschloss die israelische Regierung, dass sie den Forderungen der Terroristen nicht nachgeben würde und beauftragte die militärische Führung, eine Befreiungsaktion vorzubereiten. Israel kam dabei zugute, dass der Flughafen von Entebbe einige Jahre zuvor von israelischen Unternehmen errichtet worden war und man somit über die Pläne der Gebäude verfügt, die nun hilfreich waren.

Parallel zu diesen Vorbereitungen versuchte der pensionierte israelische Offizier Baruch "Burka" Bar-Lev, der Idi Amin persönlich kannte, die Freilassung der Geiseln zu erwirken - vergeblich.

Himmelfahrtskommando

Und so starteten am Abend des 3. Juli - am Schabbat - in ISharm el Sheikh, das damals unter israelischer Kontrolle stand, vier Lockheed C-130 Hercules sowie zwei Boeing 707 und nahmen Kurs auf Uganda - objektiv betrachtet reiner Wahnsinn, zumal schon der Start lebensgefährlich war, weil die Maschinen hoffnungslos überladen waren, wie sich Pilot Joshua Shani erinnert: "Als wir am Ende der Piste endlich abhoben, waren wir gerade einmal zwei Knoten über der Stall-Speed."

C-130 Hercules der israelischen Luftwaffe, Symbolbild - Foto: Mike Freer via Wikipedia GFDL 1.2
C-130 Hercules der israelischen Luftwaffe, Symbolbild - Foto: Mike Freer via Wikipedia GFDL 1.2

An Bord befanden sich Kommandosoldaten der - damals offiziell noch gar nicht existierenden - Spezialeinheit Sayaret Matkal, die die eigentliche Befreiungsaktion durchführen sollten, Sanitätspersonal und Sicherungstruppen. Das Oberkommando der Operation Kadur hara'am (כדור הרעם), Hebräisch für "Donnerschlag",  hatte Brigadegeneral Dan Shomron, der auch führend an der Planung beteiligt war.

Konkret setzte sich die rund 100 Man starke Truppe wie folgt zusammen:

  • Die eigentliche Kommandoeinheit der Sayeret Matkal war 29 Mann stark und stand unter dem Kommando von Jonathan Nethanyahu - nachdem dieser gefallen war, übernahm Major Muki Betser das Kommando.
  • Die Sicherungstruppe, die sich wiederum in drei Gruppen aufteilte: Die erste Gruppe bestand aus Fallschirmjäger unter dem Kommando von Oberst Matan Vilnai. Sie war verantwortlich dafür, das Rollfeld, die Rollwege und die Piste für den Abflug zu sichern. Die zweite Gruppe unter dem Kommando von Oberst Uri Sagi bestand aus Angehörigen der Golani Brigade sicherte die C-130 Hercules am Boden ab und deckte die Evakuierung der befreiten Geiseln, bis diese die Flugzeuge bestiegen hatten. Außerdem bestand ihre Aufgabe darin, bei Bedarf als generelle Kampfreserve zur Verfügung zu stehen. Die dritte Gruppe unter dem Kommando von Major Shaul Mofaz gehörte ebenfalls der Sayeret Matkal und war verantwortlich für die Zerstörung ugandischer Flugzeuge auf dem Boden sowie die Bekämpfung neu eintreffender ugandischer Verstärkung

Tiefflug ohne GPS mitten in der Nacht

Um vom ägyptischen Radar nicht erfasst zu werden, flog die Formation unter Einhaltung von Funkstille teils nur 10 Meter über dem Boden dem Ziel entgegen - und das bei pechschwarzer Nacht, nur nach Karte und Stoppuhr, denn GPS-Systeme gab es 1976 noch nicht in den völlig analog instrumentierten Flugzeug-Cockpits!

