Reportagen

20 Jahre RNP-AR-Approach für Innsbruck - Austrian Airlines als Pionier in Europa

Endanflug auf Innsbruck. Dank des von der AUA mitentwickelten RNP-AR Verfahrens kann der Platz seit 20 Jahren auch unter widrigen Wetterbedingungen genutzt werden. - Foto: www.der-rasende-reporter.info

Der Flughafen Innsbruck, inmitten der idyllischen Tiroler Berge gelegen, gilt unter Piloten als besonders herausfordernd. Bei schlechtem Wetter sind Starts und/oder Landungen teils überhaupt nicht möglich. Vor 20 Jahren entwickelte Austrian Airlines deshalb unter Führung von Flugkapitän Robert Ahornegger in Zusammenarbeit mit weiteren Fachleuten das europaweit erste RNP-AR An- und Abflugverfahren - speziell für den Alpenflughafen. Anlässlich dieses Jubiläums beleuchtet Austrian Wings diese Pioniertat des rot-weiß-roten Flagcarriers.

Die Tiroler Landeshauptstadt Innsbruck liegt eingebettet zwischen hohen Bergen inmitten eines Tales. Alpen-Idylle pur, die jährlich tausende Touristen anzieht, von denen viele mit dem Flugzeug anreisen. Umgekehrt ist der Alpen-Airport für viele Tiroler das Tor zur Welt, sei es für Geschäfts- oder Urlaubsreisen. Westlich der Stadt befindet sich seit 1946 der heutige Flughafen Innsbruck Kranebitten. Seine Anfänge reichen bis ins Jahr 1946 zurück, als die Franzosen als Besatzungsmacht hier ein Flugfeld errichteten. Neben Linienflügen der Austrian Airlines (zB nach Wien) werden auch ganzjährig verschiedene Charterdestinationen von Innsbruck aus angesteuert. Dazu kommen noch die Geschäfts- und Bedarfsfliegerei sowie mehrere Motor- und Segelflugvereine, die auf dem Platz ansässig sind. Nach Wien und Salzburg ist Innsbruck von der Anzahl der Flugbewegungen her damit der drittgrößte österreichische Airport. Wegen seiner Lage inmitten der Tiroler Alpen und der damit einhergehenden speziellen Wetterbedingungen (Wolken, Föhnsturm, etc …) gilt der Flughafen unter Piloten als anspruchsvoll. Er verfügt wegen seiner besonderen Lage, die keinen geraden Endanflug auf die zumeist genutzte Landerichtung von Ost nach West (Piste 26) erlaubt, auch nicht über ein klassisches Instrumentenlandesystem, ILS, sondern lediglich über einen LOC-DME-Anflug. Das bedeutet, dass Flüge bei schlechten Wetterbedingungen nur eingeschränkt möglich sind – was wiederum die Zuverlässigkeit bestehender Linien- und Charterflugverbindungen beeinträchtigt (Sicherheit gilt in der Luftfahrt als oberste Prämisse) und sich zusätzlich wirtschaftlich negativ auswirken kann.

AUA als Wegbereiter für modernes Verfahren
Vor diesem Hintergrund machte sich Verkehrspilot Robert Ahornegger Anfang der 2000er Jahre daran, eine Lösung für diese Herausforderung zu suchen. Ahornegger startete seine Pilotenkarriere mit der Privatpilotenlizenz (PPL) im Jahr 1993, absolvierte dann weitere Ausbildungen bis zum Verkehrspilotenschein (ATPL samt Instrumentenflugberechtigung). Im Jahr 2000 heuerte schließlich bei der damals schon weitgehend im Besitz der Austrian Airlines stehenden Lauda Air an, wo er zunächst Boeing 737-300 und 737-400 flog, später auch die Modelle der 737 NextGen. Parallel studierte Ahornegger in Berlin Luft- und Raumfahrttechnik – Schwerpunkt Zulassung von Verkehrsflugzeugen – und schloss diese Ausbildung mit dem akademischen Titel "Dr. Ing." ab.

