Heute fliegt Austrian Airlines eine Flotte von knapp 70 eigenen Flugzeugen, bestehend aus den Typen Airbus A320-200, A320neo A321-100, A321-200, Boeing 767-300ER, Boeing 777-200ER, Boeing 787-9 und Embraer E195. Dazu kommen noch einige ATR72 sowie A220-300, die im Wetlease von anderen Gesellschaften für Austrian betrieben werden. Erst kürzlich leitete die Airline außerdem eine umfassende Flottenmodernisierung ein. Doch die Anfänge der 1957 gegründeten Airline, die am 31. März 1958 den Flugbetrieb auf der Strecke von Wien nach London aufnahm, waren bescheiden. 1958 ging sie mit gerade einmal vier von der skandinavischen Fluggesellschaft Fred Olsen gemieteten Vickers Viscount an den Start, die ab 1960 durch insgesamt sechs eigene Viscount ersetzt wurden.
Die erste dieser von der AUA gekauften Maschinen war die OE-LAF (c/n 437). Diese erste eigene Viscount der Fluggesellschaft kostete damals 37 Millionen Schilling und absolvierte ihren Erstflug am 10. Februar 1960. Knapp zwei Wochen später, am 25. Februar 1960, landete die Maschine in Wien. Hier taufte die AUA das Flugzeug auf den Namen "Joseph Haydn". Die Zeremonie gereichte zum Staatsakt, unter anderem waren Bundeskanzler Julius Raab und der Chef der Vickers Flugzeugwerke, Lord Edward Knollys, persönlich anwesend, als Anny Bock, die Ehefrau des damaligen österreichischen Handelsministers Fritz Bock, die Taufe der OE-LAF mit Champagner vornahm. Für die geladenen Festgäste gab es anschließend sogar einen Rundflug an Bord des neuen Flaggschiffs der damals noch staatlichen Austrian Airlines.

Die "Joseph Haydn" war mit 56 Sitzplätzen ausgestattet, 12 davon in der Ersten Klasse, die sich damals im hinteren Bereich der Kabine befand - denn dort war es am ruhigsten. Werbetechnisch vermarktete die AUA die Viscount wegen der modernen Turboproptriebwerke auch als „Prop-Jet“.
Die Reisegeschwindigkeit der Vickers Viscount lag bei rund 600 Stundenkilometern in etwa 6.000 Metern Höhe ‒ dank Druckkabine. Die Tanks der Maschine fassten circa 8.000 bis 10.000 Liter Kraftstoff. Das ermöglichte der Viscount eine Reichweite von circa 2.000 bis 3.000 Kilometern, auch abhängig von verschiedenen Faktoren, wie etwa der Anzahl der Passagiere, der Menge der Fracht und natürlich auch vom Wetter.
Der Unglücksflug
Es war ein Montag, der 26. September 1960, als die Operationsplanung der AUA die "Joseph Haydn" für den Flug von Wien Schwechat nach Moskau-Scheremetjewo einteilte. Der Flug mit der Nummer 901 sollte planmäßig auf dem Flughafen der polnischen Hauptstadt Warschau zwischenlanden. Die Verbindung Wien-Moskau war erst rund ein Jahr zuvor, am 5. 6. 1959, aufgenommen worden. Die Flüge nach Moskau galten als anspruchsvoll, denn das Englisch der russischen Fluglotsen war oft mangelhaft (das ist es zum Teil bis heute) und zudem erfolgten die Höhenangaben der Lotsen in Metern (zum Teil ebenfalls bis heute), was eine zusätzliche Arbeitsbelastung für die Piloten darstellte, da die Höhenmesser in allen westlichen Flugzeugen die Höhe in Fuß anzeigen. Diese Maßeinheit wurde (und wird auch heute noch) fast überall auf der Welt in der Zivilluftfahrt verwendet.
Das Kommando über Flug OS 901 hatte am 26. September 1960 Flugkapitän Erwin Wilfing, ein erfahrener Weltkriegsflieger mit mehr als 2.000 Stunden Flugerfahrung, davon rund 1.700 auf der Viscount. Erst rund eine Woche zuvor hatte Wilfing seinen 36. Geburtstag gefeiert und privat befand er sich auf einem Höhenflug - neue Eigentumswohnung im 19. Bezirk und seine Tochter Andrea hatte im Sommer 1959 das Licht der Welt erblickt. Wilfing gehörte zu den AUA-Piloten der ersten Stunde, flog seit 1958 für die Airline.