Analoges Cockpit einer Hercules aus den 1970er Jahren, Symbolbild - Foto: HGrobe via Wiki Commons CC BY SA 2.5
Analoges Cockpit einer Hercules aus den 1970er Jahren, Symbolbild - Foto: HGrobe via Wiki Commons CC BY SA 2.5

Dabei war noch nicht einmal klar, ob die Formation überhaupt bis Entebbe fliegen würde, denn bis dato gab es noch kein "Go" für das Kommandounternehmen. Erst in der Luft erhielten die Soldaten schließlich via Funk die Nachricht, dass das israelische Parlament den Befreitungsplan doch noch gebilligt hatte! Nun gab es kein Zurück mehr.

Als erste Maschine landete die Lead-Hercules, gesteuert vom damals 31-jährigen Joshua Shani, nachdem sich die Crew als vermeintliche Linienmaschine aus London bei der Flugsicherung identifiziert hatte. Dem rollenden Flugzeug entstiegen Kommandosoldaten und postierten Lichter entlang der Piste für die übrigen drei Hercules-Maschinen, falls der Tower die Landebahnbefeuerung abschalten sollte. Während eine 707 - der fliegende Kommandostand - nahe Entebbe in sicherer Höhe kreiste, war die zweite Maschine (das Sanitätsflugzeug) in Nairobi gelandet.

Boeing 707 der israelischen Luftstreitkräfte, Symbolbild - Foto: Mike Freer via Wikipedia GNU 1.2
Boeing 707 der israelischen Luftstreitkräfte, Symbolbild - Foto: Mike Freer via Wikipedia GNU 1.2

Gegen 1 Uhr wurden auf dem Flughafen Entebbe ein schwarzer Mercedes und einige Landrover aus den Hercules entladen. Damit wollten die Israelis die ugandischen Wachen überlisten und die Ankunft von Diktator Idi Amin am Flughafen vortäuschen. Der Plan scheiterte allerdings, als Ugander die Fahrzeuge anhalten wollten und erschossen wurden. Daraufhin setzen die israelischen Kommandos den Sturm auf das Terminal zu Fuß fort und wurden in wilde Feuergefechte mit ugandischen Militärs verwickelt. Dabei wurde Oberstleutnant Jonathan Netanyahu - ein Bruder des späteren Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu - tödlich verwundet.

Nachdem das Sayeret Matkal-Kommando in das Terminal-Gebäude eingedrungen waren, forderten die Soldaten alle Geiseln auf Hebräisch und Englisch auf, sich hinzulegen. Drei Israelis, die diese Anweisung nicht umgehend befolgten, starben zusammen mit allen sieben anwesenden Terroristen im Kugelhagel. Eine weitere Geisel, Dora Bloch (75) die sich zum Zeitpunkt der Befreiung im Krankenhaus befand, wurde später auf persönliche Anweisung von Idi Amin ermordet. Ihre Leiche wurde erst nach dem Ende von Amins Diktatur entdeckt und nach Israel überstellt.

Zwischenzeitlich lieferten sich die Sicherungstruppen aus den übrigen drei Hercules ein rund 90-minütiges Feuergefecht mit den ugandischen Streitkräften und zerstörten alle am Boden befindliche MiG's der ugandischen Luftwaffe, damit diese Jets die Israelis nicht verfolgen konnten. Anschließend war geplant, die Hercules für den Rückflug nach Israel mittels Handpumpen aufzutanken. Doch inmitten des Gefechts erhielten die Piloten die Nachricht, dass Kenia einer Zwischenlandung in Nairobi zugestimmt hatte, wodurch dieses riskante Manöver entfallen konnte.

Mission erfolgreich!

Als die vier Hercules mit den 102 lebend befreiten Geiseln schließlich Richtung Nairobi abhoben, waren elf MiG 17 beziehungsweise MiG 21 der ugandischen Luftwaffe zerstört und etwa 45 ugandische Soldaten tot. Die Israelis hatten einige Verwundete (darunter ein junger Fallschirmjäger, der zeitlebens querschnittsgelähmt blieb) und den Verlust von Oberstleutnant Netanyahu zu beklagen.

In Nairobi wurden verwundete Geiseln medizinisch versorgt und in die Sanitäts-707 umgeladen, ehe die vier Hercules und die zwei 707 nach Israel zurückkehrten - wo Geiseln und ihre Befreier von einer jubelnden Masse empfangen wurden ...