„An der Ausgangslage am Flughafen Innsbruck konnten wir nichts ändern. Geographisch haben wir vor Ort 9.000 bis 12.000 Fuß hohe Berge die ein schmales Tal umschließen, in dem der Flughafen Innsbruck liegt. Dessen Piste ist nur 2.000 Meter lang und davon sind 1.940 Meter für die Landung nutzbar. Wegen dieser Besonderheiten müssen Flugzeuge für den Anflug von Osten (in Richtung Westen), was zumeist der Fall ist, beim Kellerjoch anfangen, steil zu sinken“, so Cpt. Ahornegger, der mittlerweile mehr als 12.000 Flugstunden auf den Mustern Boeing 737, Airbus A319/320/321, Boeing 777-200ER und Embraer E195 absolviert hat. Auf dem Embraer der AUA ist Ahornegger seit 2016 Kapitän, Prüfer und Ausbilder, seit 2019 zusätzlich auch Technischer Pilot. Zum Vergleich: Die beiden Pisten am Flughafen Wien sind 3.500 beziehungsweise 3.600 Meter lang, jene in Linz 3.000 Meter und jene in Salzburg 2.750 Meter.

Bei schlechtem Wetter war ein Anflug auf Innsbruck de facto nur eingeschränkt durchführbar (bzw. ist er es auch heute noch, wenn nicht das RNP-AR Anflugverfahren genutzt werden kann), denn im Fall eines Fehlanfluges („go around" / missed approach“) ist es wegen der hohen Berge westlich des Flughafens sowie der fehlenden Navigationsinfrastruktur im westlichen Tal nicht möglich, geradeaus weiterzufliegen. Man MUSS nämlich zwangsläufig im Tal wenden, wobei die Geschwindigkeit maximal 155 Knoten und die Querlage 25 Grad betragen darf –  der Radius für dies Kurve ist nämlich mit maximal 0.9 nautischen Meilen begrenzt, etwa 1,6 Kilometer. Auch ein Start in westlicher Richtung geht nur bei ausreichender Sicht und entsprechender hoher Hauptwolkenuntergrenze. Im Falle eines Triebwerkausfalles muss auch eine entsprechende Engine Out SID zur Verfügung stehen.

Ahornegger: „Unser Ziel war es folglich, ein Instrumentenflugverfahren für An- und Abflüge bei Schlechtwetter sowie eine Engine Out SID für den Fall eines Triebwerksausfalls zu erarbeiten.“ Denn nicht nur Landungen waren in Innsbruck bei schlechtem Wetter nicht möglich, das galt auch für Abflüge.

Ein möglicher Lösungsansatz war, Hybridnavigation des FMS auf Basis der Satellitennavigation gestützt vom Trägheitsnavigationssystem sowie Multisensorsystem zu nutzen. „In der Luftfahrt gilt das Grundprinzip der Redundanz, das heißt, wir verlassen uns niemals ausschließlich auf EIN einziges System, denn das kann ja versagen oder, wie im Fall von GPS, auch von außen gestört werden“, erläutert Ahornegger die weiteren Planungen. Schließlich sind auch alle wichtigen Instrumente wie Fahrtmesser, Höhenmesser oder Künstlicher Horizont mehrfach im Cockpit vorhanden. Genau diese Redundanz macht die Luftfahrt so sicher wie sie ist.

Im Jahr 1996 hatte Alaska Airlines am Flughafen Juneau als erste Airline der Welt einen sogenannten RNP-AR Anflug etabliert – mit Boeing 737. Dieses Muster flog mittlerweile, seit der vollständigen Übernahme der Lauda Air, auch die Austrian Airlines und so entschied sich Ahornegger dafür, das Verfahren für die 737 zu erarbeiten.

RNP-AR steht dabei für "Required Navigation Performance -. Authorization Required", sprich, es muss eine hohe Navigationsgenauigkeit zusammen mit der Gewährleistung einer Integrität und Kontinuität sichergestellt sein, wobei – anders als beim Instrumentenlandesystem – aber keine bodengestützten Navigationshilfen nötig sind.

Ahornegger: "Das Projekt wurde gemeinsam mit den Luftfahrtexperten und dem damaligen Towerchef von Innsbruck ,Ernst Wieser, Bernd Wolfmaier von der Austrocontrol, Mag. Manfred Bialonczyk, von damals OZB und dem damalige Innsbrucker Flughafendirektor Reinhold Falch, gestartet mit dem gemeinsamen Ziel, den bereits schon bestehenden Instrumentenanflug LOC/DME durch eine in modernen Verkehrsflugzeugen zur Verfügung stehenden neuartigen Navigation zu ergänzen. Dabei wurden Wegpunkte unabhängig von der Bodennavigationsstruktur für das RNP-Anflugverfahren definiert, und für die Positionsbestimmung das GNSS System genutzt. Um die hohe geforderte Kontinuität und Integrität zu gewährleisten werden dabei das Trägheitsnavigationssystem sowie das Multisensor Flight Management System zusätzlich mitgenutzt."