Ihm zur Seite standen der Erste Offizier Ferdinand Freisleben, 39 Jahre, zweifacher Familienvater, und Bordingenieur Walter Wurzer. Der 40-Jährige gebürtige Deutsche (Jahrgang 1919) hatte in Graz geheiratet, war nach dem Krieg in Österreich geblieben und hatte sieben Kinder, das jüngste war gerade einmal drei Monate alt. Regulär arbeitete Wurzer in der Technik, der Zulagen wegen flog er jedoch mehrere Dienste im Monat als Bordingenieur mit. Co-Pilot Freisleben hatte in etwa die gleiche Gesamtflugerfahrung wie Kapitän Wilfing, auf der Viscount war er rund 450 Stunden geflogen.
Komplettiert wurde die Besatzung durch drei junge Flugbegleiterinnen - Maria Teresa Wernle (28) geboren in Buenos Aires, später zog sie mit ihrer Familie nach Villach, Adelheid Hernler (25) aus Oberkärnten und Sylvia Ibba (23) aus Wien. Für ihren Traum vom Fliegen nahmen die drei Damen allerhand auf sich. Wernle wohnte zusammen mit ihrem Bruder in einem kleinen Zimmer in Wien als Untermieterin und auch Hernler teilte sich eine Wohnung mit einer Kollegin. Ibbas Mutter hatte sich die Schulbildung und Erziehung ihrer Tochter im wahrsten Sinne des Wortes vom Munde abgespart, schuftete dafür in einer Großwäscherei. Stewardess bei der AUA (Herren wurden damals gar nicht genommen!) war ein angesehener und sehr begehrter Beruf. Ibba war das "Küken" der Besatzung, flog erst seit wenigen Wochen für die AUA.

Um die Mittagszeit boardeten 39 Passagiere die "Joseph Haydn". Damit war Flug 901 von Wien über Warschau nach Moskau statistisch betrachtet zu rund 69 Prozent ausgelastet. Zusammen mit der Besatzung befanden sich 45 Menschen an Bord, als die OE-LAF um 13:45 Uhr Lokalzeit (12:45 Uhr UTC) von der Piste 12/30 (heute 11/29) abhob und auf Kurs Nordost ging, um über die Tschechoslowakei nach Warschau zu fliegen. Nach etwas mehr als einer Stunde Flugzeit erreichte die „Joseph Haydn“ ohne Zwischenfälle die polnische Hauptstadt. Hier verließen 8 der 39 Fluggäste die Vickers Viscount. Um 16:54 Lokalzeit (15:54 UTC) hob die OE-LAF zum Weiterflug nach Moskau ab. Neben den sechs Besatzungsmitgliedern befanden sich nun 31 Passagiere an Bord - insgesamt also 37 Menschen. Für die meisten von ihnen wurde es ein Flug ohne Wiederkehr.

Die rund dreistündige Reise von Warschau nach Moskau führte vorbei an Minsk und Smolensk (dort verunglückte 2010 bei schlechtem Wetter eine Tupolev Tu-154M der polnischen Regierung), nichts deutete auf Probleme hin, wenngleich das Wetter in Moskau nicht optimal war. Zudem muss man sich vergegenwärtigen, dass damals die heute üblichen präzisen Navigationshilfen wie GPS oder auch ein Instrumentenlandesystem (ILS) nicht zur Verfügung standen. Die Besatzung konnte sich für den Anflug nur auf die Unterstützung des Fluglotsen sowie zwei ungerichtete Funkfeuer (NDB) verlassen. Dazu kam noch der Umstand, dass die Höhenangaben in Metern erfolgten und immer erst umgerechnet werden mussten - eine potentielle Fehlerquelle. Alles in allem ergab das eine enorme Arbeitsbelastung für die Männer im Cockpit.
Um 21:28:30 Uhr Lokalzeit (18:28:30 Uhr UTC) überflog die "Joseph Haydn" in stockfinsterer Nacht eines der beiden ungerichteten Funkfeuer vor Moskau und der russische Fluglotse wies die Piloten an, auf Steuerkurs 338 Grad zu gehen, um auf den finalen Anflugkurs für die Piste 07 zu gelangen - was Wilfing und Freisleben auch umsetzten. Der Funkverkehr und der Flugverlauf waren zu diesem Zeitpunkt völlig normal. Fahrwerk und Klappen wurden gefahren.
Um 21:36:30 Uhr Lokalzeit (18:36:30 UTC) meldete die Crew, dass sie den Endanflug auf die Piste 07 aus einer Höhe von 400 Metern beginnen würde. Professionelle Routine.
