Reportagen

2007: Als mit der An-22 der weltgrößte Turboprop den Flughafen Wien besuchte

Die An-22 bei der Landung auf der Piste 11 im Sommer 2007. Man beachte die Spotter sowie den Umstand, dass der heute von Ryanair genutzte Hangar damals noch der AUA-Technik gehörte - alle Fotos: Austrian Wings Media Crew (die Aufnahmen sind urheberrechtlich geschützt, keine Verwendung ohne Erlaubnis - jede Zuwiderhandlung wird rechtlich geahndet!)

Sie ist eine einzigartige Erscheinung und ein wahrer Gigant der Lüfte: die Antonov An-22, das größte jemals in Serie gebaute Propellerflugzeug der Welt. Im Sommer 2007 - eineinhalb Jahre vor der Gründung von Austrian Wings - besuchte ein Exemplar dieses Typs den Flughafen Wien. Die An-22 diente sogar als Erprobungsträger für einen fliegenden Atomreaktor! Einer unserer Fotografen stellte uns jetzt - anlässlich 15 Jahre Austrian Wings - sein Fotomaterial von damals für die nachfolgende Fotoreportage zur Verfügung.

Das ukrainische Konstruktionsbüro Antonov begann im Auftrag der sowjetischen Regierung in Moskau im Jahr 1962 mit der Entwicklung der An-22. Hintergrund war, dass die Sowjetunion ein Flugzeug benötigte, das große Lasten über eine weite Entfernungen transportieren konnte. Der Erstflug der An-22 erfolgte am 27. Februar 1965. Schon damals war der imposante Turboprop ein Rekordhalter, denn die An-22 war zu diesem Zeitpunkt das größte in Serie produzierte Flugzeug der Welt - und bis heute hält sie den Titel als das weltgrößte jemals in Serie produzierte Flugzeug mit Propellerantrieb. Als Antrieb dienten der An-22 vier Turboprop-Triebwerke des Typs Kusnezow NK-12 mit je zwei gegenläufigen Vierblattpropellern. Das verlieh der Maschine einen einzigartigen Sound.

Ähnlich der späteren An-225 "Mrija" erhielt die An-22 ein Doppelseitenleitwerk. Die An-22 ist 57,8 Meter lang (etwa 20 Meter länger als ein A320), ihre Spannweite liegt bei mehr als 64 Metern (A320: etwa 34 Meter). Bei einem maximalen Startgewicht von 250.000 Kilogramm konnte sie etwa 80.000 Kilogramm Nutzlast über eine Distanz von 5.000 Kilometer befördern. Die Höchstgeschwindigkeit lag bei 740 Stundenkilometern. Das Cockpit war für eine fünfköpfige Crew (2 Piloten, 1 Flugingenieur, 1 Navigator, 1 Funker) ausgelegt. Hinter dem Flugdeck befand sich eine Kabine, die knapp 30 Personen Platz bot.

Die Sowjetunion stellte den neuen Typ noch im Jahr 1965 auf dem Pariser Luftfahrtsalon vor und kündigte dabei auch die Entwicklung einer Passagierversion für mehr als 700 Passagiere an - die jedoch nie realisiert wurde. Zwischen 1965 und 1976 verließen 68 Maschinen die Produktionshallen. Die Serienproduktion erfolgte im Werk Nr. 84 in Taschkent, Usbekistan. In den 1960er wurde eine Maschine gar zu einem Versuchsträger für einen Nuklearantrieb umgerüstet. An Bord befand sich ein Atomreaktor, der die Propeller antreiben sollte. Zwar fanden einige Testflüge statt, doch der Reaktor wurde tatsächlich nie für den Antrieb der Turbinen genutzt. Das Projekt einer atomgetriebenen An-22 wurde schließlich eingestellt.

Der Typ wurde ab 1967 zunächst ausschließlich von den sowjetischen Luftstreitkräften genutzt und nahm unter anderem am sowjetischen Überfall auf Afghanistan 1979 teil. Am 28. Oktober 1984 gelang es afghanischen Freiheitskämpfern eine An-22 beim Start nahe Kabul abzuschießen, wobei 250 Insassen ums Leben kamen. 1984 transportieren An-22 der sowjetischen Luftwaffe mehrere Mil Mi-8 Helikopter nach Äthiopien und 1986 kamen die Maschinen zum Einsatz um nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl dringend benötigte Ausrüstungsgegenstände in die Katastrophenregion zu fliegen.