Dadurch war es möglich, für Anflüge auf Innsbruck eine niedrige Entscheidungshöhe von 2.670 Fuß Höhe zu definieren. Bei dieser Höhe muss die Crew entscheiden, ob ein Anflug fortgesetzt werden kann oder abgebrochen werden muss. Der Flughafen Innsbruck liegt auf 1.907 Fuß, sodass die Entscheidungshöhe effektiv nur etwa 700 Fuß (rund 200 Meter) über dem Boden liegt. Der seitliche Abstand zu den Bergen konnte mit dem neuen Verfahren auf 0,6 nautische Meilen (weniger als 1.200 Meter) reduziert werden.

Abflüge, also Starts, in Innsbruck waren dank des neuen Verfahrens jetzt bei einer Sichtweite von 150 Metern horizontal möglich, selbst wenn die Wolkendecke unmittelbar über dem Flugplatz lag und auch das Problem eines Fehlanfluges mit nur einem Triebwerk bei schlechtem Wetter war gelöst.

150 Testflüge unter realen Bedingungen
Soweit die Theorie, doch musste das neue Verfahren erst offiziell von der Behörde genehmigt werden. "Dazu führten wir 100 Testflüge unter guten Sichtbedingungen auf dem Flughafen Wien durch und später noch einmal 50 in Innsbruck. Später erfolgte auch die Zulassung für die Airbus A320-Flotte, bei der maßgeblich MSc Alexander Fitz, Head of OPS Engineering AUA sowie Kapitän Leo Tatzreiter beteiligt waren", erläutert Ahornegger. Cpt. Tatzreiter ist in der Fliegerszene kein Unbekannter. Er war einer der drei Piloten, die 2009 beim Jubiläumsflugtag in Fischamend das Flight Display eines AUA-A320 vorführten. Doch zurück zum RNP-AR-Approach. Zusätzlich zum eigentlichen Anflugverfahren installierte der Flughafen Innsbruck entlang der Anflugstrecke noch spezielle Sensoren, die das Transpondersignal des Flugzeugs aufgreifen (Multilaterationssystem – MLAT) und somit ein künstliches Radarbild für den Lotsen im Tower erzeugen. Denn eine weitere Besonderheit des Flughafens Innsbruck ist der Umstand, dass der Radarempfang im Endanflug wegen der Berge nur eingeschränkt möglich ist.

Nachdem die AUA nun das Verfahren erarbeitet und die Testflüge erfolgreich abgeschlossen hatte, galt es noch, die Behörde von der Sicherheit zu überzeugen. Das neue Verfahren musste im Echtbetrieb den gestrengen Augen der Prüfer vorgeführt werden – und erhielt im Mai 2005 die Zulassung für das RNP-AR Anflugverfahren auf Innsbruck für die 737.

Damit die ohnedies bereits hochqualifizierten AUA-Piloten dieses besonders anspruchsvolle Verfahren durchführen dürfen, werden sie natürlich zusätzlich geschult und müssen ihr Können bei regelmäßigen Checkflügen im Simulator unter Beweis stellen.

Anfang 2012 beschloss Austrian Airlines dann die Ausflottung ihrer 737-Flotte (zuletzt 11 Maschinen der Baureihen -600/700/800), die 2013 abgeschlossen war - die RNP AR Anflüge wurden weiterhin auf der A320 Flotte durchgeführt und seit der Einflottung 2016 auch auf der Embraer Flotte.

Austrian Airlines war die erste Fluggesellschaft in Europa, die das RNP-AR-Verfahren einsetzte. "Heute gibt es klare EASA-Richtlinien und Vorgaben für den Ablauf des Zertifizierungsverfahrens. Vor über 20 Jahren hatten wir das nicht, wir mussten quasi in Eigenregie arbeiten und unsere Methode dann von der Behörde absegnen lassen", so Ahornegger durchaus stolz.

Wieder einmal hatte Austrian Airlines Pionierarbeit geleistet.

Text & Foto: Patrick Huber