Etwa zwei Minuten später befand sich die "Joseph Haydn" rund 12 Kilometer vor der Pistenschwelle. Der Lotse kommunizierte mit der Crew und gab ihr - auch auf Anfrage der Piloten - Positionsangaben durch. Kurz vor 21:39 Uhr Lokalzeit (18:39 Uhr UTC) bedankte sich die Crew beim Lotsen für die Unterstützung. Wiederum gab es keinerlei Anzeichen auf irgendwelche Probleme.

Absturz im Wald
Doch von Wilfing und Freisleben unbemerkt, begann jetzt im Cockpit offenbar etwas gewaltig schiefzulaufen. Obwohl sie an dieser Position noch mindestens 200 Meter (etwa 650 Fuß) über dem Boden sein sollte, war die "Joseph Haydn" nur noch 100 Meter (circa 325 Fuß) hoch, doch anders als heute, gab es kein Bodenannäherungswarnsystem (GPWS oder EGPWS), das die Männer im Cockpit vor der drohenden Kollision mit dem Boden gewarnt hätte. Und vor dem Cockpitfenster war nur Dunkelheit. Stewardess Wernle wollte gerade ihre letzte Ansage vor der Landung an die Passagiere machen, doch dazu kam es aufgrund der sich nun überschlagenden Ereignisse nicht mehr. Mit normaler Sinkrate und einem flachen Gleitwinkel streifte die OE-LAF nur Augenblicke später in Horizontalfluglage in einer Höhe von gerade einmal 20 Metern (rund 65 Fuß) die ersten Bäume, wobei Teile der linken Tragfläche abgerissen wurden. Dann ging alles blitzschnell. Die "Joseph Haydn" kippte abrupt nach links, schlug auf dem Boden auf und ging in Flammen auf. Von den 37 Menschen an Bord von Flug AUA 901 starben 27 beim Absturz, 10 Insassen überlebten zunächst. Doch vier von ihnen erlagen alsbald ihren Verletzungen und Verbrennungen, sodass die Opferzahl auf 31 anstieg. Nur 5 Passagiere und die Flugbegleiterin Maria Teresa Wernle hatten den Absturz der "Joseph Haydn" im Wald vor Moskau schlussendlich überlebt. Die drei Männer im Cockpit waren ebenso ums Leben gekommen wie die beiden anderen Stewardessen.
Die Unfalluntersuchung
Der Absturz hatte sich auf sowjetischem Gebiet ereignet, also war formal die Sowjetunion für die Untersuchung des Unglücks zuständig. Aufgrund der großen Zahl ausländischer Todesopfer erteilte Moskau jedoch rasch Visa für eine österreichische Unfallkommission, die Beobachterstatus hatte und nach Moskau reiste. In diesen Tagen waren weder Stimmenrekorder noch Flugdatenschreiber an Bord von Verkehrsflugzeugen vorgeschrieben, die "Joseph Haydn" auch nicht damit ausgestattet. Die Ermittler konnten für die Rekonstruktion des Unglücks also nur auf die am Boden aufgezeichneten Funkgespräche mit der Flugsicherung, die Aussagen der wenigen Überlebenden sowie einiger Augenzeugen und auf das Wrack selbst zurückgreifen. Parallel lief zur technischen Untersuchung lief die Identifizierung der Leichen an, die sich aufgrund des Umstandes dass etliche Leichen völlig verkohlt waren, als schwierig gestaltete. Deshalb wurde aus Österreich sogar eigens der renommierte Gerichtsmediziner Professor Dr. Wilhelm Holczabek (1918-2001) nach Moskau eingeflogen, um bei der Identifizierung zu helfen. Die DNA-Anlayse lag damals noch in weiter Ferne, sie wurde noch nicht einmal 31 Jahre später, beim Absturz von Lauda Air Flug 004, angewandt, weshalb 27 der 223 Todesopfer dieses Unglücks in einem Gemeinschaftsgrab in Thailand beerdigt wurden. Doch zurück zum Crash der "Joseph Haydn" vor Moskau.
Nach Auswertung der aufgezeichneten Funksprüche, der Zeugenaussagen und der Analyse der Wrackteile veröffentlichte die Kommission am 5. Oktober 1960 - nur knapp zwei Wochen nach dem Absturz von Flug 901 - ihren gerade einmal dreiseitigen Abschlussbericht.