Bis Mitte der 1990er Jahren nutzen die sowjetische bzw. die russischen Luftstreitkräfte mehr als 40 Maschinen, doch sukzessive wurde die An-22 durch die strahlgetriebene An-124 (Erstflug 1982, Indienststellung 1986) mit gut doppelt so hoher Nutzlast ersetzt.

Nach dem Zerfall der Sowjetunion und der Erlangung der Unabhängigkeit von Russland in den 1990er Jahren, baute die Ukraine mit Antonov Airlines einen internationalen Transportspezialisten auf. Antonov Airlines betrieb neben An-12, An-124 und der legendären An-225 "Mrija", auch eine einzelne An-22. Das Flugzeug mit der Kennung UR-09307 wurde 1974 in Taschkent gebaut und zunächst an die sowjetische Luftwaffe ausgeliefert, ehe die Maschine nach dem Zerfall der Sowjetunion an die Ukraine ging.

Im Sommer 2007 besuchte diese Maschine den Flughafen Wien im Rahmen eines Frachtcharters im Auftrag eines österreichischen Unternehmens. Es versteht sich von selbst, dass zahlreiche Planespotter (darunter auch etliche spätere Austrian Wings Fotografen) seinerzeit zum VIE pilgerten, um diesen schon damals "seltenen Vogel" zu fotografieren.

"Wenn man sich die Fotos von damals ansieht, dann sieht man auch wie stark sich die Kameratechnik seither verändert hat. Damals hatte ich eine 8MP-Kamera, die ab 400 ISO völlig unbrauchbare verrauschte Fotos lieferte. Heute sind 20MP und mehr Standard und selbst bei 4.000 ISO stellt sich kaum Bildrauschen ein. Trotzdem bin ich froh, dass ich damals auch die Gelegenheit hatte, die An-22 in Wien zu fotografieren."
Ein Planespotter gegenüber "Austrian Wings"

Fotoimpressionen vom Besuch der UR-09307 auf dem Flughafen Wien im Sommer 2007

Sound und Silhouette waren einzigartig ...
Links im Bild ist das Heck einer weiteren Maschine von Antonov Airlines - einer An-12, die auf einem regulären Frachtkurs in Wien war, zu erkennen. Der neue Tower des Wiener Flughafens war erst zwei Jahre vor dem Besuch der An-22 in Betrieb genommen worden.
Im Hintergrund sind die drei alten Hangars zu sehen, die von der deutschen Luftwaffe 1938 errichtet wurden. 2014/2015 wurden diese Gebäude abgerissen, um zusätzliche Parkpositionen auf dem Vorfeld zu schaffen.
Neben der An-22 befinden sich auf dieser Aufnahme gleich zwei weitere "historische" Flugzeuge: Eine AUA Boeing 737 in Lauda Air Sonderlackierung und eine Maschine der Air Berlin.
Man beachte die Einstiegstüre beim Fahrwerk unter der Tragfläche.
Die Crew besteigt ihre Maschine ...
"Cleared for taxi to Runway 34 ..."
Auf dem rechten Bildrand sind eine ehemalige MD-87 der AUA sowie die MD-83, OE-LRW, der MapJet zu erkennen. Auch die MD-80 ist schon lange nicht mehr am Flughafen Wien zu sehen ...

Diese weltweit einzige zivil genutzte An-22 wurde am 24. Februar 2022, dem Tag als russische Truppen auf Befehl des Diktators und Kriegsverbrechers Wladimir Putin die Ukraine völkerrechtswidrig überfielen, auf dem Flughafen Kiew-Hostomel schwer beschädigt. Dass das mittlerweile etwa 50 Jahre alte Flugzeug jemals wieder abheben wird, ist unwahrscheinlich - und damit wird die Erinnerung an den Besuch der An-22 in Wien umso wertvoller.

Übrigens: Ein Exemplar dieses Meisterwerks ukrainischer Ingenieurskunst befindet sich im Technikmuseum Speyer und kann dort auch von innen besichtigt werden.

Text. CvD