Internationale Reaktionen

Fast schon beißreflexartig wurde auf internationaler Ebene von einigen Staaten das Vorgehen Israels, mit dem die einzige Demokratie nach westlichem Vorbild im Nahen Osten, das Leben ihrer Bürger gerettet hatte, kritisiert. Im UN-Sicherheitsrat etwa verlangten die afroarabischen und sozialistischen Staaten eine Sondersitzung wegen der "Verletzung der Souveränität Ugandas". Der damalige UN-Generalsekretär Kurt Waldheim verurteilte die israelische Militäroperation dann persönlich auch "ernste Verletzung der Souveränität eines Mitgliedsstaates". Auch Japan kritisierte Israel, wohingegen die meisten westlichen Staaten - darunter auch Deutschland - den israelischen Befreiungsschlag zumindest stillschweigend tolerierten. Und so fand die von afrikanischen Staaten geforderte Verurteilung Israels im UN-Sicherheitsrat schließlich zumindest keine Mehrheit.

Der deutsche Jurist Ulrich Beyerlin meinte, dass das Vorgehen Israels mangels eines bewaffneten Angriffs Ugandas gegen Israel nicht vom Recht zur Selbstverteidigung im Kriegsfall gedeckt. Allerdings blieben sowohl Beyerlin als auch sämtliche anderen Kritiker der Aktion die Antwort auf die Frage schuldig, was mit den jüdischen Geiseln in den Händen von antisemitischen palästinensischen und deutschen Terroristen, die von einem wahnsinnigen Diktator unterstützt wurden, wohl geschehen wäre, hätte Israel nicht diese Sonderform der "Selbstverteidigung" für sich in Anspruch genommen.

Israels UN-Botschafter Chaim Herzog stellte daher vor dem UN-Sicherheitsrat auch klar:

“We come with a simple message to the Council: we are proud of what we have done because we have demonstrated to the world that in a small country, in Israel's circumstances, with which the members of this Council are by now all too familiar, the dignity of man, human life and human freedom constitute the highest values. We are proud not only because we have saved the lives of over a hundred innocent people—men, women and children—but because of the significance of our act for the cause of human freedom.”

Deutsche Übersetzung: „Wir treten mit einer einfachen Botschaft an den Sicherheitsrat: Wir sind stolz auf das, was wir getan haben, weil wir der Welt gezeigt haben, dass in einem kleinen Land, in der Situation Israels, die den Mitgliedern dieses Rates nun allzu bekannt ist, die menschliche Würde, menschliches Leben und die Freiheit der Menschen höchste Werte darstellen. Wir sind nicht nur stolz, weil wir das Leben von über hundert Unschuldigen – Männern, Frauen und Kindern – gerettet haben, sondern aufgrund der Bedeutung unserer Tat für das Anliegen der Freiheit der Menschen.“

Die Operation Donnerschlag war zudem auch ein wichtiges Signal des jungen Staates Israels an den internationalen Terrorismus und alle Judenhasser: "Wir schützen unsere Bürger vor Euch, und zwar überall auf der Welt!"

Gedenken

Heute befinden sich sowohl in Israel als auch auf dem Flughafen Uganda Gedenksteine, die an die Befreiung der Geiseln 1976 erinnern und die das ultimative Opfer von Oberstleutnant Jonathan Netanyahu erinnern. Zum heurigen 40. Jahrestag des Einsatzes besuchte sein Bruder Benjamin Netanyahu den Flughafen Entebbe und traf dabei mit ugandischen Vertretern zusammen, wobei die künftige gemeinsame Zusammenarbeit beider Staaten bekräftigt wurde. Noch heute sind die Gefechtsspuren am alten Tower des Flughafens sichtbar.

Die Einschusslöcher sind deutlich zu sehen - Foto: TC David Konop / US Army
Die Einschusslöcher sind deutlich zu sehen - Foto: TC David Konop / US Army

Text: HP
Titelbild: Befreite Geiseln kehren nach Israel heim - Foto: Israel Government Press Office via-Wikipedia-cc-by-sa-3-0