Die Kommission war darin zu der Erkenntnis gelangt, dass der Unfall durch "Controlled Flight Into Terrain", kurz CFIT, verursacht worden war. Davon spricht man, wenn ein voll funktionsfähiges Luftfahrzeug von den Piloten unbeabsichtigt gegen die Erdoberfläche oder gegen ein Hindernis geflogen wird, wobei sich die Crew des bevorstehenden Zusammenstoßes nicht (rechtzeitig) bewusst ist.
Dafür kamen laut Ansicht der Experten mehrere Faktoren in Frage:
• ein technischer Mangel an einem oder beiden Höhenmessern im Cockpit
• die unterschiedlichen Einstellungen der beiden Höhenmesser (mehr dazu weiter unten)
• Fehlinterpretation der angezeigten Flughöhe durch die Piloten
Unterschiedliche Einstellungen an den Höhenmessern, finale Unfallursache blieb offen
Die Höhenmesser von Kapitän und Co-Pilot waren durch den Absturz derart schwer beschädigt worden, dass nicht mehr festgestellt werden konnte, ob die Instrumente zum Zeitpunkt des Absturzes korrekt funktioniert hatten. Allerdings war auf dem Höhenmesser von Kommandant Wilfing ein Luftdruck von 990 Millibar (entspricht 990 Hectopascal) eingestellt, was dem QFE entsprach. Das bedeutet, dass der Höhenmesser des Kapitäns ‒ sofern er korrekt arbeitete ‒ die tatsächliche Höhe des Flugzeugs über dem Boden anzeigte - in Fuß, die der Kapitän dann jeweils auf Meter umrechnen musste. Auf dem Instrument von Co-Pilot Freisleben dagegen war der Wert 1013 Millibar (entspricht 1013 Hectopascal) justiert ‒ eine Differenz von 23 Millibar oder Hectopascal. Dabei handelte es sich um die Einstellung für das Standard-QNH. QNH bedeutet, dass ein Höhenmesser die ungefähre Höhe eines Flugzeuges über dem Meeresspiegel anzeigt - ebenfalls in Fuß. Beide Piloten hatten in der stressigen Phase des finalen Anfluges bei Schlechtwetter also unterschiedliche Anzeigen auf ihren Instrumenten.
Üblicherweise ‒ und das war auch damals das Standardverfahren der AUA ‒ müssen sowohl der Höhenmesser des Kapitäns als auch der des Ersten Offiziers ident eingestellt sein, eben um Missinterpretationen und/oder Missverständnisse zwischen den Piloten zu vermeiden. Allerdings wurde die Einhaltung von vorgegebenen Standards in diesen frühen Tagen der Nachkriegs-Verkehrsluftfahrt generell oftmals noch eher lax gehandhabt und auch das Konzept des heute üblichen Crew Resource Managements (CRM) - ein wichtiger Sicherheitsfaktor - existierte noch nicht einmal ansatzweise. Nicht ausgeschlossen ist also, dass die Piloten die Luftdruckeinstellungen an ihren Höhenmessern ohne Gegencheck oder Rücksprache mit dem Kollegen nach jeweils eigenem Ermessen vornahmen. Es saßen damals eben ‒ und das ist keineswegs als Vorwurf, sondern lediglich als erklärende Feststellung für die heutige Generation zu verstehen ‒ die Jahrgänge der Weltkriegsflieger und „Einzelkämpfer“ in den Cockpits, und zwar überall auf der Welt. Das spiegelt sich in den Unfallstatistiken dieser Jahre deutlich wider. Wie auch immer ‒ weshalb die Crew von AUA Flug 901 am 26. September 1960 verschiedene Luftdruck-Werte auf ihren Höhenmessern eingestellt hatte, konnte nie geklärt werden.
Die Ermittler enthielten sich in ihrem Abschlussbericht daher auch einer Schlussfolgerung, welche der drei möglichen Ursachen dazu geführt hatte, dass die Maschine unterhalb des sicheren Gleitpfades sank und es zur Kollision mit dem Boden kam.

Die Piloten und der Flugingenieur konnten identifiziert und nach Österreich überführt werden. Ihre Gräber existieren noch heute auf verschiedenen Friedhöfen im Großraum Wien.

Das einzige überlebende Besatzungsmitglied, die Flugbegleiterin Maria Teresa Wernle (verheiratete Macqueen) starb rund 55 Jahre nach dem Absturz, am 22. Oktober 2015, im Alter von 83 Jahren und wurde im engsten Familienkreis zur letzten Ruhe gebettet.
