Punktlandung

Kommentar: Was bedeutet die Lieferung von F-16 für die Ukraine

Dänemark zählt zu jenen Ländern, die der Ukraine F-16 Kampfjets liefern werden - Foto: Austrian Wings Media Crew

Die Ukraine bekommt F-16, zwei, drei, vielleicht vier Staffeln. Was lässt sich effektiv damit machen? Es ist Zeit einen Blick in die Lehrbücher für Luftraumoperationen zu werfen. Ein Kommentar des internationalen Militärluftfahrtexperten Martin Rosenkranz / Airpower.at.

Die Ausgangslage ist klar. Die ukrainische Luftwaffe kämpft seit dem 24.Februar aus der Defensive. Und es ist bemerkenswert, dass es sie noch gibt. Die Überlebensstrategie heißt „dispersed basing“. „Dispersed basing“ ist Flugbetrieb als Wanderzirkus abseits der fixen Luftwaffenstützpunkte, die sofort zu den Primärzielen eines Aggressors zählen. Die Starts und Landungen finden auf für Flugzeugen tauglichen Straßen statt – heute hier, morgen dort.

Ungleich herausfordernder sind diese Einsätze für die Bodenorganisation. Aus der mobilen Werkstatt heraus die Flugzeuge einsatzbereit zu halten, ist eine alles andere als einfach Aufgabe. Jeder Flugstunde stehen dutzende Wartungsstunden gegenüber. Der Effekt ist eine geringere „sortie rate“ – weniger Flüge pro Maschine in einem gegebenen Zeitraum, als dies mit einer optimalen Bodenorganisation möglich wäre. Das ist der Preis des Überlebens. Denn nirgendwo sonst ist ein Kampfflugzeug leichter zu zerstören als am Boden.

Der Modus, in dem die ukrainische Luftwaffe gezwungen ist zu kämpfen, heißt „Defensive Counter-Air Operation“ (DCA) – die defensive Luftabwehroperation. Oberste DCA Aufgabe ist der Schutz und die Verteidigung der Gravitätszentren. Politische und militärische Führung, kritische Infrastruktur, Logistiklebensadern. Nur ein Staat, der funktionale Strukturen aufrecht erhalten kann, ist zu einer organisierten Verteidigung in der Lage .Es beginnt also alles mit einer Planung und Prioritätenreihung und mit einer Aufstellung der dafür verfügbaren Mittel. Im Allgemeinen reichen bei DCA die verfügbaren Mittel nicht aus, um alles zu verteidigen. Es bleiben zwangsweise Lücken mit denen man einfach leben muss.

Das heißt nicht, dass man ausschließlich nur mit Defensive beschäftigt ist, aber in der Dringlichkeitsliste überwiegen diese defensiven Aufgaben deutlich. Für die Ukraine ist dies aktuell z.B. die Verteidigung gegen Russische Shaheed-Drohnen und Cruise Missiles. Aber auch mit begrenzten Luftkriegsmitteln ist es möglich und erforderlich, zeitlich und örtlich offensiv zu werden, Schwergewichte zu setzen und, wenn auch nur sehr kurzfristig und momentan, überraschend Luftüberlegenheit zu bilden.

Der Fokus liegt dabei darauf dem Angreifer lokal und momentan überproportional Schaden zuzufügen und/oder überraschend Verteidigungsfähigkeiten zu beweisen und den Angreifer so zu einer Umplanung seiner Operationen zu nötigen. Denn es ist sinnlos und eine Verschwendung militärischer Ressourcen sich aus der Defensive heraus einem offenen Luftkampf zu stellen. Schon ein Unentschieden gegen einen numerisch überlegenen Gegner ist eine Niederlage.

Einfaches Beispiel: Der Angreifer operiert in Schwärmen von vier Flugzeugen alle 30 Minuten. Neun Einsätze melden eine durchschnittlich niedrige Abwehr, ein Schwarm kommt nicht mehr zurück weil er sich einer 2:1 oder 3:1 Übermacht ausgesetzt sah und abgeschossen wurde.

Dem Verteidiger gelingt es so, mit nur 8-12 Einsätzen gegenüber 40 Einsätzen des Angreifers diesem 10% Verluste zuzufügen. Selbst über einen überschaubar kurzen Zeitraum wären solche Verluste für den Angreifer nicht durchhaltbar, die Angriffsplanung muss überdacht werden.

Und wie sieht es mit der „Offensive Counter-Air Operation“ (OCA) aus? Ganz grundsätzlich sind ein paar dutzend betagte F-16 mit kurzfristig angelernten Piloten keine gute Grundlage um mit den Maschinen über dem Schlachtfeld oder gar im Hinterland des Gegners zu operieren. Zwar ist es der Ukrainischen Luftwaffe gelungen mit HARM Raketen auf MiG-29 bemerkenswerte Erfolge gegen die russische Fliegerabwehr zu erzielen. Dies diente aber dazu Lücken für die eigene Raketenartillerie zu schaffen.

Sich im Luftraum über gegnerischem Gebiet gegen die Fliegerabwehr und Luftwaffe Russland zu behaupten und durchzusetzen ist noch mal ein völlig anderer Stiefel. Das übersteigt auch mit F-16s mit hoher Wahrscheinlichkeit die Möglichkeiten der Ukraine.

Suppression and Destruction of Enemy Air Defenses (SEAD/DEAD) – also Unterdrückung und Zerstörung der der gegnerischen Luftabwehr – ist das Schwierigste was das Thema „Luftkrieg“ zu bieten hat. Physisch und psychisch extrem anstrengend, technisch high-end und enorm risikobehaftet.

Um weiterhin nicht auf dem russischen Radar aufzutauchen wird auch mit der F-16 in Frontnähe primär dem Tiefflug der Vorzug zu geben sein. Die elektronischen Warneinrichtungen der F-16 bieten trotzdem verstärkten Schutz und geringeres Risiko für die Ukrainer.

Um trotzdem eine Bodenoffensive effektiv zu unterstützen verfügt man mit der F-16 über eine Maschine, die mit einem breiten Spektrum an effektiven Abstandslenkwaffen ausgerüstet werden kann. Entscheidend bei all dem ist, dass die Ukraine nicht nur F-16 erhält und die Fähigkeit diese zu bedienen, sondern auch operativ-taktisch, effektiv-funktionale Einsatzkonzepte entwickelt werden. „Top Gun“ ist nämlich nicht nur ein Kinofilm ...

Text: Martin Rosenkranz

Über den Autor
Luftfahrtexperte Martin Rosenkranz ist Gründer und Chefredakteur des Militärluftfahrtmagazins "Airpower.at" und hat sich in den vielen Jahren der Eurofighter-Ausschreibung, Beschaffung und den Nachwehen intensiv mit diesen Vorgängen beschäftigt. Er war auch im Untersuchungsausschuss live dabei und gilt als einer der international am besten informierten Experten auf diesem Gebiet. Aktuell schreibt er unter anderem für das Militärmagazin "Militär aktuell".

Hinweis: „Punktlandungen” sind Kommentare einzelner Autoren, die nicht zwingend die Meinung der Austrian Wings-Redaktion wiedergeben.