Die Verschwörungstheorie
Fast keine schwere Flugzeugkatastrophe kommt ohne mindestens eine oder gleich mehrere dazugehörige Verschwörungstheorie(n) aus. Ganz gleich ob es sich um den Absturz von Germanwings 9525 (siehe mein Buch „Germanwings Flug 9525 ‒ Absturz in den französischen Alpen“, ISBN 978-3-818776-24-4), zu dem beispielsweise ein österreichischer Softwarentwickler völlig krude Thesen, die keinem seriösen Faktencheck standhalten und bei denen er sich sogar selbst widerspricht, verbreitet oder um das Flugtagunglück von Ramstein (siehe mein Buch „Als der Tod vom Himmel stürzte ‒ Die Flugtagkatastrophe von Ramstein“, ISBN 978-3-758499-48-7) handelt.
Auch im Fall von AUA Flug 901 blieb eine Verschwörungstheorie nicht aus. So soll der Massenmörder Udo Proksch ("Lucona"-Affäre) am 26. September 1960 auf der "Joseph Haydn" gebucht gewesen sein. Doch der sowjetische Geheimdienst KGB habe Proksch gewarnt, die Reise nicht anzutreten. Die Theorie besagt, dass der KGB von Anfang an vorhatte, die Maschine zum Absturz zu bringen, um an - angeblich - im Frachtraum befindliche Geheimdokumente, die für die US-Botschaft in Moskau bestimmt waren, zu gelangen. Diese ebenfalls ziemlich krude Theorie hat dabei gleich zwei riesengroße Haken.
- Aus den aufgezeichneten Funkgesprächen zwischen Lotse und Cockpitcrew (die auch von den österreichischen Ermittlern, denen die Stimmen der getöteten Piloten der "Joseph Haydn" zum Teil persönlich bekannt waren) ergaben sich nicht die geringsten Hinweise darauf, dass der Lotse Flug 901 eine falsche Flughöhe zugewiesen hatte - weder absichtlich noch versehentlich
- Die Methode, ein Flugzeug zum Absturz zu bringen, um nach dem Crash an den Inhalt seines Frachtraumes zu gelangen ist derart - man kann es durchaus so hart formulieren - "hirnrissig", dass sie nur jemandem einfallen kann, der von der Luftfahrt nicht viel versteht. Denn in aller Regel ist ein Absturz von einer Explosion und/oder einem intensiven Brand nach dem Bodenkontakt begleitet, der den größten Teil des Flugzeuges und der an Bord befindlichen Fracht zerstört. So geschah es auch im Fall der "Joseph Haydn".
Deshalb - und weil es auch sonst nicht den geringsten Beleg für einen vom KGB absichtlich herbeigeführten Crash gibt - sind sich alle seriösen Luftfahrtexperten und Piloten einig, dass der Absturz von AUA Flug 901 vor 65 Jahren nichts weiter war als ein tragischer "Controlled Flight Into Terrain", der mit der heutigen modernen Sicherheitsausstattung von Verkehrsflugzeugen und dem mittlerweile standardisierten CRM auf hohem Niveau so mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht passiert wäre.
Die "Interessensgemeinschaft Luftfahrt Fischamend" (ILF) widmet in ihrer Sonderausstellung "Aircraft Inside", die von 3. bis 5. Oktober im Pfarrheim Fischamend zu besichtigen ist, dem Absturz der "Joseph Haydn" übrigens eine eigene Vitrine. Dabei werden auch Wrackteile der Unglücksmaschine ausgestellt - Fotos davon stellte mir die ILF für mein Buch "AUA Flug 901 - Katastrophe vor Moskau" sowie diese Reportage dankenswerterweise zur Verfügung.

Bis zum Absturz der Lauda Air Boeing "Mozart" mit 223 Todesopfern am 26. Mai 1991 war das AUA-Unglück vor Moskau übrigens die schwerste österreichische Flugzeugkatastrophe. Der Crash von AUA Flug 901 ist bis heute der einzige tödliche Unfall in der fast 70-jährigen Geschichte der Austrian Airlines. Möge das auch in Zukunft so bleiben. Zwar kann und wird es 100-prozentige Sicherheit niemals und nirgendwo im Leben geben, doch mit ihren hohen Standards bei der Pilotenausbildung, dank denen die AUA ihren Piloten gut doppelt so viel Training vorschreibt wie gesetzlich erforderlich wäre, stehen die Chancen für viele weitere unfallfreie Jahrzehnte bei der AUA jedenfalls ausgesprochen gut.
Text: Patrick Huber